Die ADR legt in Umfragen zu – auf Kosten der CSV. Chefideologe Fred Keup prescht seit Wochen mit seinen Kernthemen vor

„Soll d’Luxair-Personal Lëtzebuergesch schwätzen?“

Fred Keup  vor einer ADR-Pressekonferenz
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 24.10.2025

Es gebe da ein paar „sensible Fragen“, sagt Spitzenkandidat Claude Wiseler in einer internen CSV-Versammlung im Vorfeld der Wahlen 2018 ins Mikrofon. Zum Beispiel: „Wéi ass et mam Här Keup?“ Die Antwort müsse lauten: „Et ass een ADR-Kandidat. Punkt.“ Mehr sollten die CSV-Wahlkämpfer über die ADR nicht sagen, coacht Wiseler seine Parteikollegen. Fred Keup hatte der CSV ein Koalitionsangebot gemacht – „aber wir haben nein gesagt“. Nicht begeistert von dieser vorgegebenen Linie zeigt sich CSV-Kandidat Michel Wolter. Denn: „Was ist, wenn Rot, Grün und Blau eine Koalition mit uns verweigern?“ „Dat geschitt net, Michel“, antwortet Wiseler resolut. Aly Kaes will auf die Frage von Wolter zurückkommen. Wiseler wird nervös. Er formt mit Zeigefinger und Daumen einen Kreis, schließt die Augen: „Et kënnt keng Koalition mam ADR.“ Die Szene ist in dem Dokumentarfilm De Plang nachzusehen.

Die CSV fürchtete sich vor der Popularität des politischen Neophyten Fred Keup. 2015 wurde er gemeinsam mit seinem Parteikollegen Tom Weidig durch außerparlamentarische Opposition im Rahmen des Referendums bekannt. Beide engagierten sich in der Plattform Nee2015 , die sich insbesondere am Ausländerwahlrecht stieß. Sie sprachen von einem Angriff auf die luxemburgische Identität und einer Frankophonisierung der Gesellschaft – eine bis dahin für Luxemburg ungewöhnliche Schwerpunktverschiebung und Polarisierung. Der Erfolg aber blieb zunächst aus. 2018 mobilisierte nicht die ADR den Unmut der Wahlberechtigten, sondern die Piraten. Erst 2023 gewann die Partei zwei Sitze hinzu und erlangte Fraktionsstärke.

Seit Wochen spult die ADR erneut ihre Sprachenempörung in den sozialen Netzwerken ab: „Soll d’Luxair-Personal Lëtzebuergesch schwätzen? Mir als ADR si kloer dofir!“, postete sie diese Woche auf Instagram. In einem anderen Beitrag moniert sie, die Regierung sei verantwortlich für „Franséisch an de Crèchen, Franséisch an der Spillschoul, Franséisch an der Beruffsausbildung“. 1 000 Likes erhielt die Instagram-Seite der ADR, als Keup in einem Video darauf hinwies, dass „villes just op Franséisch“ beschriftet sei. Dabei zeigt er unter anderem auf einen Mülleimer, auf dem „Ville de Luxembourg“ steht.

Die luxemburgische Gesellschaft werde durch die neu eingeführte Option der französischen Alphabetisierung zersetzt, klagte der ADR-Fraktionspräsident Fred Keup am Montagmorgen öffentlichkeitswirksam im RTL-Radio. „Ech mengen, dass mer domat eis Méisproochegkeet, d’Lëtzebuergescht an och dat Däitscht laangfristeg verléieren. Dat wäert d’Identitéit vum Land ganz staark beanträchtegen.“ „Tricksereien“ wende Minister Claude Meisch im Bildungsbereich an. RTL bewarb das Interview eine Viertelstunde später mit der Keup-Aussage: „Implodéierung vun eisem Schoulsystem, wéi mer en kannt hunn.“ Eine Stunde später antwortete der Bildungsminister über denselben Sender: Die PISA-Studie und der Bildungsbericht der Universität hätten eine Benachteiligung ausländischer Kinder festgestellt. „Wir hätten gerne faire Bildungschancen für alle Kinder, unabhängig von ihren kulturellen und sprachlichen Wurzeln.“ Zu einer Frankophonisierung des Bildungssystems komme es nicht, denn in fast der Hälfte aller Unterrichtsstunden werde untereinander Luxemburgisch gesprochen, so Meisch.

