Sam Tanson summiert unter dem Freiheitsbegriff quasi alles, auch den Klimaschutz

Ökoliberale Volkspartei

Sam Tanson beim Kongress am Dienstag. Zieht sie sich scheinbar in sich selbst zurück, arbeitet ihr Kopf umso mehr
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 31.03.2023

Als François Bausch, der grüne Vizepremier, am Morgen des 26. Januar zu RTL Radio ging und sich im Interview aus der Nase ziehen ließ, er „persönlich“ halte Sam Tanson für „am besten geeignet“, nationale Spitzenkandidatin der Grünen zu den Kammerwahlen zu werden, brachte er seine Parteikollegin in Verlegenheit. Sagt sie jedenfalls. Abgesprochen mit ihr war wohl, dass er die Information streuen würde. Die Zeit dafür war reif. Premier Xavier Bettel hatte sich im Neujahrsinterview im RTL-Fernsehen erwartungsgemäß als DP-Spitzenkandidat in Stellung gebracht. Am 20. Januar sprach LSAP-Vizepremierministerin Paulette Lenert beim Neijoerschpatt ihrer Partei in Schengen das lange hinausgezögerte „Ech si prett“. Vor allem aber war am 25. Januar durchgesickert, dass Luc Frieden Spitzenkandidat der CSV würde. Da konnten die Grünen es sich nicht länger leisten, zu warten, und Bausch ließ am Tag danach die Katze aus dem Sack.

Sam Tanson selber aber hatte zwei Wochen vorher dem Radio 100,7 ein Interview als Justizministerin gegeben. Die unvermeidliche Frage nach einer nationalen Spitze der Grünen für die Wahlen am 8. Oktober hatte sie abgewehrt: Dazu müssten die Parteistatuten geändert werden, dafür sei nicht mehr genug Zeit. In Wirklichkeit war Tanson damals schon mit der Parteispitze im Gespräch über eine Spitzenkandidatur und hatte sich bereiterklärt, die Rolle zu übernehmen, „wenn alle mich unterstützen“. Doch es war eben nur der „Préconseil“, wie die Grünen ihn nennen, der Bescheid wusste: das Präsident/innen-Tandem, die grünen Regierungsmitglieder und die Fraktionsspitze. Nicht aber die Parteigremien. „Deshalb wollte ich im 100,7 nichts in die Welt setzen“, sagt Sam Tanson dem Land. Und dass die Parteistatuten nicht grundsätzlich geändert wurden, stimme ja: Ende Januar wurde auf einem grünen Kongress lediglich eine Ausnahme für die Wahlen dieses Jahr verabschiedet.

Die Entscheidung, eine nationale Spitzenkandidatin zu ernennen, war für die Grünen eine strategische. Diese Mission der Justiz- und Kulturministerin anzuvertrauen, war ebenfalls eine strategische. Sam Tansons Unbehagen, weil François Bausch im Radio vorpreschte, verweist auf ihre Persönlichkeit. Sie sagt ungern etwas, ehe sie nicht alle Fakten kennt und ihre Optionen durchdacht hat. So kann es kommen, dass sie sich sogar bei öffentlichen Auftritten als Ministerin plötzlich in sich zurückzieht. Manche, die sie so erleben, halten sie für kühl oder gar unnahbar. Tatsächlich jedoch arbeitet dann ihr Kopf ganz intensiv.

Beim außerordentlichen Kongress der Grünen diesen Dienstagabend im Architekturzentrum Luca in Clausen nahm niemand von den 180 Delegierten dem Préconseil oder François Bausch übel, die Parteigremien ein wenig übergangen zu haben. Das Treffen erinnerte an basisdemokratische Zeiten. Der Konferenzsaal war eigentlich zu klein, alle saßen eng beieinander. Wer sprach, tat das unplugged, Mikrofone und Verstärker gab es keine. Die Akustik des Saales erlaubte es nicht ohne Weiteres, alles zu verstehen. Man musste schon genau zuhören, und sollte nicht zuletzt Sam Tanson zuhören. Einstimmig und ohne Enthaltung wurde sie zur Spitzenkandidatin gekürt. Die Choreografie des Abends sah vor, sie der Basis nicht nur als Politikerin und Ministerin zur Spitzenkandidatur zu empfehlen, sondern auch als Frau und als Mutter; als eine, für die bei aller Politik die Familie und ihre Kinder oberste Priorität haben. Dies nach vorne zu bringen, gehört ebenfalls zur Wahlkampfstrategie der Partei dieses Jahr.

