Primaries in den USA

Holy Nights

d'Lëtzebuerger Land du 05.08.2016

Europäer_innen, die den Familienfestspielen in den Vereinigten Gottesstaaten beiwohnten, nachts, auf der Couch, mit oder ohne Hund, konnten vielleicht nicht umhin, ein bisschen neidisch zu werden. So eine Familie hätten sie auch gern, wie die alle dort, die dort auf den Redner_innentribünen. So eine liebende Familie, eine, in der alle alle lieben und es auch verkünden, sie outen sich, lauthals, aus tiefem Herzen. Man geniert sich anscheinend nicht, seine Mutter zu lieben, sie vielleicht sogar noch toll zu finden. Sie als Vorbild zu sehen!

Wer in Europa steigt schon auf ein Podest und gibt eine flammende Liebeserklärung ab für seinen Bruder, der gerade ein politisches Amt anstrebt? Donald Trumps Sohn schwärmt von seinem Vaterhelden, die Tochter ebenfalls, und „my mother, my hero“ sagt auch Chelsea Clinton.

Und wir, hier in der alten, kalten Welt? Angela Merkels Sauer-Gatte hat bisher nie öffentlich seine Liebe verkündet, das gibt es hier nur im Unterhosenschichtfernsehen. Carla Bruni hat zwar aus ihrer überwältigenden Leidenschaft nie einen Hehl gemacht, pries die Vorzüge des Auserwählten aber nicht bei den Présidentielles. Selbst in Berlusconien war der Selbstdarsteller sich selbst genug, die römischen Festspiele taugten auch nicht zur Family Soap Opera. Wenn Ursula von der Leyens sieben Kinder auf die Wahlkampfbühne stiegen!

All diese Mums and Dads und Daughters and Sons mit ihren Mums and Dads und Daughters and Sons und Grandfathers und Pilgrim Fathers. Nicht zu vergessen die Founding Fathers. Die in den Planwagen und auf den Sklavenschiffen. All diese Menschen, die hart anpackten und das Herz auf dem rechten Fleck hatten und intensiv träumten, einen amerikanischen Traum, von Freiheit und von Tiefkühltruhen mit viel drin. Das war kein Widerspruch, das war ja das Tolle. Einer sagte, er habe einen Traum, gleich darauf war er tot, doch das hielt niemanden davon ab, diesen Traum weiter zu träumen. Tough waren diese Menschen nämlich auch, keine Weicheier. In diesem Haus ist kein Platz für Feiglinge, herrscht Hillary Clintons Mutter ihre Tochter an und schickt sie raus in den Kampf gegen die Kinder, die sie ausspotten, auf dem dazu gezeigten Foto ist Hillary circa vier.

Die Mothers of the Movement, die Mütter schwarzer Kinder, die durch Gewalt auf den Straßen umkamen, treten bei und für Mother Clinton auf: als mutig und großherzig wird sie dargestellt. Das große Mutterherz, in dem alle Menschenkinder einen Platz haben.

Wir haben keine Könige, sagt Donald Trump und lässt seine Botox-Prinzessinnen defilieren. Die Clinton-Dynastie rüstet mit Husbandit und Tochter auf, auch die Obamas stehen nicht zurück: Michelle findet ihren Husband „wonderful“, er revanchiert sich und findet sie ebenfalls „wonderful“.

Und erst die Töchter! Eigentlich schön, sinniert die Europäerin in der einsamen Heiligenachtschicht, schön, dass alle einander schön finden und das sogar öffentlich sagen. Sie warten nicht bis zum Nachrufen. Positiv denken hat etwas Positives, Empowerment, ein amerikanisches Wort.

Wie viele Stunden Couch das alles sie kostet, wissen wir natürlich nicht, das Traumatisierungspotenzial von Hollywood-Star-Söhnen ist nicht geringer als das der Kids supererfolgreicher Eltern in der greisen Welt. Welch eine Heuchelei!, schüttelt es die vereinigten Singles von Europa beim Anblick der sentimental aufgerüsteten Familien im Sonntagsstaat. Und wie verzagt muss ein US-Single sein – soll es auch geben –, der irgendwo in einem Hochhauserdgeschoss an seinen Chips nagt, wie kann er oder sie je Präsident_in der Vereinigten Gottesstaaten werden? Alle Geschlechter und Hautfarben scheinen ja zugelassen, aber ein_e ohne? Eine ohne einen oder eine, einen der sich nicht fort gepflanzt hat, ein_e ohne alles? Einer ohne selbst gemachte Fans, ohne Liebeslobby? Wie kann einer ohne Stamm der Häuptling dieser großartigen Nation werden?

Aber in diesen Heiligen Nächten, in denen Gott natürlich die allergrößte Rolle spielt – selbst Gott macht brav mit, andauernd muss er segnen –, wollen wir nicht so kontraproduktiv sein, so negativ, so grüblerisch, so zynisch, so europäisch.

Wir hätten auch gern so eine Dosis Optimis-muss injiziert, wären gern von ihr inspiriert.

Michèle Thoma
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