ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Straßenbahn

d'Lëtzebuerger Land du 24.10.2025

„Springen werden die Straßenbahnen / Das Feuer der Lampen wird glüh’n in der Nacht / Wie siegreiche Banner.“ Prophezeite Wladimir Majakowski 1913 (Tragödie). Zur Huldigung der Staatsmacht paradierten Anfang des Monats statt Soldaten Straßenbahnen vor dem neuen Großherzog. Entluden im Feuer der Laser-Lampen ein Volk von Feuerwehrmännern, Sportlerinnen, Kunstschaffenden. Wie einst die Proletkult-Umzüge in Sowjetrusslands Straßen. In Majakowskis Worten versprach das Programm „un ballet multicolore de trams“. Auf dem „pont Grande-Duchesse Charlotte, véritable symbole [...] de la résilience de la société luxembourgeoise“ (trounwiessel.lu).

Das Straßenbahnballett machte die Straßenbahn zum Ausdruck patriotischen Stolzes. Des politischen Voluntarismus – nach zwanzigjährigem Zögern. Des ökologischen Verantwortungsbewusstseins – mit einer geplanten Haltestelle GridX. Springende Straßenbahnen kündigten eine Nation glücklicher Tramfahrer an.

Die Straßenbahngleise führen nicht nur Richtung Findel, Stadion. Sie führen in die Moderne. Seit 150 Jahren wird die Straßenbahn als Vehikel des Fortschritts gefeiert. Des technischen Fortschritts: stromlinienförmig, metallisch glänzend, transparent wie auf dem Umschlag der neuen Statec-Broschüre Le Luxembourg en chiffres. Des wirtschaftlichen Fortschritts, wenn sie zum Nulltarif Büros, Geschäften zwischen Kirchberg und Cloche d’Or Arbeitskräfte abliefert.

Die Pferdestraßenbahn legte 1874 eine Anleihe auf als moderner „chemin de fer américain“. Ein Jahr später freute sich Präsident du Bois: „L’inauguration qui nous réunit aujourd’hui marque une nouvelle étape du Grand-Duché dans la voie du progrès. Voilà les fruits d’une administration libérale et intelligente !“ (Luxemburger Wort, 22.2.1875).

In der zweiten industriellen Revolution wurde die Straßenbahn elektrisch. Als Fortschritt gegenüber der ländlichen Päerdstram, der qualmenden Schmalspurbahn, gegenüber dem 19. Jahrhundert. 1908 glaubte die Provinz, das Gespenst der Urbanität zu hören: „Seit acht Tagen werfen die Signalglocken der Elektrischen Straßenbahn einen gewissen großstädtischen Klang in das Treiben unserer Straßen“ (Luxemburger Zeitung, 8.8.1908).

Selbst die Abschaffung der Straßenbahn machte 1964 Luxemburg moderner: „In absehbarer Zeit wird die letzte Trambahnlinie der Stadt Luxemburg verschwinden. Kein Autofahrer wird diesem stählernen Ungetüm nachtrauern, weil es eine unverantwortliche Verkehrsgefährdung darstellte“ (Lëtzebuerger Land, 24.1.1964).

Dem fordistischen Fortschrittsgedanken hing die „administration libérale et intelligente“ Jahrzehnte lang an. Im Namen von Ladenbesitzerinnen, Autofahrern: Im Wahlkampf 1999 ließ sie Gelenkbusse aneinanderkuppeln. Um die Monstrosität eines altmodischen „Zuch duerch d’Nei Avenue“ zu veranschaulichen.

Die Umweltschutzbewegung entdeckte im Fortschritts- den Rückschrittsgedanken. Eisenbahner, Umweltschützer gründeten 1991 eine Association pour la propagation d’un tramway moderne à Luxembourg. 2017 machte nunmehr die Wiedereinführung der Straßenbahn die Stadt, das Land moderner.

Die Wirtschaftspolitik unterscheidet zwischen Export- und Binnenmarkt. Auch bei der Versinnbildlichung nationalen Fortschritts: Als Fortschrittssymbole für Ersteren rasen SES-Satelliten um die Erde. Dem politischen, ökonomischen Binnenmarkt muss die betuliche Straßenbahn Fortschritt genug sein. Auch die schnelle Tram darf nicht über die Stränge schlagen.

Die Straßenbahn ist keine kleine Eisenbahn. Sie ist das Gegenteil. Die Eisenbahn fährt in die Welt hinaus. Im Austausch mit ausländischen Kollegen erkannten Eisenbahner ihre soziale Lage. Die Straßenbahn rollt durch die Kleinstadt. Ihr Kleinbürgertum denkt in Schienen. Sie erlauben keine Abweichung. Statt von der Verruchtheit der Großstadt träumt es von Fahrradwegen, Parkplätzen vor seinem Bäcker. Wenn eine Stadtbahn nationaler Stolz ist, wird das Land eine Stadt, der Regierungschef zum Bürgermeister.

Romain Hilgert
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