Zwei Polizeikommissare beschuldigt

Die weißen Gendarmen

d'Lëtzebuerger Land vom 29.11.2007

Eigentlich hätte der sonst immer etwas niedergeschlagen wirkende Staatsanwalt Roby Biever am Sonntag für einmal vor der versammelten Presse triumphieren müssen. Denn der Justiz schien gelungen, was niemand ihr mehr zugetraut hatte: die Terroranschläge der Jahre 1985/1986 aufzuklären. Doch in Wirklichkeit war es ihm fast peinlich. Umständlich schien er sich dafür zu entschuldigen, dass Untersuchungsrichterin Doris Woltz am Vortag zwei Chefkommissare der Polizei beschuldigt hatte, weil ihre Aussagen so belastend gewesen waren, dass sie nicht an ihre Unschuldsbeteuerungen glauben konnte.

Ihnen wird vorgeworfen, als Angehörige der Elitetruppe Brigade mobile de la gendarmerie (BMG) die Anschläge mitverübt zu haben. Biever hoffte ausdrücklich, dass es nicht „zu großer Aufruhr“ in der Polizei und in den „Beziehungen zwischen Polizei und Justiz“ kommen werde. Und er gab sich Mühe, die Straftaten herunterzuspielen: Es sei lediglich zum „Körperschaden einesmittelschweren Autounfalls“ gekommen, die 20 Bombenanschläge seien „keine terroristische Aktion“, und die Täter seien irgendwie „Idealisten“ gewesen, hätten sie doch auf die schwierigenArbeitsbedingungen aufmerksam machen wollen, die zu jener Zeitbei der Gendarmerie herrschten.

Schon vor sieben Jahren hatte das deutsche Bundeskriminalamt derLuxemburger Justiz mit politischer Kasuistik bescheinigt, „dass terroristische Motive“ auszuschließen seien. Die mutmaßlichen Bombenleger sollen selbst in Zeiten allgemeiner Terrorismushysterienicht Terroristen genannt werden, weil sie keine Links- oderRechtsradikale sind, sondern dem Radikalismus der Mitte entstammen. Terroristen, Polizisten, Staatsanwalt und Untersuchungsrichterin sind vielleicht alle gemeinsam Mitgliederder CGFP; die Bombenleger bekämpften laut BKA die „offenkundige Reformunwilligkeit“ und die „Überforderung der Gendarmerie“, wie 20 Jahre später Lionel Fontagné.

Doch trotz soviel Verständnis von Seiten der Staatsanwaltschaft, dem Verzicht auf Untersuchungshaft und selbst Beurlaubung vom Dienst desavouierte der Generaldirektor der Polizei, Pierre Reuland, bereits am Montag in einer Hausmitteilung an die Polizeibeamten die Arbeit der Justiz. Ebenso wie die nationale Polizeigewerkschaftstellte er sich schützend vor die beiden Kollegen.

Damit hat Biever erreicht, was er wollte: Dieser Korpsgeist illustriert, weshalb die Aufklärung der Anschlagsserie so lange gedauert hat. „Wir über uns“ zu ermitteln, sei eben „immer ganz heikel“, hatte er zu bedenken gegeben. Dass Beamte im Umkreis der Ermittlung sich bisher ungestraft der Behinderung der Justiz schuldig gemacht haben, um eine Aufklärung der Anschläge zu vereiteln, scheintoffensichtlich, seit die Justiz sich im Jahr 2002 gezwungen sah, Hausdurchsuchungen bei der Polizei und dem Service de renseignement durchzuführen. Unklar ist derzeit, ob dieBehinderung aus Korpsgeist oder auf Dienstanweisung geschah.

Dabei war bereits im Mai 1985 offensichtlich geworden, dass die Terroristen über tagesaktuelle Informationen aus Polizei oder Gendarmerie verfügten. Und sie protzten damit in ihrenBekennerschreiben, wo sie präzise aufzählten, welche in- und ausländischen Beamten bei einer angeblichen Geldübergabe auf der Lauer lagen; sie kanzelten die Gendarmerie als „Pfadfindertruppe“ ab, als ob sie sich selbst als die besseren potenziellen – oder tatsächlichen – Gendarmen darstellen wollten. 

Doch statt von all diesen Indizien auszugehen, hätten die Ermittler sich lieber mit der Frage verzettelt, wer alles sonst als Täter in Frage kommen könnte: Cegedel-Kunden, Bauern, Studenten, Neonazis, RAF, Schwerverbrecher... Dies war nach Meinung des Staatsanwalts „einer der schwerwiegendsten Ermittlungsfehler“.  Vielleicht war es auch kein Fehler. Denn hätte man von den Indizien, die alle auf die eigenen Reihen verwiesen, ablenken wollen, man hätte sich wohl nicht anders angelegt.

Mit einem Anschlag auf die Wohnung des angeblich reformunwilligen, pensionierten GendarmeriekommandantenJean-PierreWagner im März 1986 sei die Anschlagsserie beendet worden, betonte der Staatsanwalt am Sonntag. Ohne zu erwähnen,dass – nach Aussagen beteiligter Soldaten gegenüber RTL – daraufhin alle Wachmannschaften im Land sofort abgezogen wurden. So als habe das Insiderwissen auf Gegenseitigkeitberuht.

Man muss schließlich nicht unbesehen glauben, dass zwei oder mehrElitegendarmen tatsächlich als Feierabendbeschäftigung Bomben aushehren gewerkschaftlichen Motiven legten. Immerhin stand auchder Kommandant der Truppe, der kurz vor der Anschlagsserie denDienst quittierte, fast von Anfang an unter Verdacht, und die Untersuchungsrichterin versucht, noch mindestens zwei weitere Terroristen zu überführen.

Als Wink mit dem Zaunpfahl zeigte Staatsanwalt Roby Biever sich am Sonntag „am meisten darüber verärgert“, dass der Service de renseignement hinter dem Rücken der Justiz den ehemaligen Kommandanten der Brigade mobile beschattete. Doch wie Polizeibeamte und Nachrichtendienste den Terrorismus manipulieren, lässt sich auf 382 Seiten im Bericht des belgischen Parlaments vom 30. April 1990 nachlesen über die Enquête parlementaire sur la manière dont la lutte contre le bandistismeet le terrorisme est organisée – in Belgien, zur Zeit der Bombenanschläge in Luxemburg.

Romain Hilgert
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