Zu diesem Zeitpunkt erhielt der ADR-Chefideologe bereits Applaus für sein Meisch-Bashing. Und der User Gianthogweed berichtet in den Kommentarspalten, er sei ein enttäuschter CSV-Wähler und würde heute die ADR wählen. Viel zu links sei diese Regierung. Als Beweis führt er die mangelnde Kritik am Recht auf Abtreibung und an der Steuerreform „zu Laascht vun traditionelle Koppelen“ an. Seine Aussage steht stellvertretend für einen Trend, den die aktuelle Ilres-Umfrage nahe legt: Zwei Sitze würde die ADR zulegen, während die CSV nicht weniger als vier einbüßen würde. RTL-Journalistin Caroline Mart kommentierte, in früheren Umfragen sei eine Wählerwanderung von der CSV zur DP beobachtet worden. Diese Umfrage jedoch habe ergeben, dass die ADR mittlerweile vielen (ehemaligen) CSV-Wählern als „Alternative“ erscheine.

Vergangene Woche konnte sich Fred Keup erneut als Kämpfer für die Meinungsfreiheit und als Schutzwall gegen Gleichberechtigung inszenieren, als Joëlle Welfring (Grüne) eine Resolution zur Stärkung der Gleichberechtigung in der Abgeordnetenkammer zur Abstimmung brachte. Die Resolution war eine Reaktion auf einen zuvor im Wort erschienenen Meinungsbeitrag des DP-Abgeordneten Gérard Schockmel, in dem er den Feminismus als „Diktat“ und „zerstörerische Kraft“ verunglimpfte, deren Ziel die „systematische Diskriminierung des Mannes“ sei. In resolutem Tonfall, abwechselnd mit der linken und rechten Hand durch die Luft fuchtelnd, stellte sich der ADR-Politiker im Parlament gegen den Vorschlag: Die Resolution sei eine „Hetzjagd“ auf Herrn Schockmel. Gefielen den Grünen andere Meinungen nicht, kämen sie mit dem „Totschlagargument“, man habe es mit einem „Menschen- und Frauenfeind“ zu tun. „Den Här Schockmel gëtt un de Pranger gestallt, gëtt duerch d’Strooss gezunn“, empört sich Keup. Die Debatte sei im Keim erstickt worden – die JIF habe gar das Wort aufgefordert, der Meinungsbeitrag hätte nicht publiziert werden dürfen. „Wat ass da méi ondemokratesch wéi dat?“ Leicht entgeistert blickt Schockmel in Richtung Rednerpult, an dem Keup für ihn Partei ergriffen hat. Kurze Zeit später schneidet die ADR die Redesequenz aus dem Kammer-Stream heraus und postet sie mit dem Verweis „De Fred Keup seet, wat vill Leit denken“ in ihren sozialen Netzwerken. Die Chamber schrumpft in der ADR-Welt zur Kulisse für Werbevideos.

Neben Gérard Schockmel opponierte vor allem die ADR der Absicherung des Schwangerschaftsabbruch-Gesetzes durch die Verfassung. Die CSV hingegen will oder kann es sich nicht leisten, neben dem Koalitionspartner DP altmodisch dazustehen. Ein Imagewechsel, den die CSV seit ihrer Zeit in der Opposition 2013 vollzieht – und den die ADR ausnutzt, um sich als neue konservative Heimat zu verkaufen. 2018 warb Fernand Kartheiser vor den Wahlen gegenüber dem Quotidien: „Die ADR ist das, was die CSV vor etwa 20 Jahren war.“ Man verteidige „die christlichen Prinzipien, ohne das C zu zeigen“. Er denke etwa „an das Recht auf Leben oder auch an die Familienpolitik“. Kartheiser erinnerte zudem daran, dass Sylvie Mischel nach 29 Jahren in der CSV aufgrund von Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Abtreibung zur ADR gewechselt sei. Anders als der Kulturkatholik Fernand Kartheiser gibt sich die jüngere ADR-Truppe allerdings nicht allzu antifeministisch – sie weiß, dass es in Luxemburg keine evangelikale und nur eine begrenzte rechtskatholische Wählerschaft gibt. Vielleicht fügte Fred Keup deshalb in der Chamber im Rahmen der Debatte über Schockmel hinzu, er sei gegen den zeitgenössischen „Quoten- und Bevorteilungsfeminismus“, nicht aber gegen jenen des 20. Jahrhunderts. Und Parteipräsidentin Lexy Schoos spricht sich nicht gegen das Abtreibungsgesetz aus. Seit dieser Woche ist überdies bekannt, dass sich der Verjüngerungsprozess der Partei fortsetzt. Der Klerfer ADR-Gemeinderat Michel Lemaire wird am 20. November für Jeff Engelen ins Parlament nachrücken. Engelen, ist einer der letzten Handwerker im Parlament. Als Gewerkschafter und ADR-Gründungsmitglied gibt er sein Mandat an den 37-Jährigen ab, der derzeit für die ADR-Fraktion arbeitet.