Dass Sam Tanson ihre Familie so wichtig ist, hat vielleicht auch damit zu tun, dass ihre eigene Mutter nach der Trennung von ihrem Mann die Kinder alleine großzog. Mehr zu diesem Thema sagt Sam Tanson nicht: „Ich bin ein ausgesprochen privater Mensch.“

Ihr Vater jedenfalls war es, der sie „mit Büchern überhäufte, kaum dass ich lesen konnte“. Der sie in Museen mitnahm, ihr von der politischen Aktualität erzählte, der mehrere Zeitungen abonniert hatte, vor allem französische, und mit dem sie als Kind beinah jeden Abend Fernsehnachrichten sah. Sam Tansons Großvater war Politiker: Roger Schleimer war von 1963 bis 1979 Abgeordneter. Zuerst in der LSAP-Fraktion, dann für die von der LSAP 1971 abgespaltene SDP, deren parlamentarische Gruppe er von 1972 bis 1976 leitete.

Sam Tanson erinnert sich an ihren Großvater weniger als ehemaligen Politiker – sie kam 1977 zur Welt –, als an den Mann, der sie als Kind jeden Tag von der Primärschule in Bonneweg abholte und der ihren Hang zur Leichtathletik unterstützte (Roger Schleimer war Vorsitzender des Luxemburger Turnverbands). Und der eine ihr unerklärliche Angst vor Hunden hatte. Erst später sollte sie erfahren, dass ihr Großvater als aktiver Resistenzler 1941 von der Gestapo verhaftet und ins KZ Hinzert gebracht worden war. „Dort wurden Hunde auf die Häftlinge gehetzt.“ Dieses Thema aber sei für den Großvater tabu gewesen. „Darüber konnte ich nie mit ihm reden.“

Dass ihr Großvater traumatisiert war vom Nazi-Totalitarismus, gehört für Sam Tanson in die Linie der Erfahrungen, Beobachtungen und Überlegungen, die sie nach und nach politisierten und ihr, wie sie sagt, „Freiheit“ so wichtig werden ließen. Als Zwölfjährige saugte sie fasziniert die Bilder vom Fall der Berliner Mauer im November 1989 auf. „Ich habe quasi nonstop im Fernsehen verfolgt, was da vor sich ging und wie anschließend das Regime in der DDR zusammenbrach.“ Denn schon in den Jahren vorher habe sie beschäftigt, wie es sein konnte, dass Luxemburgs Nachbarland Deutschland geteilt war, und dass Berlin geteilt war.

Einen genauen Zeitpunkt, wann sie politisiert worden wäre, kann Sam Tanson nicht angeben. Sie habe sich immer für Politik interessiert. Wollte eigentlich Politikwissenschaften studieren, doch für Sciences Po in Paris hätte sie zwei Jahre Studium in einem anderen Fach vorweisen müssen. Sie wählte Jura mit dem Vorsatz, es nicht zuende zu bringen. „Doch dann gefiel Jura mir so gut, dass ich bis zum Schluss weitermachte“. Sciences Po kam anschließend, zwischen 2000 und 2002.

„Zum Entsetzen meiner Großmutter“ strebt Sam Tanson nach ihrer Rückkehr nach Luxemburg mit dem Jura-Diplom in der Tasche nicht in den Anwaltsberuf. Sondern geht zum RTL Radio. „Ich hatte mich schon als Jugendliche als Journalistin gesehen, als eine, die beobachtet, analysiert und kommentiert. Und ich schreibe einfach furchbar gern.“ Als Studentin in Paris arbeitete sie für die Online-Redaktion der Libération, jobbt in den Sommerferien bei RTL und liefert dem Sender Paris-Korrespondenzen. Als RTL ihr 2020 eine feste Stelle anbietet, sagt sie zu und bleibt bis 2004. „Wenn ich mir die Zukunft vorstellte, kamen mir Bedenken, weiterhin nur über den Luxemburger Mikrokosmos zu berichten.“ Sie erinnert sich an ihr Jura-Diplom, macht die Anwaltsprüfung und bleibt in dem Beruf bis kurz vor ihrem Eintritt in die Regierung im Dezember 2018.

