Déi Lénk führte auf ihrem Kongress eine Frauenquote in der Nationalen Koordination ein. Die Diskussionen darüber versinnbildlichen den Zustand der Partei

„E kloert Signal“

Thessy Erpelding, Myriam Cecchetti, Nathalie Oberweis
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 31.03.2023

Das Kapital Ana Correia da Veiga brachte es am Ende des langen Nationalkongresses der Linken am Samstag im Casino Syndical in Bonneweg auf den Punkt: Das Kapital von Karl Marx stehe zwar bei ihr zuhause im Regal, gelesen habe sie es aber noch nicht. Auch wisse sie nicht, was der Unterschied zwischen Maoisten und Marxisten sei. Sie engagiere sich bei der Linken nicht wegen Dogmen und Ideologie, sondern um gegen Ungerechtigkeiten und für Klima- und Umweltschutz zu kämpfen, sagte die Stater Gemeinderätin. Ihrer Intervention vorausgegangen war eine Diskussion um eine Statutenänderung, die 23 Jahre nach ihrer Gründung endlich binäre Parität in der Nationalen Koordination (Nako) der Partei herstellen sollte. Begonnen hatte der Prozess auf dem letzten Nationalkongress im April 2022 in Colmar-Berg mit einer Resolution, die im Laufe der vergangenen Monate von der Arbeitsgruppe Feminismen zu einem Vorschlag der Nako für die Statutenänderung ausformuliert worden war. Sie sieht vor, dass in das statutarisch wichtigste Gremium der Linken nur noch so viele Männer gewählt werden dürfen wie Frauen. Nicht-binäre Menschen müssen sich für ein Geschlecht entscheiden.

Seit der Parteigründung ist die Mitgliederzahl des Gremiums unbegrenzt. Letztes Jahr bestand es aus 17 Männern und elf Frauen. Die Statutenänderung, die am Samstag vom Kongress mit der notwendigen Zweidrittel-Mehrheit verabschiedet wurde, limitiert die Zahl der Mitglieder zwar nicht direkt, indirekt aber schon, weil selbst bei der feministisch ausgerichteten Linken in der Regel weniger Frauen als Männer für die Nationale Koordination kandidieren. Das hatte am Samstag zur Folge, dass sie künftig „nur“ noch aus 36 Mitgliedern besteht und acht Männer, die kandidiert hatten, nicht gewählt wurden, darunter Pietro Benedetti, Marc Burggraff und Alain Sertic, die zur Wiederwahl standen. Sie dürfen zwar weiterhin an den Versammlungen der Nako teilnehmen, haben aber kein Stimmrecht mehr.

Die sich selbst als Trotzkisten bezeichnende „Strömung“ um den früheren Landesverband-Vorsitzenden Jean-Claude Thümmel und dessen ehemaligen Vizepräsidenten Alain Sertic, zu der sich auch die Künstlerin Dagmar Limberg und Jean Larock von der Escher Fahrradinitiative Vélorution zählen, sowie der selbsterklärte Anarchist und Linke-Urgestein Fred Heyar vermuteten hinter der Statutenänderung eine Maßnahme der Parteiführenden zum Schutz vor Entrismus. Um sie zu verhindern, hatten sechs männliche und eine weibliche Linke vor der Abstimmung eine Motion mit dem Titel Pour un véritable féminisme de classe vorgelegt. Darin hieß es, die Statutenänderung sei undemokratisch, weil sie zur Folge habe, dass Mitglieder aus dem Entscheidungsprozess der Partei ausgeschlossen würden. Dagmar Limberg meinte in ihrem Redebeitrag, die Limitierung der Zahl der Nako-Mitglieder führe dazu, dass die Linke ihre basisdemokratische Ausrichtung aufgebe und ihre Organisationsstruktur sich der bürgerlicher Parteien annähere: Entscheidungen würden nur noch von einem geschlossenen Zirkel getroffen. Ein dementsprechender Gegenentwurf der Trotzkist/innen zur Statutenänderung der Nako verwarf die Frauenquote und sah stattdessen die Einführung einer Commission égalité vor, die einerseits darauf achten solle, dass nicht nur Frauen in den Entscheidungsgremien der Partei angemessen vertreten sind, sondern auch Nicht-Luxemburger/innen, Angehörige der Arbeiterklasse und Mitglieder der LGBTQI+-Community. Andererseits solle die Kommission Weiterbildungsprogramme in Klassenfeminismus und Genderfragen anbieten. Allerdings wurde der Gegenentwurf zur Statutenänderung nicht termingerecht eingereicht, sodass er nicht zur Abstimmung kam. Die deswegen noch schnell vorgelegte Motion wurde mit 33 Gegenstimmen (und sechs Enthaltungen) abgelehnt. Immerhin 18 Mitglieder unterstützten sie.

