Neue Regierung in Österreich

Der schon wieder

d'Lëtzebuerger Land vom 17.01.2020

Dann ging es plötzlich schnell: 100 Tage nach der Wahl fanden sich 17 Ministerinnen und Minister in Spe beim österreichischen Bundespräsidenten Alexander van der Bellen ein. In augenscheinlich bester Laune. Auch der höchste Staatsmann war guter Stimmung und absolvierte die Angelobung der neuen Regierung in lockerer Routine, peinlich darauf achtend, als mittlerweile Überparteilicher seinen einstigen Parteifreunden der Grünen nicht mit augenscheinlich höherer Sympathie zu begegnen als den Kollegen aus den Reihen der Neuen ÖVP: Jeder Händedruck dauerte gleich lang.

Der österreichische Rundfunk ORF steuerte zur entspannten Atmosphäre mit einem technischen Lapsus das Seine bei und untertitelte den Staatsakt mit Texten aus der vorangegangenen Telenovela. Das führte zu unfassbar komischen Szenen, etwa, als der alt-neue Bundeskanzler Sebastian Kurz auf dem roten Barocksofa Platz nahm, um seine Unterschrift zu platzieren, und der Präsident im Untertitel lesbar stumm aufseufzte: „Der schon wieder.“ Oder als dem künftigen grünen Vizekanzler Werner Kogler bei der Ernennung schriftlich in den Mund gelegt wurde: „Mache ich gerade einen Fehler?“

Auch die Regierungsspitze könnte sich in ihrer Gegensätzlichkeit kein Satiriker besser ausdenken: Hier der jungenhaft glatte, hoch kontrollierte und mit allen Wassern der Inszenierung gewaschene Kanzler Kurz, dort der bodenständig-handfest wirkende Vizekanzler Kogler, dem Lebenserfahrung und Tatkraft ebenso anzusehen sind wie seine politische Intention bei jedem Auftritt spürbar wird. In diesem Sinn heißt Türkis-Grün ein Nebeneinander von Gegensätzen: Message Control versus Esprit, Inszenierung versus authentisches Anliegen, Rhetorik versus Schlagfertigkeit.

Tatsächlich werden beide Seiten nicht müde zu betonen, dass in der neuen türkis-grünen Koalition „unterschiedliche Kulturen“ einen gemeinsamen Weg suchten. Erkennbar etwa auf den letzten Metern der Koalitionsverhandlungen: Während Kurz als Chefverhandler der Konservativen die von ihm türkis umgefärbte Volkspartei ÖVP ungefragt geschlossen hinter sich wusste, mussten sich Werner Kogler und sein Team dem Votum der Basis stellen. Die Präsentation der Regierungspläne und die Abstimmung im Plenum waren alles andere als eine „g’mahte Wiesn“ oder reine Formalität: Die Anwärter auf die Regierungsämter standen über Stunden Rede und Antwort und hatten durchaus zu kämpfen.

Doch die Delegierten gaben grünes Licht in zunächst nicht erwartetem Ausmaß: Mehr als 93 Prozent der Delegierten sprachen sich für die Koalition aus, über 99 Prozent Zustimmung stärkten dem grünen Regierungsteam den Rücken. Im Wissen, dass es ein Wagnis für die Partei ist, die zwar in Österreich bisher in diversen Länderparlamenten vertreten, aber noch nie in Regierungsverantwortung war. Ein Wagnis, denn das Regierungsprogramm trägt zwar in Teilen deutlich grüne Handschrift, spiegelt klarerweise aber auch die wahren Kräfteverhältnisse in der Regierung wider: 37 Prozent für die türkise Kurz-ÖVP und gut 14 Prozent für die Grünen bei der Nationalratswahl ergibt in der Regierung eine entsprechende Gewichtung: Fünf MinisterInnen der Grünen stehen zwölf türkisen Ministern und Staatssekretärinnen gegenüber.

Die Partner bemühen sich – im Gegensatz zur Selbstdarstellung der schwarz-blauen Regierung „Kurz I“ – erst gar nicht, große Harmonie und absolute Übereinstimmung im Inhaltlichen vorzuspielen. Es sei dies kein Programm der Kompromisse, wie bisherige Koalitionsvereinbarungen gestaltet wurden, sondern ein neuer Ansatz. Es vereinige „das Beste aus zwei Welten“, formulierte Kanzler Kurz blumig. Die Beteiligten sollten jeweils die Bereiche bespielen, in denen sie ihre Kompetenzen und ihre stärksten Anliegen umsetzen können. Dass man sich dabei natürlich gegenseitig ins Gehege kommt, blieb zunächst unausgesprochen.

Die Neue Volkspartei setzt nach wie vor mit populistischem Impetus auf die Themen Sicherheit und einen „harten Kurs“ in der Migrationsfrage, der symbolhaft im Kopftuchverbot für Mädchen in der Volksschule und in der Forderung nach einer Sicherungshaft für mögliche Straftäter sichtbar wird. Die Grünen zeigen mit ambitionierten Klimaschutz-Vorhaben Flagge, machen aber auch an anderer Stelle Konfliktfelder spürbar: Etwa, wenn Werner Kogler in der Kopftuch- und Sicherheitsfrage das grüne Kernthema Menschenrechte in die Waagschale wirft und betont, alle Vorhaben müssten der österreichischen Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention entsprechen. Die künftige Justizministerin stellen mit Alma Zadic die Grünen.

Rudi Anschober, in Oberösterreich seit langem mitregierender und langgedienter Grüner, ist erster grüner Sozialminister. Eleonore Gewessler, NGO- und Brüssel-erfahrene Umweltaktivistin, leitet das gewichtige Ressort Verkehr, Innovation und Technologie. Ulrike Lunacek, grünes Urgestein und lange Wegbegleiterin Koglers, ist als Staatssekretärin für Kultur zuständig, Vizekanzler Koglers Ressort umfasst Sport und das Beamtenwesen. Wie sie sich gegenüber der türkisen Übermacht in der Regierung behaupten, wird die Nagelprobe werden. Die Alternative wäre gewesen: Kurz die Tür zu den sich als „erneuert“ und um die Strache-Partie bereinigten Freiheitlichen erneut zu öffnen und das Land weiter auf dem offen rechts-populistischen Kurs zu belassen.

Irmgard Rieger
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