Die Neuen Rechten baden in einer transnational aufgepeitschten Wutatmosphäre. Am konsequentesten knüpft der ADR-Abgeordnete Tom Weidig an Referenzen aus dem Ausland an. Mit Blick auf den Digital Services Act dozierte Weidig im April im Parlament, US-Vizepräsident JD Vance habe gewarnt, das Gesetz werde die Meinungsfreiheit untergraben. Eine Woche zuvor zitierte er Vance in einer interparlamentarischen Konferenz über Sicherheitspolitik in Warschau: „Vice President JD Vance has rightfully spoken about the enemy within that makes us weak.“ Über die Trump-Wahl freute er sich zu Beginn des Jahres auf Facebook: Sie bringe „den Ufank vum Enn vum Wokeness-Wahnsinn“, sowie ein Ende der „Gender-Ideologie beim Staat“. Es war sein letzter Beitrag. Kurz darauf gab das ADR-Nationalkomitee bekannt, gab das ADR-Nationalkomitee bekannt, es habe seinen Abgeordneten Tom Weidig schriftlich verwarnt, nachdem dieser einen Facebook-Kommentar geliket hatte, der zur Vernichtung der LGBT-Ideologie aufrief. Die von der Partei festgelegten Maßnahmen wurden nicht kommuniziert, vermutlich aber wurde Weidig eine Social-Media-Abstinenz auferlegt. Umso sichtbarer ist derzeit Fred Keup. Parteipräsidentin Alexandra Schoos reicht mit ihren Schwerpunkten (Gesundheitspolitik, Chatkontrolle) nicht an seine Popularität heran, und Fernand Kartheiser wiederum sitzt isoliert in Straßburg. Er taucht nur sporadisch in den Medien auf – meist dann, wenn er sich erneut mit hochrangigen Russen getroffen hat.

In Brüssel und Straßburg lassen sich die tektonischen Verschiebungen beobachten, die der Profilverlust der christdemokratischen Parteien europaweit mit sich bringt – ebenso wie die gleichzeitige Annäherung zwischen der EVP und den Rechtspopulisten. Die beiden CSV-Abgeordneten Isabel Wiseler-Lima und Martine Kemp gaben Ende September neben Fernand Kartheiser auf Nachfrage der Lieferketten-Initiative an, sich nicht gegen die Abschwächung der Direktive auszusprechen. Zudem stimmten Isabel Wiseler-Lima und Christoph Hansen als EVP-Mitglieder im vergangenen Jahr im EU-Parlament gegen die Wiederherstellung zerstörter Ökosysteme. Ein ähnliches Abstimmungsverhalten wie das der Rechtspopulisten macht die EVP nicht zwangsläufig zu Rechtspopulisten. Allerdings kippt die EVP zunehmend in eine Anti-Umwelt-Politik und nähert sich damit dem rechtspopulistischen Duktus an. Im Europawahlkampf 2024 hatte Isabel Wiseler-Lima überdies keine Strategie, um auf rechtsradikale Themensetzungen zu reagieren. Während des Wahlkampfs sagte die CSV-Kandidatin in einem Public Forum, sie wisse nicht, woher die Wählerschaft der Rechtspopulisten komme: „Déi Leit waren anzwuersch anescht virdrun … Wa mer eng Äntwert hätten, wier et einfach.“

