leitartikel

„Avec tact et mesure“

d'Lëtzebuerger Land vom 07.11.2025

Bekommen die Mediziner zu wenig Geld? Der Ärzteverband AMMD meint, ja. Vergangene Woche kündigte er die Konventionen der Ärztinnen und Zahnärzte mit der CNS. Am Tag danach teilte er mit, worüber er „prioritär“ für eine neue Konvention verhandeln will. Über mehr Freiheiten für Arztpraxen und über Ärztegesellschaften, aber vor allem über ein „conventionnement sélectif“. Die Verträge mit der CNS sollten nur noch ein Minimum regeln. Die Mediziner/innen „autonomie tarifaire“ erhalten, in der sie Rechnungen „avec tact et mesure“ ausstellen. Der CNS bliebe festzulegen, was davon sie trägt. Für den Rest müsse „un assureur privé“ veranlasst werden, „à prendre ses responsabilités pour compléter les prises en charges des patients“.

Nichts davon könnte die AMMD mit der CNS aushandeln. Es sind politische Forderungen. Dass die Regierung sie erfüllen wird, ist unwahrscheinlich. Eine Politik, die den Leuten an die Tasche geht und Privatversicherer herbeiruft, wäre für die CSV wie für die DP verhängnisvoll. Aber die AMMD hat nicht Unrecht: Tarifautonomie und Zusatzversicherungen, bei einem ausgeweiteten Angebot in Ärztehäusern, die von Ärztegesellschaften geführt werden, und deren Zahl, wie sich der Ärzteverband das ebenfalls vorstellt, dem Markt überlassen würde, kämen einer Öffnung des Gesundheitssystems gleich, die eine Option ist. Sie würde eine Regulierung über Preise mit sich bringen. Wer mit ihnen nicht auskommt, fliegt vom Markt. Manche Ärzte würden als Geschäftsführer von Ärztegesellschaften Geld verdienen, indem sie andere Ärzte für sich arbeiten lassen. Oder als Geschäftsführer von Firmen, die Praxisräume an Ärzte vermieten, Ausrüstung und Administration inklusive. Lange war sowas unter Luxemburger Ärzt/innen tabu.

Doch die Zeiten ändern sich, und mit dem conventionnement automatique et obligatoire ist Luxemburg eine Insel in Europa. In den 1960-er Jahren war die Konventionierung hierzulande, in Belgien und Frankreich etwa zeitgleich eingeführt worden. In den Nachbarländern aber wurde sie freiwillig, und den Ärzt/innen wurde erlaubt, Behandlungen über die Konventionen hinaus anzubieten. In Luxemburg nicht. Hier wird ein Stück Privatmedizin, das man nicht so nennen muss, durch den 66-Prozent-Zuschlag auf Arztbehandlungen „1. Klasse“ in einem Einzelzimmer im Spital getarnt und durch convenances personnelles, die extra auf die Rechnung geschrieben werden. Längst nicht immer nur für einen vorab vereinbarten Termin und „avec tact et mesure“, wie die Konventionen mit der CNS bitten.

Ob es für Luxemburg Zeit ist, denselben Weg zu gehen wie Länder, in denen mehr Abrechnungsfreiheit herrscht und Zusatzversicherungen unverzichtbar geworden sind, geht aber am eigentlichen Problem vorbei. Welches darin besteht, dass die Medizin nur über die Gebührenordnungen für die Ärzte und die Zahnärzte vergolten wird, einzige Ausnahme ist seit drei Jahren das Entgelt für Bereitschaftsdienste an Spitälern. Dass die Gebührenordnungen mit ihren Behandlungsakten und den Tarifen für diese eine so große Rolle spielen, schafft einen Anreiz, viel zu arbeiten, viel abzurechnen und vielleicht auch zu tricksen. Und trotz aller Reformen an den Tarifen, die die Basis sind für den Verdienst, sind die Einkommensunterschiede zwischen den Arztdisziplinen noch immer groß.

Statt die Versorgung dem Markt zu überantworten, die Tarifregeln zu lockern und Zusatzversicherungen einzuführen wie in Belgien und Frankreich, müssten Finanzierungsmodelle entworfen werden, die die Akte-Medizin ergänzen, für mehr Einkommensgerechtigkeit sorgen und Leistungen für die öffentliche Gesundheit über den bloßen Behandlungsakt hinaus honorieren. Dass die AMMD sich auf diese Diskussion einlässt, ist sehr fraglich. Dass die Regierung und ihre Gesundheits- und Sozialministerin dafür eintreten würden, leider auch. Vielleicht geht die Sache aus wie vor 25 Jahren, als die AMMD monatelang stritt – zunächst für die Abschaffung der Konventionierung, dann für eine „partielle“. Am Ende sorgte die damalige CSV-DP-Regierung für Ruhe, indem sie den Medizinern eine allgemeine Tariferhöhung um 6,67 Prozent zukommen ließ. Was am eigentlichen Problem natürlich nichts änderte.

Peter Feist
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