In ihre Zeit bei RTL fiel die Begegnung mit den Grünen und mit François Bausch, der sie 2004 anwirbt, sie überzeugt, 2005 auf der grünen Liste bei den Gemeindewahlen in der Hauptstadt zu kandidieren. Wie Sam Tanson es beschreibt, hätte es keine andere Partei sein können. Die Grünen verbanden für sie alles: Eine Partei, „der es extrem wichtig ist, gerade denen unter die Arme zu greifen, die nicht genug haben“, die Sam Tanson andererseits so liberal fand, dass es ihrer Freiheitsliebe entsprach: „Ich denke, dass wir gesellschaftlich den Menschen alle Freiheiten lassen müssen, die sie haben, und ihnen nicht vorschreiben können, wie sie leben sollen und wie sie zu sein haben.“ Auf die Ökologie, oder wie sie es nennt, „die Nachhaltigkeitsfaktoren“, kommt sie erst an dritter Stelle zu sprechen. Aber: „Meine Mutter hatte schon vor 30 Jahren daheim Müll getrennt, obwohl sie ein paar Kilometer weit fahren musste, um ihn in die richtigen Container zu packen.“ Ein mehrmonatiger Aufenthalt in Hamburg während ihrer Studienzeit habe sie erfahren lassen, wie es ist, sich in einer Großstadt vor allem mit dem Fahrrad fortzubewegen. 2002 zurück in Luxemburg-Stadt „kam ich mir vor wie in einer anderen Welt; da war Radfahren ja beinah lebensgefährlich, außer man fuhr durch den Stadtpark“.

Bei den Gemeindewahlen 2005, nach denen die Grünen in Luxemburg-Stadt eine Koalition mit der DP unter Paul Helminger eingehen, wird Sam Tanson Achtgewählte auf der grünen Liste. 2006 bis 2007 ist sie Sprecherin der Jungen Grünen, 2009 bis 2010 Parteisprecherin. Als diese kandidiert sie 2009 zu den Kammerwahlen und wird Neuntgewählte. 2010 wird sie Parteipräsidentin und bleibt es bis 2015.

Bei den Kommunalwahlen 2011 belegt sie Platz vier hinter François Bausch, Viviane Loschetter und Carlo Back; sie zieht in den Gemeinderat ein. Als 2013 die CSV-LSAP-Koalition an der Srel-Affäre zerbricht, vorgezogene Kammerwahlen stattfinden und DP, LSAP und Grüne ihre erste Regierungskoalition bilden, Xavier Bettel Premier wird und das Bügermeisteramt an Lydie Polfer übergibt, François Bausch vom Ersten Haupstadt-Schöffen zum Nachhaltigkeitsminister wird, übernimmt Sam Tanson von ihrem politischen Ziehvater das Schöffenamt. Finanzen und Mobilität sind ihre Ressorts, wie Bausch sie innehatte. Als Mobilitätsschöffin ist sie politisch allerdings weniger erfolgreich als er. Fahrrad-Aktivist/innen finden, sie hätte mehr tun können für den Ausbau des Radwegenetzes. Sam Tanson sagt dazu, das sei unter Lydie Polfer als Bügermeisterin „schwierig“ gewesen. „Das Verständnis für die sanfte Mobilität überhaupt war einfach nicht da, es war alles ein Kampf. Immer schwang die Sorge mit, bloß dem Auto keinen Platz wegzunehmen.“ Eine gute Schule sei das aber gewesen. „Rückblickend meine ich, ich hätte mir weniger gefallen lassen sollen.“ Dennoch ist Sam Tansons persönliches Ergebnis bei den Kommunalwahlen 2017 mit 8 550 Stimmen beser als das von François Bausch 2011 war (7 680).

Als Viertgewählte auf der grünen Zentrumsliste war sie nach den Kammerwahlen 2013 noch nicht Abgeordnete geworden. Sie rückt im April 2018 nach, als der Drittgewählte Claude Adam sein Mandat niederlegt, auch damit Sam Tanson sich für die Kammerwahlen sechs Monate später noch profiliere. Was ihr auch gelingt: Ihr persönliches Resultat mit 17 290 Stimmen macht sie nicht nur zur Zweitgewählten hinter François Bausch (19 889). Tanson schneidet im Zentrum auch besser ab als der LSAP-Spitzenkandidat und Wirtschaftsminister Etienne Schneider (16 872). Dass die Grünen mit ihren hinzugewonnenen Mandaten Wahlgewinner sind und eine Neuauflage der blau-rot-grünen Koalition möglich gemacht haben, ist auch ihr zu verdanken.