Formalisierte Strömungen gibt es in der luxemburgischen Linken eigentlich nicht (mehr). Die stalinistische KPL wurde 2003 wieder selbstständig, die trotzkistische Ligue communiste révolutionnaire hatte sich 1999 aufgelöst, ihre Ideen sind nur noch minoritär vertreten. Vor 20 Jahren rekrutierte die Linke neue Mitglieder vorwiegend aus sozialen und ökologischen Jugendbewegungen wie der Jugend fir Fridden a Gerechtegkeet oder der Jugendorganisation des Mouvement écologique. Heute passiert das nur noch in Ausnahmefällen. Déi Lénk schafft es kaum noch, junge Mitglieder von ihr ideologisch nahe stehenden Organisationen wie Fridays for Future, Unel, Cid Fraen an Gender, Cigale, Asti, Lëtz Rise up, Finkapé oder Richtung 22 anzuziehen und längerfristig an sich zu binden. Der Aufbau einer Parteijugend ist in den vergangenen Jahren immer wieder gescheitert. Der 25-jährige Ben Muller, politischer Parteikoordinator von Déi Lénk und Kandidat für die Gemeindewahlen in Petingen, führte das in dieser Woche im RTL Radio darauf zurück, dass progressiv denkende Jugendliche in der Regel zum Studium ins Ausland gingen. Allerdings finden nach ihrer Rückkehr vom Studium nur wenige den Weg zur Partei (zurück). Und wenn doch, bleiben sie häufig nicht lange. Einige, die vor zehn Jahren bei Laika oder Déi jonk Lénk aktiv waren, sind zum OGBL gewechselt und haben ihre Verbindungen zur Linken gekappt. Andere beschränken ihr Engagement inzwischen auf den zivilgesellschaftlichen oder künstlerischen Bereich. Der 1999 bei der Gründung formulierte Anspruch, die Linke sei in sozialen Bewegungen verankert, scheint kaum noch erfüllt. Insbesondere in Esch/Alzette kandidieren zwar viele Mitglieder, die im sozialen oder Bildungsbereich tätig sind. Die meisten von ihnen wurden aber nicht in sozialen Bewegungen sozialisiert, sondern wurden erst wegen ihres Berufs von der Linken angezogen oder rekrutiert. Über fundierte Grundkenntnisse in marxistischer Theorie verfügen sie häufig nicht. In anderen Sektionen verhält es sich ähnlich.

Machtstruktur Dominiert wird die Linke vorwiegend von ihren Mandatsträger/innen. Das am Dienstag neu gewählte oberste Gremium, das Koordinationsbüro (Buco), setzt sich aus den (rotierenden) Abgeordneten Marc Baum, Myriam Cecchetti und David Wagner sowie aus den (ebenfalls rotierenden) Gemeinderät/innen Patrizia Arendt, Gary Diderich (Ko-Parteisprecher) und Thessy Erpelding zusammen. Ergänzt wird es durch die ehrgeizige Ko-Parteisprecherin Carole Thoma, die bei der von Gary Diderich mitbegründeten Life asbl. ehrenamtlich engagierten Psychotherapeutin Nathalie Reuland und Serge Tonnar, der zwar erst seit einem Jahr Mitglied der Linken ist, wegen seiner Bekanntheit jedoch als vielversprechender Kandidat für die Kammerwahlen gehandelt wird und am Dienstag bei einer Protestaktion gegen das Bettelverbot vor dem Rathaus der Stadt Luxemburg ein selbstkomponiertes „brechtsches“ Gedicht vortragen durfte. Unter den 36 Mitgliedern der Nako finden sich fast alle nationalen und kommunalen Mandatsträgerinnen wieder.

