Spendenbereitschaft

Haiti Blues

d'Lëtzebuerger Land du 25.03.2010

Heute loben wir die Spendenbereitschaft unserer Landsleute. Spenden ist schön. Vor allem für den Spender. Er steht abrupt im Rampenlicht und darf sich sonnen im Glanz seiner Güte. Allerdings hapert’s noch ein bisschen mit den Showeffekten.

Die einheimischen Spender sind immer noch viel zu schüchtern und verstohlen. Auch wir zählen zu jenen miserablen Mauerblümchen, die sich einbilden, es sei einfach nur ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit, in Katastrophenfällen diskret und ohne Aufhebens ihr Scherflein beizutragen. Wir haben eben rein gar nichts begriffen von der galoppierenden Spaßgesellschaft. Spendenspaß bleibt für uns leider ein Fremdwort. Wir berufen uns beim Spenden nur lautlos und verschämt auf die enormen Privilegien, die wir in diesem stinkreichen Land genießen. Aber darum geht’s leider nicht. Der edle Spender gehört in die Öffentlichkeit, aufs Podest. Er ist ein toller Hecht, man muss ihn ausstellen und bejubeln.

Wenn zum Beispiel „un grand nombre de bars et de restaurants du Luxembourg“ sich bereit erklären, einen Haiti-Abend zu zelebrieren und bei dieser Gelegenheit zehn Prozent ihrer Einnahmen an einen Katastrophenfonds abzuzweigen, können wir nur neidlos zustimmen: Clever gedacht, ihr gutmenschlich bewegten Geschäftemacher! Die neue Fress- und Saufformel wird ganz sicher positiv zu Buche schlagen. Denn aus Solidaritätsgründen wird sich die werte Kundschaft natürlich viele kulinarische Extras leisten und dabei intensiv an die Erdbebenopfer in Haiti denken. Diese Gedanken wiederum sind dann so schmerzhaft, dass man viele, viele Beruhigungsdrinks hinunterkippen muss, um das aufgewühlte Gewissen einigermaßen zu betäuben. In anderen Worten: allerorten explodieren buchstäblich die Geschäftskassen.

Allerdings fehlt bei dieser grandiosen humanitären Kulinarikaktion das zündende highlight. Viel besser gefällt uns daher eine andere Initiative: „Très touché par le séisme à Haïti, l’asso­cia­tion ‚Kisses from the Beauty‘ a décidé de venir en aide aux Haïtiens en organisant un dîner-défilé au Casino 2000 à Mondorf-les-Bains“ (eventuelle Orthographiefehler haben wir aus Respekt vor den „sehr Betroffenen“ nicht verbessert). Das hat doch schon ein ganz anderes Format. „Lors de la soirée, plusieurs boutiques, créatrices de mode luxembourgeoises, présenteront leurs nouvelles collections“.

Diese Pressemitteilung zeugt nicht nur von einer tiefen Einsicht in die geopolitischen Konstellationen rundum Haiti, sie ist zudem geprägt von einem geradezu ansteckenden so-zialen Engagement. Was die Bevölkerung von Haiti jetzt braucht, sind Modedéfilés. Daran sollte es nicht den geringsten Zweifel geben. Umso besser, wenn die Modeschöpfer auch noch mit neuen Kollektionen auftrumpfen. Warum eigentlich sollte man diese geniale Idee nicht exportieren, und zwar direkt nach Port-au-Prince? Trash models mit malerischem Trauerblick auf dem demolierten Laufsteg! Natürlich müsste das Trippeln und Balancieren auf Trümmern vorher noch ausgiebig geübt werden. Bestimmt würde sich ein berühmter Elendsfotograf à la Oliviero Toscani finden, um die karitative Kavalkade abzulichten. Und die Menschen auf Haiti wären ebenso sicher mit ein paar Cent zu bewegen, als Statisten im Hintergrund ihr eigenes Elend plastisch darzustellen.

Noch weit spektakulärer geht die Post ab bei der jährlich wiederkehrenden Kalamität namens Télévie. Wie der Name sagt, soll der Spender hier von vorneherein äußerst telegen sein. Ohne Fernsehauftritt keine Spende, sozusagen. Auf diese Weise spart die Télé natürlich sehr viel Geld, weil all die begabten Spendenschauspieler in den charity shows gratis auftreten. Doch die Rechnung geht auf: Wer spendet, wird berühmt. Vielleicht nur für zwei Sekunden, aber was soll’s. Berühmtheit lässt sich eben nicht in Zeiteinheiten berechnen. Die Spende ist in Wirklichkeit eine Taxe für einen kurzen Moment vermeintlichen Promi-Daseins.

Immerhin schimmert sporadisch durch, worum es bei Télévie eigentlich geht: um Mittel für die Krebsforschung. Dank der ominipräsenten Télé erfahren wir wenigstens, wo die Krebsgefahren lauern. Sie lauern zum Beispiel in der Escher Uelzechtstrooss. Einmal wurde diese geschützte Fußgängerzone von der Bürgermeisterin persönlich für den Autoverkehr freigegeben, damit zu Ehren von Télévie eine endlose Kolonne von Oldtimern durch die Geschäftsschlucht preschen konnte. Da alle Geschäfte an jenem Sonntag geöffnet waren, ebenfalls zu Ehren von Télévie, verseuchten die Auspuffgaswolken der stinkenden Benzinfresser binnen Minuten die gesamten Verkaufsräume mitsamt der anwesenden Klientel. Und alle Télé-Fans durften voller Schrecken feststellen: Das ist ja ein echter Aufklärungsfilm über die mutwillige Verbreitung krebserregender Substanzen!

Jetzt warten wir gespannt auf das nächste Katastrophen-Event. Vielleicht geht ja einmal ein gewaltiger Erdbebenriss mitten durch unser kleines Land. Dann können wir für uns selber spenden, mit pomp and circumstances. Das wäre die höchste Lust.

Guy Rewenig
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