„Informell“, sagt sie, sei innerhalb der grünen Führung erörtert worden, ob sie bereits 2018 Justizministerin werden sollte. Wegen ihrer Erfahrung als Anwältin seit 2005, ihrer Mitgliedschaft im Staatsrat ab 2015. Doch eigentlich habe es keinen Grund gegeben, weshalb Felix Braz das Amt nicht weiterführen sollte. Und ihr selbst war nicht wohl dabei, nahtlos von der praktizierenden Anwältin zur Justizministerin zu werden. „Ich meine, da muss zeitliche Distanz herrschen.“ Sie übernimmt die Ressorts Kultur und Wohnungsbau.

Dem Land gibt sie ihr erstes Interview als Wohnungsbauministerin im Februar 2019. Daran fällt auf, wie abwägend sie spricht, wie sehr sie darauf hält, Fakten und Zahlen zu kennen, ehe sie sich politisch äußert. Sie bekennt aber auch, „ich habe es nicht so mit den politischen Handschriften“, danach befragt, worin die der Grünen im Wohnungsbau-Kapitel des Koalitionsvertrags bestehe. Heute sagt sie, „gerade im Wohnungsbau gibt es so viele verschiedene Interessen, dass es unklug gewesen wäre, sich nach nur zwei Monaten im Amt zu sehr politisch zu äußern“. Aber abgesehen davon sei das nicht ihr Stil. „Ich kann mehr im Dialog erreichen, als wenn ich mit dem Lautsprecher herumlaufen und rufen würde: Ich hätte gerne dies und das.“ Sie sei auch keine, „die gleich zu Twitter greift, wenn mir etwas durch den Kopf geht“. Und taktisch agieren wie etwa Dan Kersch, der 2021 als LSAP-Vizepremier eine Corona-Steuer verlangt hatte, sich aber nicht durchsetzen konnte und letztlich selber isolierte, möchte sie gar nicht: „Wenn es darum geht, zu erreichen, was ich will, dann ist dieser Ansatz nicht der beste. Ich funktioniere nicht so.“

Sowohl in der Kulturszene als auch in Justizkreisen wird Sam Tanson geschätzt. In der Szene, weil sie sich für deren Entwicklung einsetzt, für das Künstlerstatut, den Kulturentwécklungsplang, und nicht zuletzt, weil sie sich blicken lässt, ins Theater geht, Ausstellungen besucht. Im Justizbereich wird sie als Ministerin gelobt, die zuhört, gesprächsbereit ist, die ihre Ansichten revidiert, wenn sie von der Triftigkeit anderer Positionen überzeugt wurde, die aber zu ihren politischen Überzeugungen steht und diese, wenn es drauf ankommt, mit Entschiedenheit durchsetzt.

Beim Whistleblower-Gesetz etwa, sagt ein Anwalt vom Fach, habe sie darauf bestanden, dass dessen Geltungsbereich weiter gefasst wird als die EU-Richtlinie, die umzusetzen Luxemburg im Rückstand ist. In der Öffentlichkeit falle Tansons Engagement in dieser Angelegenheit kaum auf, sei aber politisch anspruchsvoll. Sam Tanson selber spricht von der Gesetzgebung über das Jugendstrafrecht und den Jugenschutz, die sie dabei ist zu reformieren. Wo sie Strafrecht und Jugendschutz voneinander trennen, der Staatsanwaltschaft die Zuständigkeit für Letzteren entziehen will. Was für Konflikte sorgt. “Ich habe da keinen Konsens, aber ich ziehe das so durch.“ Nachgegeben hat sie indes bei der Festsetzung des Strafmündigkeits-Alters. Wäre es nach ihr gegangen und nach den Beratern, die sie hat, dann wäre es auf 14 Jahre festgelegt worden. Die Staatsanwaltschaft erhob Einspruch, argumentierte, schon Zwölfjährige könnten Straftaten begehen, die als solche zu verfolgen und zu ahnden wären. Sam Tanson bietet jetzt 13 Jahre. Angesichts der Diskussionen in Deutschland über eine 12-Jährige, die zwei Kinder erstochen hat, ist die Debatte in Luxemburg vermutlich noch nicht ausgestanden.