Diese Konzentration von Macht mag dem Umstand geschuldet sein, dass die Partei nur über insgesamt 550 Mitglieder verfügt, von denen längst nicht alle aktiv sind. Zwar hat die Linke eigenen Angaben zufolge seit Januar 2022 rund 65 neue hinzu gewonnen, die Summe der im Kassenbericht verbuchten Mitgliedsbeiträge lag aber vergangenes Jahr 5 000 Euro unter der von 2021 und 1 500 bis 2 500 Euro unter denen der Jahre 2018 bis 2020, was darauf schließen lassen könnte, dass die Linke in den vergangenen Jahren Mitglieder verloren hat. Als mögliche Austrittsgründe gelten die zwiespältige Haltung der Partei zur Corona-Impfpflicht oder zum Ukraine-Krieg. Für Kritik sorgte zuletzt die von der Abgeordneten Nathalie Oberweis im Juni in einer Kammerdebatte getätigte Aussage, auch Russland müsse „bestimmte Sicherheitsgarantien“ erhalten, damit ein Friedensabkommen möglich sei. Schon vor einem Jahr hatte sie in der Abgeordnetenkammer Russlands Angriff auf die Ukraine in einem Atemzug mit der Besetzung der palästinensischen Gebiete durch Israel genannt und zu einem Boykott von israelischen Produkten aufgerufen. Ihre Positionen scheinen innerhalb der Nako auf Zustimmung zu stoßen. Ein weiterer Kritikpunkt ist die chaotische Organisation der Partei, die auch am Samstag deutlich wurde. Für die Vorstellung der beiden wichtigsten Punkte – dem Rahmenwahlprogramm und der Statutenänderung – fühlte keiner sich zuständig; die Mitglieder, die kurzfristig einsprangen, waren nicht mit den Details der Texte vertraut. Bei der Abstimmung über die Motionen und Resolutionen verloren viele den Überblick.

Nur rund 60 Mitglieder und Sympathisant/innen waren beim 20. ordentlichen Kongress am Samstag anwesend. Als die Escher Sektion vor fünf Wochen ihre Kandidat/innen und ihr Programm in der Maison du Peuple vorstellte, waren fast 100 gekommen. In Esch/Alzette hofft Déi Lénk, mit LSAP und Grünen ein Bündnis eingehen zu können, um die von CSV und DP dominierte „riets Koalitioun“ mit den Grünen zu stürzen, wie Marc Baum es am Samstag ausdrückte. Wie André Hoffmann vor 23 Jahren will er im Juni in Esch Schöffe werden. Dass die Sektion nicht ihn, sondern seinen jungen Namensvetter Samuel Baum (28) neben Gemeinderätin Line Wies (34) zum Ko-Spitzenkandidaten wählte, hat ihn zwar enttäuscht, soll ihn aber nicht davon abhalten, Erstgewählter zu werden. Die Strategie dahinter: Da der erfahrene Marc Baum (44) sowieso populär ist, stellt die Linke im Wahlkampf den im gesellschaftlichen Leben zwar bekannten, aber politisch gänzlich unerfahrenen Samuel Baum in die Vitrine, um die Chancen auf einen dritten Sitz zu erhöhen. Ob die Rechnung aufgeht, bleibt abzuwarten.

