Die Entwicklung der Fintech-Branche stellt die etablierten Akteure am Finanzplatz vor große Herausforderungen. Dabei soll der Finanzplatz zum Fintech-Standort werden

Currents and cross currents

d'Lëtzebuerger Land vom 12.06.2015

„Fintech, das sind die Instrumente, die wir brauchen, um die anderen Aktivitäten am Finanzstandort zu konsolidieren“, hatte Nicolas Mackel, CEO von Luxembourg for Finance (LFF), vor Wochen im Land gesagt, ausgehend von der Fragestellung: „Was brauchen wir, um in zehn Jahren noch als Finanzstandort wettbewerbsfähig zu sein?“ Was da an der Schnittstelle von Finanzen und Technologie passiert, beschreiben viele als „Revolution“. Zur Guillotine würden dabei die etablierten Akteure geführt, allen voran die Banken, deren Geschäftsmodelle durch die Angebote neuer, technologiebasierter Anbieter in Frage gestellt werden – manch Radikaler aus der Fintech-Fraktion sagte beim ICT Spring, dem Kongress für Informationstechnologien vor zwei Wochen in Kirchberg, die Schließung aller Bankfilialen binnen Jahren voraus. Während sich die Luxemburger Regierung und LFF bemühen, Luxemburg im Ausland als Fintech-Standort an der Spitze des Fortschritts zu verkaufen und auf die Möglichkeiten und Chancen zu verweisen, die die Zukunftsbranche Fintech bietet, müssen sich die Banken fragen, welche Folgen der Durchmarsch der alternativen Anbieter für sie und ihre Mitarbeiter hat.

Ob sie dazu bereit sind, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Bil-Chef Hugues Delcourt war der einzige Banken-CEO, der beim ICT Spring in die Offensive ging und auch ansonsten offen über die Herausforderungen, vor denen die Banken angesichts des Durchmarschs der alternativen Anbieter stehen, spricht. „Wir sind keine vom Aussterben bedrohte Art“, sagt Delcourt, „es wird immer Banken geben. Ich bin aber überzeugt, dass es Auswirkungen auf alle Bankaktivitäten geben wird.“ Im Zahlungsverkehr, via die Banken langsam und teuer, laufen Technologie-Firmen den Kreditinstituten den Rang ab. „Für die Kunden hat das Vorteile, dass die neuen Akteure die Prozesse verbessern“, gibt Delcourt offen zu. Auch das Private-Banking-Segment, in dem die Berater vermögenden Kunden helfen, die bestmögliche Anlage für ihre Gelder zu finden, sieht er unter Druck. Die Berater riskieren, durch Investitionsroboter ersetzt zu werden, deren Algorithmen entscheiden, wie das Vermögen angelegt werden soll. Völlig ersetzen könnten sie die persönlich zugeschnittenen Ratschläge durch Bankbeamte nicht. Doch für selbstbestimmte, unabhängige Kunden oder solche, die einfach räumlich weit entfernt seien, sei dies durchaus eine Alternative. Im Kreditgeschäft droht Konkurrenz durch Peer-to-peer-Plattformen auf denen Sparern anderen Personen, im Ausland sogar Kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), Geld leihen. Das machen sie eigentlich auch, wenn sie Geld auf das Sparkonto einer Bank einzahlen, die diese Einlagen nutzt, um Antragstellern Kredite zu geben und dafür Zinsen und Kommissionen einheimst. Durch die Peer-to-peer Plattformen wird die Bank als Mittelsmann ausgeschaltet, kann demnach weder Kommissionen noch Zinsen verrechnen.