An einer mittlerweile so in Konflikten erfahrenen Ministerin konnte es am Dienstag beim grünen Parteikongress überraschen, dass Sam Tanson sich in der Rolle der Spitzenkandidatin nicht immer wohl zu fühlen schien. Sie selber sagt, „ich habe extreme Lust darauf“. Aber klar ist ihr auch, dass die Grünen mit einer nationalen Spitzenkandidatin politisches Neuland betreten. Und wenn sie die Ambition haben soll, Premierministerin zu werden, muss sie programmatisch die ganze Breite der Themenpalette beherrschen. Von den klassischen Öko-Themen, dem Fundus der grünen Partei, über den Index, die Steuern, bis hin zur Wirtschaft und der Gesellschaftspolitik natürlich. Wenn Sam Tanson sich auf dem Kongress dann und wann in sich zurückzuziehen schien, dann vielleicht, weil ihr bewusst wurde, wie groß ihre Mission sein wird. Und dass sie klassisch öko nicht ist.

Noch ist das Wahlprogramm der Grünen nicht geschrieben. Außer Fokus hat noch keine Partei ihr Programm vorgestellt. Wie der grüne Kongress sich am Dienstag an die Delegierten wandte und wie Sam Tanson ihre politischen Leitlinien präsentierte, wird die grüne Partei dieses Jahr betont linksliberal auftreten. Unter dem Freiheitsbegriff, der ihr so wichtig ist, summiert Sam Tanson quasi alles. Eine Gesellschaft, die allen Kindern die gleichen Bildungschancen einräumt, sowie „jedem ein soziales Luxemburg, unabhängig von seiner Herkunft, seiner Religion, dem Geschlecht oder der sexuellen Präferenz, so eine Gesellschaft kann nur klimaneutral sein“, sagte sie unter dem Beifall der grünen Basis. Parteistratege François Bausch hatte erklärt, ehe Sam Tanson das Wort ergriff, das wichtigste Charakteristikum der Spitzenkandidatin bestehe darin, „dem Allgemeinwohl verpflichtet“ zu sein. Das sei „das Gegenteil einer Politik für Eigeninteressen, und angesichts der vielen Krisen und Skandale ist es das, was die Leute brauchen“.

Sam Tanson meint dazu, es müsse „Schluss damit sein, Klimaschutz und andere Themen gegeneinander auszuspielen“. Woraus einerseits die Erfahrung spricht, dass die Grünen in der zweiten Legislaturperiode des Dreierbündnisses viel stärker als in der ersten von der CSV in ihren Kernthemen angegriffen wurden. Ob Gilles Roth in der Kammer rief, „Gréng gett deier!“, Martine Hansen von „Willkür“ im Naturschutz sprach oder Laurent Mosar auf Twitter Reklame für Atomkraftwerke oder Verbrennungsmotoren machte. Auf der anderen Seite will Tanson den Klimaschutz politisch nicht so überhöhen, dass er wichtiger aussieht als alles andere. Wenn die Grünen ihn nun offenbar in einem kollektiven Engagement für das Allgemeinwohl aufheben möchten – „Zesummen!“ –, dann zielen sie auch auf neue Wählerschichten. Alle Eltern, sagt Sam Tanson, und da erhält die verantwortungsvolle Mutter in der Spitzenkandidatin ihren Sinn, müssten sich darüber klar werden, dass es „auf uns“ ankommt, den Kindern und Enkeln eine Gesellschaft zu ermöglichen, die so frei sein könne wie die heutige. Wo nicht etwa eines Tages Einschränkungen erlassen werden müssten wie 2020 wegen Covid-19, diesmal zur Klimarettung. „So etwas kommt überhaupt nicht infrage!“, erklärt sie. Und: „Wir machen eine Politik für alle Menschen in Luxemburg, egal ob sie grün wählen. So dass ich schon den Anspruch habe, dass wir eine Volkspartei sind.“ Alle würden gebraucht, auch die Betriebe, die Gemeinden. Der Index sei wichtig, erklärte sie am Dienstag in ihrer Kongressrede, aber in Zeiten hoher Inflation müsse man auch an die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen denken. So bringen die Grünen die biophysikalischen Grenzen des Planeten mit marktwirtschaftlichen Instrumenten zusammen. Ihre Volkspartei ist ökoliberal und koalitionsfähig im Grunde nach allen Seiten.

Peter Feist
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