Reform des Zuwanderungsgesetzes von 1972

Roter Faden

d'Lëtzebuerger Land vom 12.04.2007

„Wir müssen fast bei Null anfangen“, soll der delegierte Immigrationsminister Nicolas Schmit gesagt haben, als er vor gut zwei Wochen seine grobe Marschrichtung für die geplante Reform des Immigrationsgesetzes von 1972 den Abgeordneten vorstellte.
Präzise Inhalte konnte oder wollte der LSAP-Politiker noch nicht präsentieren. Nur, dass bis September ein Entwurf vorliegen, es breit diskutiert werden soll, und dass die Regierung hofft, das Gesetz möge bis Sommer nächsten Jahres im Kraft treten.

Dabei steht der Minister unter erheblichen Zeitdruck.Denn wie so oft, ist Europas Möchtegern-Musterschüler Luxemburg auch beim Thema Zuwanderung ein Nachzügler im Umsetzen europäischer Richtlinien. Sechs sind es insgesamt, welche die
CSV-LSAP-Regierung jetzt, im Rahmen der 1972-er-Reform, dringend umsetzen will beziehungsweise muss. Bei zweien hat die Europäische Kommission bereits Klage vor dem Europäischen Gerichtshof auf dem Kirchberg erhoben, eine dritte ist in Vorbereitung.

Bei Null anfangen wird die Regierung deshalb nicht. Die Richtlinie über die Drittstaatsangehörigen (2003/109/EG) schreibt vor, dass Einwanderer aus so genannten Drittstaaten, die sich fünf Jahre ununterbrochen legal in einem Mitgliedstaat aufgehalten haben, ein dauerhaftes Aufenthalt und das Recht zu arbeiten erhalten sollen. Eine Bedingung, um eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung zu erlangen, ist der Nachweis einer Krankenversicherung sowie fester, regelmäßiger Einkünfte.

Die Familienzusammenführungsrichtlinie (200386/EG) regelt für Flüchtlinge und Immigranten aus Nicht-EU-Staaten die Bedingungen für den Familiennachzug - in Europa einer der Hauptgründe für die Zuwanderung. Luxemburg bildet da keine

Ausnahme, doch ist das Phänomen hierzulande gesetzlich nicht geregelt. Die Verwaltungen entscheiden je nach Einzelfall. Selbstständige Drittstaatler, die Familienangehörige ins Land holen wollen, zahlen eine Bankengarantie, selbstständige Arbeiter müssen zusätzlich eine Kopie des Reisetickets vorlegen sowie eine Handelsgenehmigung des Mittelstandsministeriums, um eine befristete Erlaubnis zu bekommen – die Verlängerung ist an den unternehmerischen Erfolg geknüpft. In einem ähnlich rechtsfreien Raum agieren die Beamten des Immigrationsministeriums bei der Erteilung von Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen.

Es ist Europa zu verdanken, dass damit bald Schluss sein wird. Die große Freiheit bedeutet das für die Einwanderer und Arbeitssuchenden dennoch nicht. Die Richtlinien erlauben den Mitgliedstaaten, von Drittstaatsangehörigen zu verlangen, im Aufnahmeland bestimmten „Integrationsmaßnahmen nachkommen“ zu müssen. Welche genau bestimmt der Mitgliedstaat
selbst. Entscheidend ist also, welche Zugangsbedingungen der luxemburgische Gesetzgeber festhalten wird, wie restriktiv oder extensiv er die Spielräume nützt, die ihm Brüssel lässt.

„Es ist wichtig, dass wir die Richtlinien in einem positiven, die Integration fördernden Sinne umsetzen“, meint Déi Gréng-Abgeordneter Felix Braz. Viel Grund zur Hoffnung besteht nicht. Ein Blick auf die Debatte um den CSV-Entwurf zur doppelten
Staatsangehörigkeit zeigt: Die Angst vor dem Fremden überwiegt. Damit nicht zu viele kommen, wird der Doppelpass an hohe Fristen geknüpft, für ausländische Ehepartner sogar an erhöhte.

Wo denn da der „gute“ Wille der Regierung bleibe, Nicht-Luxemburger zu integrieren, fragt zu Recht die Arbeiterkammer in ihrem Avis vom 2. März. Bei der Umsetzung der Richtlinie zur Rückführung illegal Eingereister hat Luxemburg im Dezember die Bedingungen für Flüchtlinge, die politisches Asyl beantragen wollen, ebenfalls verschärft. So dass Fluggesellschaften es sich zwei Mal überlegen dürften, ob sie einen Flüchtling, dessen Asylantrag keine sichere Aussicht auf Erfolg hat, überhaupt noch transportieren.

Derlei Beispiele ließen sich mehrere anführen. Misstrauische Abschottung, nicht großzügige Integration ist der rote politische Faden, daran hat sich auch mit einer LSAP in der Regierung nichts geändert. Die von Flüchtlingsorganisationen seit Jahren
angemahnte und von Schmit in Aussicht gestellte engere Koordination von Integration und Immigration lässt weiter auf sich warten. Bei den Arbeiten zum neuen Immigrationsgesetz sitzt das für die Integration zuständige Familienministerium von vornherein nicht mit am Tisch; umgekehrt hat Marie-Josée Jacobs die Reform des Integrationsgesetz von 1993 ohne die Beamten
vom Außenministerium begonnen.

„Immigration ohne Integration, das hat mit einer modernen Zuwanderungspolitik nichts zu tun“, ärgert sich Serge Kollwelter von der Flüchtlingsorganisation Asti. Immerhin: Eine – positive – Neuerung hat Nicolas Schmit in Aussicht gestellt: Er will bestimmte Vorschläge des Wirtschafts- und Sozialrats berücksichtigen. Letzterer hatte in seinem Avis vom Herbst gefordert, die
getrennten Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen durch eine gemeinsame zu ersetzen (d’Land, 27. Oktober 2006). Die derzeit gültige Unterscheidung in vier Arbeitsgenehmigungen würde zugunsten zweier kombinierter Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen wegfallen: eine befristete für einen Beruf oder eine Branche; die bisherige – menschenunwürdige – Abhängigkeit von einem Arbeitgeber wäre somit aufgehoben.

Die zweite würde einen unbefristeten Aufenthalt und uneingeschränktes Arbeiten erlauben. Die Absicht ist klar: Es geht darum, im globalisierten Wettbewerb um Fachkräfte die Nase vorn zu haben. In einem RTL-Interview Ende März begrüßte Schmit die Überlegungen des Wirtschafts- und Sozialrates. Kritische Töne zum utilitaristischen Grundton des von ihm in Auftrag gegebenen Avis äußerteer bislang nicht. An der unverhohlenen Verwertungslogik stört sich heutzutage niemand mehr, auch kein Sozialist.

Ines Kurschat
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