Es geht also für die Banken um wesentlich mehr, als darum, den Kunden ihre Dienstleistungen übers Internet anzubieten, statt nur am Schalter. Vor allem, da die Fintech-Firmen neue Dienstleistungen erfinden, welche die Banken gar nicht anbieten. „Moven“, nennt Delcourt ein Beispiel. Die App hilft Privatleuten, ihre Haushaltsausgaben zu überwachen. Bleiben sie am Monatsende unter dem historischen Durchschnitt, macht Moven Anlagevorschläge. Gibt der Nutzer mehr aus als gewöhnlich, fragt die App ob ein Kredit notwendig ist. Eine Beratung, die Banken der gemeinen Schalterkundschaft nicht bieten. Apropos Schalter: Die Entwicklung im Filialnetz in den kommenden Jahren vergleicht der Bil-Chef mit der, die bereits in den vergangenen Jahren in der Fliegerei stattgefunden hat. „Statt hinter dem Schalter zu sitzen, wird das Personal den Kunden künftig häufiger vor den Schaltern helfen, ihre Operationen auf Tablets oder anderen Geräten durchzuführen“, erklärt Delcourt. In etwa so, wie Reisende an Flughäfen dazu umerzogen wurden, ihre Bordkarten am Automaten selbst auszudrucken. Welche Folgen das alles auf die Personalzahlen hat, also auf die Beschäftigung in der Branche, dazu äußert sich Delcourt ungern. „Fintech wird auf jeden Fall eine Wirkung auf die Qualifikationsprofile haben“, sagt er vorsichtig. Deshalb geht es für ihn darum, dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter richtig aus- und weitergebildet werden.

„Die Banken haben vier Vorteile in der Hand“, sagt Delcourt. „Wir haben die Kunden, und trotz der Finanzkrise zeigen Umfragen, dass 70 bis 80 Prozent der Kunden ihrer Bank vertrauen. Wir haben gesicherte Kanäle für die Arbeitsprozesse und wir kennen die Regulierung. Aber wir gehen bei der Entwicklung neuer Produkte immer von unseren Erfahrungswerten aus.“ In der Fintech-Branche gebe es im Gegenzug „mehr Kreativität“ und „ein größeres Bewusstsein für das Kundenerlebnis“. Für Delcourt ist es deshalb wichtig am Dialog zwischen traditionellen Fintech-Akteuren teilzunehmen, dabei zu sein. Mit Digicash, der mobilen Bezahl-App, die von den großen Luxemburger Banken unterstützt wird, sei man schon im Fintech-Bereich aktiv.

Firmen wie Digicash und andere alternative Zahlungssysteme stellen den Löwenanteil der bestehenden Fintech-Population in Luxemburg, so die bisherigen Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen unter der Führung von LFF. Das ist, sagt Jean Diederich von der Beraterfirma Kurt Salmon, kein Zufall, sondern eine Folge der Ausarbeitung und Umsetzung der Richtlinien über den Zahlungsverkehr in Europäischen Union. So gesehen, hat in Luxemburg bisher eher der Regulierungsrahmen die Entwicklung der Fintech-Branche angetrieben, als dass hier völlig neue, marktverändernde Ideen – disruptive heißt das im Slang – entstanden seien, an die der Regulierungsrahmen hier und anderswo hätte angepasst werden müssen.

Rund 150 Fintech-Firmen hatte KPMG bei seiner Marktanalyse für LFF mittels großzügiger Definitionskriterien identifiziert, also weniger als der Firmeninkubator Level 39 (siehe Seite 28) auf drei Stockwerken vereint. Ob sie die notwendige kritische Masse bilden, damit man von einer funktionierenden Ökosystem, einem Hub reden kann? Bei ICT Spring beschäftigte sich jedenfalls noch ein Panel von Experten mit der Frage, wie man fruchtbaren Boden für das Heranzüchten von Fintechs in Luxemburg schaffen könnte. Dass dabei nicht nur der regulatorische Rahmen wichtig ist, sondern alles was sonst zum Leben dazu gehört, eine Rolle spielt, hob Nasir Zubairi, Venture Partner bei Finleap, hervor. Vor allem, wenn es um die Mitarbeiteranwerbung gehe. „London, New York, Tel Aviv, die Leute wollen dahin gehen“, so Naisiri, „ohne Luxemburg besonders gut zu kennen – die Leute sagen sich doch ‚ich werde da leben’.“ Singapur und Dubai seien Beispiele dafür, wie Städte sich für eine internationale Mitarbeiterschar attraktiv gemacht hätten.

