Europa – China

Armdrücken

d'Lëtzebuerger Land vom 09.03.2012

Der Streit mit China um EU-Klimazertifikate für Flugzeuge schwelt schon länger. China wehrt sich heftig und hat gute Gründe dafür. Die Menge der kostenlos auszuteilenden Zertifikate wird auf Grund von Daten aus den Jahren 2006 bis 2009 berechnet. Dieses Verfahren wird der dynamischen Entwicklung auf dem chinesischen Luftfahrtmarkt nicht gerecht. China müsste im Vergleich zu Konkurrenten wegen seines stetig wachsenden Luftverkehrs relativ mehr Zertifikate zukaufen. Die Zertifikate sollen ab 2012 für alle Flüge in die EU verpflichtend sein. Erstmals abgerechnet wird allerdings erst 2013. China will die Einführung noch verhindern und droht mit der Stornierung milliardenschwerer Aufträge für Airbus.

Die Europäische Union hat lange versucht, CO2-Zertifikate für Flugzeuge in internationalen Verhandlungen durchzusetzen. Klimazertifikate gelten manchen als Königsweg zur Reduzierung von Treibhausgasen. Die internationale Klimapolitik liegt mit dem Auslaufen des Kyoto-Protokoll am Boden. Die Maßnahmen der EU könnten ein Signal setzen, dass sich doch noch etwas bewegt. Die Frage lautet, ob die EU mächtig genug ist, sich gegen eine Koalition von Staaten zu behaupten, um Fortschritte in der internationalen Klimapolitik durchzusetzen. China steht mit seiner Kritik nicht allein. Die Vereinigten Staaten lehnen die Zertifikate ab, halten sich öffentlich aber noch zurück. Auch Indien und Russland werden die neuen Kosten nicht begrüßen, ebenso wie die Verbraucher. Innereuropäische Flüge sollen um circa zehn Euro interkontinentale Flüge zum bis zu 40 Euro teurer werden.

Europa ist für China der wichtigste Markt. Das gilt auch umgekehrt. Zum ersten Mal in der neueren Geschichte ist der Westen nicht mehr überlegen. China ist zu einem gleichwertigen Gegner herangewachsen. Es ist keineswegs sicher, dass die EU genug Druck aufbauen kann, um China zum Einlenken zu bewegen. Wer mehr Autos in China verkauft als in seinen Heimatmärkten, hat auch beim Flugzeugbau nicht die besten Karten. Der Ausgang des Streits mag die zukünftigen Beziehungen viel stärker beeinflussen, als es der Bedeutung der reinen Sachfrage zukommt. Er könnte einen Richtungsentscheidung sein über den zukünftigen Ton in den gegenseitigen Beziehungen. Dass die EU in China immer wieder um Gelder für seine Rettungsfonds wirbt, verstärkt die europäische Position ebenso wenig.

Gegen das einseitige Vorgehen der EU ist als solches nichts zu sagen. Die Vereinigten Staaten nehmen sich seit jeher ein solches Recht heraus, und auch China ist mit seinen Vorschriften in der Wirtschaftskooperation wahrlich kein Waisenknabe auf diesem Gebiet. Die beschlossenen Maßnahmen sind gutes europäisches Recht. Sie betreffen alle Fluglinien gleichermaßen. Dennoch sollte sich die EU versuchen, auf elegante Weise mit dem Problem umzugehen. Hemdsärmeligkeit kann sie sich nicht leisten.

Wichtig ist zuerst, die beschlossenen Maßnahmen noch einmal einer Prüfung zu unterziehen. In letzter Zeit hat das Image der Klimazertifikate ernorm gelitten. Der Markt liegt am Boden. Ursache ist die zu hohe Abgabe kostenloser Zertifikate. In Deutschland hat zum Beispiel Thyssen Krupp seit 2005 immer mehr Zertifikate bekommen als benötigt. Dadurch ist die Firma im Besitz von Zertifikaten in Höhe von 250 Millionen Euro. Ob sie diese auch verkaufen könnte, steht auf einem anderen Blatt. Einnahmen aus der Versteigerung der Zertifikate durch die EU kommen vollständig den Mitgliedstaaten zugute.

Die Luftfahrtindustrie will ab 2020 wachsen ohne den Kerosinverbrauch zu steigern und bis 2050 den CO2-Ausstoß von 2005 halbieren. Täte man nichts, würde sich der aktuelle Anteil des Luftverkehrs am weltweiten Ausstoß von Klimagasen von zwei Prozent bis 2050 verdreifachen.

1990 wollte die Europäische Kommission statt der Klimazertifikate eine Kohlenstoff- und Energiesteuer einführen. Die Mitgliedstaaten haben dies jedoch abgeblockt, weil sie einen europäischen Eingriff in ihre Steuerhoheit fürchteten. Bei Steuern verstehen sie bekanntlich keinen Spaß. Erst Jahre nach der Einigung über das Kyoto-Protokoll führte die EU 2003 den Emissionshandel ein. Nicht zum ersten Mal stehen nationale Souveränitätsansprüche in der EU rationalen Problemlösungen im Wege. Am Geld kann es nicht liegen, denn Steuern fließen nach wie vor vollständig in die Mitgliedstaaten. Wollten die EU-Länder eine Kerosinsteuer statt der Zertifikate einführen, müssten sich die Mitgliedstaaten wahrscheinlich auf einen multilateralen Vertrag außerhalb des Lissabonvertrages einigen wie beim Fiskalpakt. Eine absurde Vorstellung . Und doch wäre eine Kerosinsteuer die unbürokratischste, gerechteste und effektivste Maßnahme zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes von Flugzeugen. Einfacher als sie einzuführen ist es offensichtlich, sich mit China und anderen Wirtschaftsgroßmächten über die einseitige Einführung des Zertifikatehandels zu streiten.

Die Europäische Union muss aufpassen. Sollte sie nicht in der Lage sein, den Zertifikatehandel ohne größere Belastungen bei ihren Partner durchzusetzen, braucht sie eine Lösung, die sie das Gesicht wahren lässt. Dies ist umso wichtiger, als dass sie auf keinen Fall als Verlierer aus dem Kräftemessen mit China hervorgehen darf. Tut sie das, würde China in Zukunft leichter versucht sein, die Europäer am kurzen Arm zu halten. Eine solche Situation wäre für Europa sowohl wirtschafts- als auch machtpolitisch heikel und ein schlechtes Omen für die Zukunft.

Christoph Nick
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