Dass die ADR bei enttäuschten CSV-Wählern positiv auffällt, mag überraschen, da ihr Abstimmungsverhalten meist nicht stark von dem der Regierungsparteien abweicht. Noch in der vergangenen Woche verweigerte die ADR gemeinsam mit den Regierungsparteien die Unterstützung einer LSAP-Motion zur Erhöhung des Mindestlohns. Auch in sicherheitspolitischen Fragen hat die ADR durch CSV-Innenminister Léon Gloden an Protestpotenzial verloren. Gloden erklärte mehrfach, er „betreibe eine andere Sicherheitspolitik als die vorherige Regierung“. Der CSV-Minister sieht sich als Hauptkritiker der „grünen Kuschelpolitik“. Im Mai lobte Fred Keup Gloden sogar in einem Face-à-face auf RTL-Radio und meinte, dieser sei „gewëllt, d'Situatioun ze verbesseren“. Beide zeigten sich einig in Fragen der Ausweitung des „Platzverweises“ und der vermeintlichen „Straffreiheit“ von Dealern. Seit einigen Jahren haben zudem mehrere CSV-Abgeordnete den Green-Bashing-Diskurs von ADR-Politikern übertroffen. Marc Lies forderte vor den letzten Nationalwahlen: „Fort mat dem grénge Krom“, Laurent Mosar wetterte auf Twitter und X gegen E-Autos, und als Michel Wolter erklärte beim Antritt der CSV-DP-Regierung, man werde die Leute nicht länger „degoutéiren an hinnen ee schlecht Gewësse maachen“.

Vor den Wahlen 2023 rief Fred Keup dem CSV-Spitzenkandidaten zu: „Traue ihnen nicht, Luc.“ Die regierenden Parteien hätten die CSV 2013 und 2018 ignoriert und würden es diesmal ebenfalls tun. Er solle sich rechts umsehen. Können wir uns 2028 erneut auf ein solches Szenario einstellen? Am Telefon antwortet Politiker Keup: „Sofern die Wähler das wollen.“ Gibt jedoch zu verstehen. dass er sich wundert, dass die Angebote Richtung CSV ernst genommen werden. Die ADR verfolgt derzeit keine Strategie, um an Ministerposten zu gelangen. Läuft so das Betriebssystem vom Oppositionspolitiker Keup – steht die Lust an der Provokation, die Freude am zynischen Kommentar im Vordergrund. Steht man deshalb vor einem Mülleimer und ärgert sich über seine französische Beschriftung? „Dat ass eng Roll, déi mer spillen“, sagt Keup zu den ADR-Videoaufnahmen. Man versuche, auf das zu reagieren, „wat d'Leit dobausse wëllen“. Zugleich aber streitet er ab, Dossierarbeit und Paragrafenkrämerei zu scheuen. Nur hat man davon in den letzten Wochen wenig erfahren: Zur Quadripartite sowie zu Steuer- und Rentenreformen kommuniziert die ADR seit der parlamentarischen Rentrée kaum.

Bisher ist keine ernsthafte Annäherung zwischen CSV und ADR beobachtbar. Innenminister Léon Gloden hat sich in mehreren Reden und parlamentarischen Anfragen von der ADR abgegrenzt (in Bezug auf Migrantenkriminalität und Sprachkenntnissen von Polizisten). Dennoch ist nicht ausgeschlossen, dass die CSV zunehmend in einen Auszehrungsprozess mit der ADR gerät – ein Phänomen, das auch in den Nachbarländern Deutschland und Frankreich zu beobachten ist. Die Wähler dürften diesen Prozess beschleunigen. Bereits vor zwei Jahren sagte Caroline Mart zu Umfragewerten: „Am mannste beschäftegt de Rietsextremismus d’CSV-Unhänger.“

Korrigierte Version gegenüber der gedruckten Land-Ausgabe vom 24.10.2025. In dieser stand, Tom Weidig habe einen Facebook-Beitrag mit Vernichtungsfantasien gegenüber LGBT-Personen geliked.   

 

Stéphanie Majerus
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