LEITARTIKEL

Eiertanz in Außenpolitik

d'Lëtzebuerger Land du 03.06.2022

Wolodymir Selenskij bat nicht um schwere Waffen aus Luxemburg, als er gestern per Video zur Abgeordnetenkammer sprach. Ihm ist klar, dass Luxemburg ein kleiner Nato-Staat mit einer kleinen Armee ist. Er weiß, dass Luxemburg bereits Waffen und militärische Ausrüstung im Umfang von einem Zehntel seines Verteidigungshaushalts geliefert hat und bereit ist, mehr zu geben. Stattdessen erhoffte der ukrainische Präsident sich von „einem der Gründungsmitglieder der Europäischen Union“, wie er sagte, vor allem politische Unterstützung bei den Beitrittsbemühungen seines Landes zur EU.

Wer die Veranstaltung in der Abgeordnetenkammer verfolgte, konnte den Eindruck haben, dass das nicht so einfach ist mit der Unterstützung aus Luxemburg. Sowohl, was das Militärische angeht, als auch einen Beitritt zur EU. Man konnte gar den Eindruck haben, Luxemburg stehe nur halbherzig zur Ukraine in der Verteidigung gegen Russland. Denn Premier Xavier Bettel (DP) entgegnete Selenskij, „es ist wichtig, dass Sie Putin treffen“. Er selber habe mit dem russischen Präsidenten „zwei Mal telefoniert“, nachdem er mit Selenskij gesprochen habe. Wenngleich er das nach den Bildern aus Butscha bleibengelassen habe. Nötig sei jedoch ein schnellstmöglicher Waffenstillstand.

Das klang verdächtig nach einem Appeasement Russland gegenüber. Doch Wolodymir Selenskij hat in letzter Zeit selber von Waffenstillstandsverhandlungen gesprochen. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz und der französische Präsident Emmanuel Macron hatten am vergangenen Wochenende gemeinsam über eine Stunde lang mit Wladimir Putin telefoniert, ihn zu Verhandlungen mit Selenskij aufgerufen, um eine diplomatische Lösung zu finden und einen sofortigen Waffenstillstand zu vereinbaren. Dass Luxemburg etwas anderes vorschlagen könnte als die großen Nachbarn, wäre schwerlich denkbar.

Dass Bettel etwas anderes in Aussicht stellen könnte als die Beitrittskandidatur der Ukraine zur EU getreu den „Kopenhagener Kriterien“ zu behandeln, wäre ebenfalls schwerlich denkbar. Weil Bettel sagte, was zu sagen war, lieferte sich die Abgeordnetenkammer anschließend einen kleinen außenpolitischen Eiertanz, der zum Teil auffällig an das erinnerte, was sich diese Woche in Deutschland abspielte. Ganz ähnlich wie im deutschen Bundestag der CDU-Parteivorsitzende Friedrich Merz am Mittwoch SPD-Kanzler Olaf Scholz damit herausforderte, ein „Kriegsziel“ für die Ukraine zu benennen, erklärte in der Kammer CSV-Parteipräsident Claude Wiseler. „die Ukraine muss den Krieg gewinnen“. Genauso wenig wie Merz aber konnte er sagen, was das bedeuten soll. Hieße das, die Ukraine so auszurüsten, dass sie ihr gesamtes Staatsgebiet wieder unter ihre Kontrolle zu bringen vermag, einschließlich die 2014 von Russland annektierte Halbinsel Krim?

Der Premier ging auf Wiselers Provokation wohlweislich nicht ein. DP-Sprecher Gusty Graas vermied das auch. LSAP-Fraktionschef Yves Cruchten versprach, „wir werden verhindern, gemeinsam mit unseren Alliierten, dass Russland diesen Krieg gewinnt“. Ziemlich dasselbe sagte unlängst der deutsche Kanzler und wurde gerügt, dass nicht klar genug sei, wann Russland ihn verloren hätte. Der deutschen Außenministerin von den Grünen wurde bescheinigt, sich ein wenig deutlicher ausgedrückt zu haben, als sie am Mittwochabend im ZDF meinte, „die Ukraine muss gewinnen“. Diente das der Luxemburger Grünen-Abgeordneten Stéphanie Empain als Inspiration, die auch Präsidentin des parlamentarischen Verteidigungsausschusses ist? Nachdem sie die Ukraine in aller Ausführlichkeit ihrer „Empathie“ versichert hatte, sagte Empain plötzlich, sie müsse „diesen Krieg gewinnen können“.

Dabei liegt die vielleicht größte Herausforderung für Luxemburg in der Frage, wie mit den hierzulande eingefrorenen Vermögenswerten russischer Oligarchen umgegangen wird. Schon Ende März beliefen sie sich auf 2,5 Milliarden Euro, ein enormer Betrag. Mittlerweile ist er vielleicht höher. Die Antwort, was damit geschehen soll und wann, wird Luxemburg weitgehend alleine finden müssen. Was wichtiger sein wird als Strategiespiele eines Kleinstaats um Krieg gegen eine Atommacht.

Peter Feist
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