Museen / Kunst

Kunst im Kubus

d'Lëtzebuerger Land du 15.06.2018

Das „Mannheimer Loch“ ist Kunst, und es kann weg. Jahrelang prozessierte die Künstlerin Nathalie Braun Barends um eine runde Öffnung von einem Meter Durchmesser, die sie durch Wände der Kunsthalle Mannheim gebohrt hatte und die aus Sicherheitsgründen von einem Feuerwehrmann bewacht werden musste. Schließlich bescheinigte ein Oberlandesgericht dem Loch zwar „Werkqualität“, erlaubte aber den Abriss. Davor schon wies der Landtag Petitionen von Bürgern ab, die rund um das Nichts einen verunglückten Anbau von 1983 erhalten wollten.

Jetzt macht die Kunsthalle schönere Schlagzeilen. Zur Eröffnung ihres neuen Hauptgebäudes am Friedrichsplatz im Zentrum Mannheims kamen Anfang Juni über 32 000 Besucher. Das Modell des dreistöckigen Quaders mit 13 000 Quadratmetern Nutzfläche war noch als „Parkhaus“ beschimpft worden. Das vollendete Bauwerk verzückt nun aber mit einer schimmernden Metallfassade und Fenstern, in denen sich Altbau, Wasserturm und andere Jugendstil-Schnörkel der Umgebung spiegeln. Die Lokalpresse bejubelt „ein Wunder“.

In Deutschland ist es schon länger nicht mehr vorgekommen, dass ein Großprojekt planmäßig fertig wird. Der Bau der Kunsthalle verzögerte sich nur wenig, weil im Untergrund überraschend dicke Bunkermauern zu entfernen waren. Das Budget von 68,3 Millionen Euro wurde aber eingehalten. Wohl deshalb, weil der Staat kaum mitmischte: 50 Millionen spendete Hans-Werner Hector, ein Mitbegründer des Software-Konzerns SAP. Die Stadt Mannheim steuerte elf Millionen Euro aus Aktienverkäufen bei. Den Rest brachten vor allem Kleinspender auf. Bauherrin war die Stiftung Kunsthalle, geleitet von dem Unternehmer Manfred Fuchs.

Den Architekturwettbewerb hatte 2012 das Hamburger Büro Gerkan, Marg und Partner gewonnen, das zum Beispiel auch den Berliner Hauptbahnhof und das Hanoi Museum gebaut hat. Der Entwurf „Stadt in der Stadt“ war von 29 Einreichungen der einzige, der auf die Quadrate des Mannheimer Stadtplans Bezug nahm. In einer Außenhülle aus Metallgewebe gruppierte der Architekt Nikolaus Goetze rund um ein 21 Meter hohes, lichtdurchflutetes Atrium sieben rechteckige Ausstellungshäuser, die mit Treppen und Stegen verbunden sind. Die Säle heißen jeweils „Kubus“. Von den Gassen dazwischen und von einer kleinen Dachterrasse ergeben sich immer neue Ausblicke auf die Stadt.

Die erste Sonderausstellung im Erdgeschoss ist eine Koproduktion mit dem Luxemburger Mudam. Appearance zeigt 30 Werke von Jeff Wall: nicht nur rätselhaft-dramatische Dia-Leuchtkästen, mit denen der kanadische Fotokünstler berühmt wurde, sondern auch großformatige Schwarz-Weiß-Fotos und Farbabzüge der letzten Jahre. Ab Oktober soll dann eine Ausstellung das Verhältnis von Kunst und Ökonomie beleuchten. Für nächstes Jahr wird eine Blockbuster-Schau zu Henri Matisse versprochen.

In den neuen Galerien und dem Schaudepot können die Schätze der Mannheimer Sammlung ausgebreitet werden: vor allem französische und deutsche Impressionisten, expressionistische Gemälde, Skulpturen und Installationen. „Wir hängen nicht mehr für die Ewigkeit“, erläutert die Kunsthallen-Direktorin Ulrike Lorenz: „Eine chronologische Dauerausstellung fänden wir ziemlich langweilig. Wir werden im permanenten Wechsel immer wieder neue Konstellationen vorstellen.“

Riesige Gebirge von Anselm Kiefer werden nun mit einem kleinen Himmelsstück von Caspar David Friedrich konfrontiert; vor Eduard Manets Erschießung Kaiser Maximilians hat Rita McBride eine Holztribüne aufgebaut; eine Installation von Olafur Eliasson schwebt über einem Bronzefisch von Constantin Brancusi; zwischen zwei Kuben stürzen Bettgestelle von Rebecca Horn zwölf Meter in die Tiefe. Statuen stehen nicht mehr auf Sockeln, sondern mischen sich wie auf einem Platz unter die Besucher. Erstmals ist auch die Keramik-Sammlung zu sehen.

Eine Lichtpassage von James Turrell führt zum Sandstein-Altbau von 1907, in dem es nun um die Geschichte der Kunsthalle geht. Im rechten Flügel ist dort zu erfahren, dass das Museum während der Nazi-Zeit mehr als 550 „entartete“ Kunstwerke verlor. Erinnert wird auch an fünf jüdische Familien, die einst die Gründung finanzierten. Im linken Flügel werden bisherige Ausstellungen der Kunsthalle behandelt, die Kunstgeschichte schrieben. „Die Neue Sachlichkeit“ etwa gab 1925 einer ganzen Stilrichtung den Namen.

Der Kunstvermittlung steht jetzt ein Atelier im Neubau und ein ganzes Untergeschoss des Altbaus zur Verfügung. Die Fläche für Veranstaltungen vom Kindergeburtstag bis zum Künstlergespräch wurde verdoppelt. Gründungsdirektor Fritz Wichert hatte schon 1911 unter dem Motto „Kunst für alle“ mit Gewerkschaften und SPD einen „Freien Bund zur Einbürgerung der Kunst in die Stadt Mannheim“ gegründet. An diese Tradition wollen ein Förderkreis und der Jugend-Zirkel ARTgenossen anknüpfen. Als „Treffpunkt für Menschen aller Generationen, die intelligente Erholung suchen“, möchte die Kunsthalle „wieder eine Pionierposition im Wettbewerb mit verwandten Museen gewinnen“.

Zur Eröffnung veranstaltet die Kunsthalle Mannheim drei Symposien: „Das Museum der Zukunft. Bauen. Kuratieren. Teilen“ (21.6.), „Alles schwingt. Mechanische Schwingungen und Stöße wirken auf Kunstwerke“ (29.6.) und „Fotografie als Kunst – Jeff Walls Bedeutung heute“ (25.7.).

Jeff Wall ist bis 9. September 2018 in Mannheim zu sehen, ab Oktober in Luxemburg. Ein Katalog dazu ist in der Esslinger Edition Cantz erschienen.

Die Kunsthalle hat zum Neubau den Bildband Stadt in der Stadt veröffentlicht. In ihrem umfangreichen Online-Angebot findet sich dazu in der Rubrik „Kunsthalle/Selbstverständnis“ auch die Broschüre Museum in Bewegung: www.kuma.art

Martin Ebner
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