Die kleine Zeitzeugin

Irma und Harvey

d'Lëtzebuerger Land du 15.09.2017

Tante Irma hat russische Zigaretten auf dem Kopf. Sogar ihre Löckchen schauen wohlschmeckend aus. Ihre großen knochigen Füße stecken in Pantöffelchen, sie sitzt auf der Couch, alles ist in wohliges Dämmerlicht getaucht. Aus dem taucht Irma, die keine richtige Tante ist, die falschen Tanten sind sowieso die besten, dann mit Wäffelchen auf. Und Himbeersaft. Wäffelchen und Himbeersaft, die wesentlichen Komponenten des Paradieses.

Sie schaut mir beim Waffelessen zu, vollkommen inoffensiv. Harvey kommt kurz rein, aus dem Garten, wahrscheinlich von den Kaninchen, er nickt wohlwollend. Harvey heißt vermutlich Armand oder Raymond, aber er könnte Harvey heißen. So friedfertig, wie er wirkt, er regt Tante Irma sicher nicht auf wie andere Onkel andere Tanten aufregen. Ein Harvey geht ins Büro, dann streicht er den Zaun, dann streichelt er seine Frau, beruhigend. Es heißt ja auch nicht Harvey Davidson. Wobei, Harvey Keitel ...

Der bringt mich jetzt total aus dem Konzept.

Die echte Irma und der, dem ich im Nachhinein den Namen Harvey verpasse, weil er so gut passt – wie kommt es, dass sie Pat_in stehen für Horrorhurrikane, die Inseln hinwegfegen und sogar Amerikaner das Fürchten lehren? Für Monster und Killerin? Wie kommen sie dazu?

Warum welcher Sturm wie geheißen wird, ist ein weit gefächertes und sehr komplexes Forschungsfeld. Sturmnamenexpert_innen treffen sich zu Jahrestagungen, um zur Sturmnamensgebung zu schreiten. Selbst ungeborener Himmelhöllenspuk wird mit einem Namensschild versehen. 2022 Karl, Otto und Hermine, klassisch, es riecht nach Weltkrieg, oder Goethe.

Spontan geht jedenfalls nichts, nur weil ein umwerfender Robi im Leben einer Sturmnamenexpertin anbraust, wird er nicht als Rowdy Robi verewigt. Ihn posthum tote Windhose zu vernennen, manch ein Sturm floppt ja, nur heiße Luft, geht auch nicht, leider. Mein Vorurteil, dass Namen aus Hollywood und der amerikanischen Suburbia Dauerfurore machen und damit Lieselotte, Dragana, Uama und Mohammed ausgrenzen würden, ist nicht haltbar.

Die Sturmnamen werden nämlich nicht in einem einzigen Zentralbüro mit einem globalen Tornadotaufregister vergeben. Nordatlantik und Südpazifik sind zwei Paar Schuhe, pazifische Stürme heißen pazifisch, in Mikronesien heißt man und Sturm anders als in Minnesota. Nur die atlantische Taufkommission verbannt X, Y und Z wegen mangelnder Variationen. Zaff also nicht, auch Xavier ist verpönt, doppelt Pech. Nicht einmal Xanthippe hat eine Chance. Marechen und Flep floppen auch.

Selbst Wladimir mischt die East Coast nicht auf! Psychologische Komponenten müssen wohl ebenfalls berücksichtigt werden, Namen à la Zorro oder von wirklich Bösen, à la Adolf, sind aus dem Himmel vertrieben. Eine Frau fällt mir gerade nicht ein.

Seit 1972 wird gegendert, das erfordert Fingerspitzengefühl. Ist doch wissenschaftlich belegt, dass Stürme mit Weibernamen die wüstesten sind, Mann denke an Katharina. Die Experten beschwichtigen aber, es sei keinesfalls naturgegeben, dass Hurrikanin und Zyklonin die ärgsten Killerinnen sind. Es lässt sich nicht mal belegen, dass ein Weibername Ihn ausrasten lässt oder Ihre Frauenpower erst recht anfacht. Es ist menschengemacht, mal wieder. Frauen werden einfach nicht ernst genommen! Pinkpartöffelchennamen wie Cindy und Bella werden aus dem Grund jedenfalls nicht gebucht. An all dem müssen die Expert_innen noch arbeiten.

Die Deutschen arbeiten sowieso, vorbildlich wieder mal. Da sie trotz Pizza Hawaii nicht mit waschechten Tropenstürmen aufwarten können, behelfen sie sich mit Hochs und Tiefs, die sie liebevoll benamen, wie Kuscheltiere, aber doch seriös. Um zu vermeiden, dass Tiefs zu oft mit weiblichen Namen drankommen und damit ein falsches Signal aussenden, unterdrückte, depressive Weiber, verabreichen sie die Namen geschlechtsspezifisch nach geraden und ungeraden Jahren. Aber was ist mit den anderen Geschlechtern? Von denen hab ich noch nichts gehört. Wahrscheinlich in Arbeit.

Ruhm posthum! Für alle, die schon einen Asteroi-den haben und Flüchtlingskind- oder Haikindpatenschaft schon fad finden, Mensch kann sich eine Sturmpatinnenschaft shoppen. Sie heißen Sturm, vielleicht gar Monster.

Michèle Thoma
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