Fokus, Konzentration auf das, was man könne, rieten die Experten an. Im Falle Luxemburgs also auf neue Produkte, die in der Vermögensverwaltung und in der Fondsindustrie zum Einsatz kommen könnten. Ein wenig glich die Diskussion der um die Frage, ob zuerst die Henne oder das Ei da war. Um das Interesse von Start-ups zu wecken, brauche man eigentlich einen Vorzeigeerfolg von Weltrang, ein Skype, eine SES, um die sich dann andere Firmen etablieren würden. Weil diese Vorzeige-Firma nicht aus Nichts entstehen wird, machte Zubairi folgenden Vorschlag: „Warum tun sich die Depotbanken nicht zusammen und bieten zwei Millionen Euro für die beste Idee, um eine neue Form der Depotfunktion zu erfinden? Die Branche in Europa ist reif für eine Umwälzung, die Gebühren sind aberwitzig.“

Zubairi und Marc Gendebien von Genii Capital sind nicht die einzigen, die einen Ideenwettbewerb für einen Lösungsansatz halten – auch in punkto Start-up Finanzierung. In dem für die Unternehmensförderung zuständigen Wirtschaftsministe­rium hat man festgestellt, dass es trotz neun verschiedener bestehender Instrumente zur Förderung von Forschung und Innovation Lücken in der Finanzierungskette gibt, erklärt Mario Grotz. Besonders im ganz frühen Entwicklungsstadium, wenn es keine Firma, geschweige denn vorzeigbaren Umsatz, sondern erst die Idee für ein neues Produkt oder eine neue Dienstleistung gibt. „Da gibt es ganz klar Bedarf. Deshalb wollen wir in Zukunft, wenn jemand eine Idee hat, an deren Potenzial wir glauben, sagen können: ‚Wir stellen 50 000 bis 100 000 Euro zur Verfügung’, damit die Idee weiterentwickelt werden kann.“ Das erlaubten die europäischen Regeln über Staatsbeihilfen durchaus, sagt Grotz. Um die Werbetrommel für das neue Instrument zu rühren, will man dessen Start mit einer internationalen Ausschreibung verbinden, den man beispielsweise auf die Fintech-Branche ausrichten könnte, um dann die besten Ideen herauszusuchen.

Daneben arbeitet das Ministerium am Aufbau eines Seed Fund, der also in Start-ups investiert, die zwar ein Produkt oder eine Dienstleistung ausgearbeitet, aber immer noch keinen Umsatz vorzuzeigen haben. Der Seed-Fund solle mit einer Mischung aus privaten und staatlichen Geldern gespeist werden, wobei der staatliche Anteil nicht über 50 Prozent betragen solle, so Grotz. Angepeilt seien 20 Millio­nen Euro. „Wir sind zuversichtlich, dass wir noch vor der Sommerpause schriftliche Engagements von Unternehmen erhalten, dann könnten wir nach der Sommerpause die Strukturierung angehen und das Instrument vor Jahresende einsatzbereit machen.“

Weil es außer Genii und Mangrove in Luxemburg nicht gerade an Wagniskapitalgebern wimmelt, die in eine Firma investieren würden, die über das Seed-Funding-Stadium herausgewachsen ist und Geld für den Ausbau ihrer Aktivitäten braucht, ist der Luxembourg Future Fund nicht ganz unwichtig, den die nationale Förderbank SNCI und die Europäische Investitionsbank BEI mit insgesamt 150 Millionen Euro gespeist haben. Nicht nur, weil er KMU und Technologiefirmen zusätzliche Möglichkeiten bietet, Kapital aufzutreiben, sondern auch, weil Teile der Gelder für gemeinsame Investitionen mit Business Angels oder vermögenden Privatpersonen vorbehalten sind, die über ein gewisses Knowhow verfügen und die Start-ups in ihrer Entwicklung begleiten könnten. Sondern auch, weil ein anderer Teil für Investitionen in Dachfonds für Risikokapital vorgesehen ist – wobei das Geld immer in Luxemburg investiert werden muss. Das könnte auch neue Wagniskapitalgeber nach Luxemburg locken, denen wiederum die Start-ups folgen könnten.

Darüber hinaus plädiert Marc Gendebien für Steuer­erleichterungen für Investoren. Viele Technologie-Unternehmer, erklärt er, finanzierten sich in der Anfangsphase mit Geld, das ihnen Freunde und Familie borgen. Gehe das Abenteuer schief, würden sie alles verlieren. In den Nachbarländern gebe es verschiedene Möglichkeiten, solche Verluste teilweise von der Steuer abzusetzen. Da hinke Luxemburg der Konkurrenz hinterher.

Michèle Sinner
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