Theater

Im Dickicht des Herrn Bertolt B.

d'Lëtzebuerger Land vom 17.05.2013

„Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ Mögen diese Worte aus seiner Dreigroschenoper den Augsburger Dichter Bertolt Brecht auch auf Klischees reduzieren und ihr Zitat der Vermischung von Figur und Autor geschuldet sein – gerade das Frühwerk des epischen Dramatikers (Baal, Die Maßnahme, Der Jasager sowie die Dreigroschenoper) wurde sowohl als revolutionäres Konzept gefeiert als auch als naive Konzeptlosigkeit verrissen. Immer wiederkehrende Kapitalismuskritik und die typisierte, dramaturgisch lose Auseinandersetzung mit Soll und Haben der westlichen Gesellschaft lassen das Publikum polarisiert zurück.

Dazu gehört auch Brechts lehrstückhaftes Im Dickicht der Städte aus dem Jahre 1921, dessen sich Regisseur Stefan Maurer dieser Tage am TNL angenommen hat. Die Geschichte um einen aus heiterem Himmel angezettelten Kampf zweier Männer, dem zynisch spitzzüngigen Holzhändler Shlink (Germain Wagner) und dem Herausforderer und idealistischen Bibliotheksangestellten George Garga (Konstantin Bühler) dramatisierte Brecht nach den Mustern eines Boxkampfes und mit den Mitteln seines epischen Theaters: „Sie befinden sich im Jahre 1912 in der Stadt Chicago. Sie betrachten den unerklärlichen Ringkampf zweier Menschen ... Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf über die Motive dieses Kampfes, sondern beteiligen Sie sich an den menschlichen Einsätzen, beurteilen Sie unparteiisch die Kampfform der Gegner und lenken Sie Ihr Interesse auf das Finish.“ Der Zuschauer wird hier zum sachlichen Analysten, nicht zum emotional Einfühlenden.

Brechts Text sieht keinen Spannungsbogen vor. Die Szenen seiner Lehrstücke, insbesondere seiner Erstlinge, wirken bisweilen wie willkürlich zusammengeschustert. Das sperrige Werk bietet dem Publikum nur bedingt logische Zugänge zu den unterschiedlichen Bildern: Vermachen und Vernichtung des Holzhandels, Prostitution der Gargas, Shlinks Tod am Ende des Dramas. Maurer stilisiert den Kampf zwischen zwei Männern sinnvoll zu einem Demonstrationsakt westlicher Kommunikationsstörung: „Die unendliche Vereinzelung des Menschen macht seine Feindschaft zum unerreichbaren Ziel! (...) Die Liebe, Wärme aus Körpernähe, ist unsere einzige Gnade in der Finsternis! Aber die Vereinigung der Organe ist die einzige, sie überbrückt nicht die Entzweiung der Sprache.“ Als Brecht-Freund kann man auf diese in ihrer Einzeldarstellung zeitweise sehr stimmigen Bilder mit Begeisterung reagieren, zugleich aber kann man dem Gesamtkonzept des Dichters mit gähnender Langweile begegnen.

Das Ensemble ist mit Germain Wagner, Nora Koenig, Konstantin Bühler und Raoul Schlechter in der Tat hochkarätig besetzt und nutzt die typisch Brecht’sche Verfremdung auch mit mimischer Verve, um die Zuschauer in die Handlung einzubinden. Revueartige Musikeinlagen von Tom Waits und Franz Schubert (live vom Dramaturgen Andreas Wagner am Klavier vorgetragen) schöpfen die Brecht’sche Philosophie vollends aus. Auch Stefan Maurer drückt dieser Produktion mit originellen Einfällen seinen Stempel auf: Er wandelt die Sprachlosigkeit in absurde Sprachvielfalt um (italienisch, luxemburgisch, deutsch, Rezitation des Brecht-Lieblings Arthur Rimbaud) und schafft atmosphärisch dichte Einzelbilder.

Zu Recht spendet das Publikum dem Ensemble Applaus angesichts seines engagierten und feinfühligen Versuchs, die lahmen Zusammenhänge des Zeigefinger-Dichters wettzumachen. Und doch bleibt Im Dickicht der Städte eine Komposition, die diesen Namen kaum verdient. Ein Schmunzeln geht mir über die Lippen in Anbetracht der Tatsache, dass „Brecht das Stück später fremd geworden ist“ (Arbeitsjournal, 30.1.1941) und er zehn Jahre später auf den Umstand hinweisen musste, „die Dialektik des Stücks (sei) rein idealistischer Art“ gewesen. Idealistisch? Zusammenhanglos? Oberlehrerhaft? Im Dickicht der Städte ist eine starke Produktion. Um die Vorlage zu mögen, muss man nicht nur Brechtfreund sein, sondern insbesondere Gefallen am Frühwerk finden.

Im Dickicht der Städte von Bertolt Brecht; eine Produktion des TNL und des Théâtre d’Esch; Regie von Stefan Maurer; Dramaturgie von Andreas Wagner; Bühne und Kostüm von Anja Jungheinrich; Beleuchtung von Mike Noel; Bühne von Sergio Ferreira; Musik von FM Einheit, Tom Waits, Franz Schubert. Mit Germain Wagner, Konstantin Bühler, Raoul Schlechter und Nora Koenig. Weitere Vorstellungen heute Abend, 17. und morgen, 18. Mai; www.tnl.lu.
Claude Reiles
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