Gefährliche Beinkleider

Enge Jeans

d'Lëtzebuerger Land vom 26.06.2015

Eine neue Angst ist am Markt, für alle, die noch keine haben oder eine für zwischendurch brauchen. Zwischen Ebola, Flüchtlingen, asiatischen Killerstechmücken, Straßenbahnen, Amerika ein funkelnagelneues Ängstlein, greifen Sie zu!

Experten, sie kommen nicht aus Saudi-Arabien, warnen inständig vor dem Tragen enger Beinkleider. Eine dramatische Rettungsaktion im Zusammenhang mit dem Tragen von Jeans wird geschildert. Eine Dame musste aus dem Kleidungsstück geschnitten werden, wahrscheinlich von Experten. Dabei handelte es sich keineswegs um die Folgen einer Sado-Maso-Inszenierung, es waren weder Handschellen noch stachelige Halsbänder im Spiel oder anderes Folterspielzeug, nicht mal Pech und Schwefel. Das teuflische Kleidungsstück hatte lebensnotwendige Prozesse unterbunden, die Durchblutung, all das, was man so braucht. Wahrscheinlich war der Dame gar nicht bewusst, wie tollkühn sie handelte. Wahrscheinlich war sie nur, ohne sich groß was dabei zu denken, in ihre Jeans geschlüpft. Das hätte sie das Leben kosten können.

Die Menschen sind wirklich sehr übermütig. Sie klettern auf Bäume und steigen in Autos, manche gehen ins Wasser oder an die frische Luft. Sie trinken Wasser, manche zu viel, wovor Experten jetzt warnen, sie liegen in der Sonne, unter freiem Himmel, aus dem theoretisch ein Meteorit fallen könnte. Diesbezüglich beruhigen die Experten zwar meistens, die Gefahr sei gegeben, aber gering. Dann vergleichen sie mit anderen Gefahren, dieser Vergleich soll uns beruhigen. Wie der der Radiologinnen, die jede Röntgenaufnahme mit dem Fliegen vergleichen, San Francisco hin und zurück, das können wir uns gönnen.

Es lauern so viele Gefahren, und die unbekannten oder die grob unterschätzten sind die schlimmsten. Die Gefahren, die im Haushalt lauern, sind bedrohlicher als böse Männer. Der bedrohlichste Mann ist der eigene, sagen Experten. Nichts ist gefährlicher als die Familie. Trotzdem wollen alle eine, wie sehr man sie auch davor warnen kann. Einsamkeit ist auch tödlich, warnen die Experten. Und all die Zwischenmodelle, die derzeit ausprobiert werden, führen zu chronischem Burn out, mindestens. Der Mensch sei nicht geschaffen für dieses dauernde Rumexperimentieren, vermitteln die Experten. Aber tödliche Langeweile sei auch nicht zu empfehlen. Abwesenheit von Stimulation führt zum Tod, wie lange es dauert, ich habe die neuesten Studien noch nicht gelesen.

Gut, dass wir die Experten haben. Sie warnen uns. Es ist wichtig, gewarnt zu werden und vorsichtig zu sein. In den U-Bahnen werden wir vor Schlitzen und Abgründen gewarnt, die beim Aussteigen auf uns lauern. Bevor wir reisen, sagen die Experten, sollten wir hin und wieder eine Pause einlegen und etwas zu uns nehmen. Regelmäßiger Stuhlgang wird empfohlen und warme Socken im Winter. Wir sollen uns bewegen, aber in Maßen. Aber als alle ihr Nordic-Walking-Besteck gekauft hatten, legten Studien nahe, dass man diese Gehstörung am besten durch eine neue ersetzen sollte. Denn natürlich, wir leben nicht in einer Diktatur, Stechschritt wird nicht gegen Nordic Walken eingetauscht, es gibt Studien und Gegenstudien. Eine neue Enzyklika taucht auf, manchmal ist sie gar entzückend. Ganz viel Essen und Saufen ist neuerdings mega-gesund! Sex, uff, auch, gar im Alter, vor allem im Alter. Sexmuffel, die lieber sexmuffeln, warten auf eine neue Studie, irgendwer wird sie doch hoffentlich bezahlen. Natürlich wird auch vor der Verwirrung, die Experten anrichten, von Experten gewarnt. Es gibt entsprechende therapeutische Unterstützung, die Experten geben Tipps.

Die Frau, die in einer Not-OP aus ihrer Jeans rausgefräst wurde, hat dank sofortigen Einsatzes der Rettungskräfte ihr unbedachtes Handeln überlebt, ohne schwerwiegende Folgen. Dennoch, sie ist ein Präzedenzfall, der uns zu denken geben muss. All die potenziellen Jeans-Katastrophen, die tagtäglich lauern! Es wird einer schwindlig bei der Vorstellung, es könnte mehr Opfer geben als im Zweiten Weltkrieg. Es könnte zu einer globalen Katastrophe kommen.

Die Jeans-Industrie wird sicher reagieren, mit Raumgreifendem. Und hoffentlich kommen endlich die vor Jahren versprochenen intelligenten Klamotten zum Einsatz. Wir brauchen sie.

Michèle Thoma
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