E kloert Signal „Mär si keng reng Oppositiounspartei. Soulaang mär eis Iwwerzeegungen net mussen op der Streck loossen, wäerte mär mat dobäi sinn, wann de Wieler duerch seng Stëmm bei de Walen e kloert Signal sent fir eng sozial-ökologesch Verännerung“, verkündete auch Gary Diderich am Samstag. Die Linke verfüge dafür über die richtigen Kandidat/innen: „Leit, déi en ausgepräägte Sënn fir Politik hunn a wëssen, wat et fir strukturell Decisioune brauch, a mat laangjäreger Erfarung an Zivilgesellschaft, Associatiounen, a Gemengen- a Schäfferéit“. Kandidat/innen mit Erfahrung in Schöffenräten hat die Linke aktuell nur zwei, und zwar in Sanem: Myriam Cecchetti (57), die von den Grünen kam, und ihr Lebensgefährte Jos Piscitelli (64), der vorher bei der LSAP (und noch davor bei der CSV) war. Unumstritten sind die beiden in der Linken nicht, doch weil sie 2017 den zweiten Sitz holten und die Partei wegen ihnen ihr Resultat in Sanem verdoppeln konnte, sind sie unverzichtbar geworden. In der Stadt Luxemburg tritt Déi Lénk mit gleich vier Spitzenkandidat/innen an: die Abgeordnete Nathalie Oberweis (40) und ihr Vorgänger David Wagner (44) sowie Gemeinderätin Ana Correia da Veiga (40) und Julien Gannard (45). In Düdelingen führen Carole Thoma (32) und ihre Mutter Thessy Erpelding (56) die Liste an, in Petingen die OGBL-Gewerkschafterin Sonia Neves (46) und Parteikoordinator Ben Muller (26), in Differdingen treten die Gemeinderäte Gary Diderich (40) und Eric Weirich (38) zusammen mit der Bibliothekarin Fio Spada (59) und der Studentin Jessika Rodrigues (32) an. In Schifflingen hofft OGBL-Berater Andrea Spigarelli (42) noch genug Leute zu finden, in Mersch hatten Serge Tonnar (53) und der Literaturkritiker Jérôme Jaminet (43) letztes Jahr zwar eine Sektion gegründet, für eine Liste reicht es jedoch nicht. Während in der reichen Hauptstadt und auch in Esch/Alzette, Düdelingen und Sanem die Kandidat/innen mehrheitlich aus dem Bildungsbürgertum und der Mittelschicht stammen, sind die Listen in Differdingen und insbesondere in Petingen in sozialer Hinsicht divers. Geschlechterparität ist überall erreicht. Außer in Esch (38 Jahre) und Differdingen (40 Jahre) liegt das Durchschnittsalter auf den anderen Listen mit 45 bis 50 Jahren relativ hoch.

Inhaltlich hat die Partei die ökosozialistische Resolution, die sie vor einem Jahr in Colmar-Berg verabschiedet hat, in ein ausführliches Rahmenwahlprogramm gegossen, das den einzelnen Sektionen bei den Gemeindewahlen als Leitfaden dienen soll. Es umfasst die Themenbereiche Umweltschutz, Bürgerbeteiligung und Soziales und liest sich wie eine konsequentere Version der Programme von LSAP oder Grünen. Im Mittelpunkt steht die Forderung, dass kommunale Dienstleistungen in öffentlicher Hand bleiben sollen. Sie ist der politische Leitfaden. Den „Trotzkisten“ ging das nicht weit genug, sie forderten in einer Motion zusätzlich die Rückführung bereits ausgelagerter Dienste unter die öffentliche Kontrolle und die Verbeamtung des Personals sowie die Schaffung autonomer Jugendzentren, was vom Kongress auch angenommen wurde.

Der Trotzkist Alain Sertic (62) mahnte am Samstag zur Selbstkritik. Ihm zufolge ist die Partei nicht dazu bestimmt, mitzuregieren; außerparlamentarische Opposition und das Engagement in sozialen Bewegungen seien wichtiger als Parlamentarismus; der Kapitalismus lasse sich nicht reformieren, sondern müsse überwunden werden. Dass die Linke andere Parteien verändern könne, wenn sie mit an der Macht wäre, sei eine Illusion, sagte Sertic. Größer sei die Gefahr, dass die anderen Parteien die Linke verändern, wie es damals schon bei der Gap passierte. Auch die Schöffenrats-Erfahrung von André Hoffmann in Esch habe das gezeigt. Bei den Gemeindewahlen 2005 hatte die Linke trotz Mehrheitsbeteiligung einen Sitz verloren, LSAP und Grüne waren anschließend eine Koalition ohne sie eingegangen. Sertic gilt in der Partei als ewiger und lästiger Nörgler. Seine Mahnungen wirkten auf dem Kongress wie aus der Zeit gefallen. Seit Samstag ist er nicht mehr Mitglied der Nationalen Koordination.

Luc Laboulle
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