Die kleine Zeitzeugin

Nostalgia

d'Lëtzebuerger Land du 03.06.2022

Ach, was waren das für Zeiten, als die Kriege noch um die Toilettenhoheit geführt wurden, wie viele Toiletten es für wie viele Geschlechter geben sollte, wer seine Notdurft wo genau verrichten durfte oder musste, und warum! Als die alten weißen Männer die neuen Bösen waren, auch wenn manche alten weißen Frauen für Nachsicht plädierten, alles war auch nicht schlecht an ihnen. Das war schön. Jetzt leiten alte, fahle Männer noch immer unsere Geschicke, was nicht beruhigend ist, und zumindest ein alter fahler Mann ist wirklich böse, zumindest benimmt er sich so.

Was waren das für Zeiten, als das erleuchtete Mädchen mit den strengen Zöpfen der Star war an einem Himmel, der bald höllisch lodern würde! Die Idealist*innen bzw. die Realist*innen liketen sie sehr, selbst global umtriebige luxemburgische Rentner*innen schworen dem Fliegen ab, es war plötzlich NoGo. Dann kreuzte Corona auf, die Luxemburger*innen saßen in ihrem Regenwald und in der Betonpampa fest, die Menschen krochen um den Block, suchten nach dem wahren Sinn. Der lag doch glatt hinter dem nächsten Hundekackehaufen verborgen, zumindest für die von Satori Heimgesuchten! Viele entdeckten die Umgebung, posteten hingerissen Unkraut und bestellten bei Amazon Wanderschuhe. Aber seit Corona Gnade gewährt, ist die Lust der Müllerin doch etwas erschöpft, und in Scharen lassen sie sich in andere Weltwinkel transportieren, wofür sie sich gar nicht mehr schämen, Flugscham ist derzeit nichts, wofür eine zur Therapeutin muss. Oder zur Beichte, für die Aussterbenden. Der Himmel ist ausverkauft, die europäischen Flughäfen melden Hochbetrieb, was soll denn auch so Eine, so eine Vereinzelte, an diesem gigantomanischen Fußabdruck ändern? Wobei das Bewusstsein natürlich schon gegeben ist, im Prinzip, eigentlich. Aber dauernd kann man auch nicht bewusst sein, die Moral schlägt auf die Moral.

Was waren das für Zeiten, als Luxemburg das Weltall entdeckte! Wo ist es jetzt eigentlich geblieben, also das luxemburgische? Was ist mit dem luxemburgischen Welttraum-Imperialismus geschehen? Wo ist diese prickende Goldgräberinnen-, die Aufbruchsstimmung geblieben? Diese Lust an der kolonialen Zukunft, koloniale Vergangenheit ist schließlich Gold von gestern? An der Universität Luxemburg kann man sich jedenfalls schon mal zum oder zur Weltraummeister*in ausbilden lassen. Auf dem Werbe-Video schrauben ein paar gutgelaunte Studierende an etwas herum, ein gelbes Lego-Mobil bewegt sich vor weltallnächtlicher Finsternis über düsteren Schotter, was jetzt auf den ersten Blick nicht extrem einladend wirkt. Aber dann kommt träumerisches Sternensperma, und Entrepreneurship und Business Management werden eingeblendet, zwei von vier wichtigen Studienzweigen für die zukünftigen Geldraummeister*innen. Das ist beruhigend terre- à-terre.

Was waren das für Zeiten, als Erlöser Rifkin die Dritte Industrielle Revolution in Luxemburg verkündete? Mit so nachhaltigen und fairen Angeboten, Angebote kommen ja besser an als Gebote. Wo ist die Dritte Industrielle Revolution geblieben? Vielleicht sind wir mittendrin und merken es gar nicht, vielleicht ist es Dritte Revolution extra light? Wie im Wunderland fahren immerhin Gratisöffis durch die blühende Landschaft mit ihren schmucken Betonséparés, auch wenn sie oft wie Geisteröffis wirken. Von allen guten Geistern verlassen. Weil das mit dem Carsharing, da waren die luxemburgischen Autonomen schon ausgestiegen, bevor sie eingestiegen waren. Weltraum, ja, ok, aber Auto, das geht zu weit. Da will hierzulande kaum jemand mehr ein dritter industrieller Revolutionär sein.

Wie betörend diese Zukunftsmusik klang! Aus einer Zeit, eben noch, jüngst, als Tornados nur in der Micky Maus stattfanden. Als Krieg noch ein Wort war aus einer anderen Zeit, einer anderen Welt, der Welt der Anderen. Unsere Bungalows, diese Bunker des Wohlstands, unsere zu Tode gepflegten Vorgärten würde diese Welt nicht erreichen. Auch wenn die Vorbot*innen, die Zeug*innen dieser Welt, die Flüchtenden, diese Autozone längst erreicht haben. Manche zu Fuß.

Michèle Thoma
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