Pisa-Glosse 5

Einige Gründe, um vom Pisa-Karussell abzusteigen

d'Lëtzebuerger Land vom 07.04.2011

Wieso sagte unsere Ministerin bei der Vorstellung der letzten Pisa-Resultate: „Ech sin net frou“? Ich weiß es nicht, ich war nicht zugegen, kann mir aber denken, dass sie insgeheim gehofft hatte, in ihrer zweiten Amtsperiode, bessere Resultate ankündigen zu können. Die aktuellen 15-Jährigen waren noch in der Grundschule, als Mady Delvaux ihren Ministerposten antrat und die vielen Re­-formen in Angriff nahm. Doch haben die Pisa-Resultate überhaupt eine wirkliche Beziehung zu der Qualität unseres Schulsystems?

Wir Luxemburger prüfen alle Kinder, während fast alle anderen Länder eine Stichprobe (von 5 000 Schülern) untersuchen, so werden zum Beispiel in Finnland, Frankreich, Deutschland oder auch in den USA 150 (!) Schulen durch das Los bestimmt, allerdings nach strikten Auflagen. In Deutschland müssen diese dem tatsächlichen Prozentsatz an Gymnasien, Hauptschulen und Realschulen entsprechen. Folgendes ist trotzdem möglich: Wünscht der Direktor einer ausge­losten Schule nicht, dass seine Schüler mitmachen, wird eine andere, äquivalente Schule gezogen. (Pisa 2009)

Eine gute Stichprobe ist mit der Gesamtpopulation gleichzustellen, wird gesagt. Das ist aber vielleicht nicht der Fall. Folgendes kann dies illustrieren. Luxemburg führte 2009 eine Zusatzuntersuchung („Sprachenpisa“) über die Sprachenkenntnisse der Schüler durch (siehe d‘Land vom 25.2.2011). Diese verlief so: Am ersten Testtag hatten alle 15-Jährigen die Möglichkeit, zwischen einem Bogen in Deutsch oder Französisch zu wählen, wie 2006 und 2003. Neu war: Eine ausgeklügelte Stichprobe von Jugendlichen schrieb am zweiten Tag den Test in der abgewählten Sprache. Wohlgemerkt, niemand löste zweimal die gleiche Variante der Auf-gaben (im Ganzen standen 19 verschiedene Versionen zu Verfügung).

Der Vergleich zwischen den Ergebnissen dieser, doch recht großen, Stichprobe – 2 087 Schüler, das heißt fast der Hälfte der Population, und den offiziellen Pisa-Resultaten illustriert die Relativität von statistischen Berechnungen. Im „Sprachenpisa“ haben wir viel mehr leistungs­starke Schüler als in den offiziellen Pisa-Ergebnissen: statt 23 Prozent haben wir hier 27 Prozent, was ganz nahe an den 28,3 Prozent des OECD-Durchschnitts liegt. Parallel hierzu hat der Anteil von leistungsschwachen Schülern sich im „Sprachenpisa“ stark verringert: 17 Prozent haben wir hier (der OECD-Durchschnitt liegt bei 18,8 Prozent), anstatt der 26 Prozent, die uns die offizielle Pisa-Auswertung errechnete. Also auch Pisa-Resultate drücken keine absoluten Werte aus, sie sind abhängig von der Art, den Test durchzuführen und die Resultate zu rechnen. Und, wie sagte schon Churchill: „Ich glaube nur der Statistik, die ich selbst gefälscht habe.“ Der oben beschriebene „Sprachenpisatest“ hat übrigens gezeigt, dass es in Luxemburg möglich ist, einen recht anspruchsvollen Test in zwei Sprachen durchzuführen. Gibt es andere Länder, in denen die Kinder zwei „Fremdsprachen“ so gut beherrschen? Wir wissen es nicht, denn das OECD-Pisa-Gremium wollte nicht von allen Ländern verlangen, dass sie den Test in zwei Sprachen durchführten. (Die angelsächsischen Kinder beherrschen größtenteils nur eine Sprache, die Weltsprache, und jedermann soll bitte Englisch lernen.)

Wenn wir den nationalen Resultaten glauben können, finden wir hier einige interessante Erkenntnisse über die Sprachen in luxemburgischen Schulen. Da haben wir zum Beispiel die 27 Prozent leistungsstarke Schüler, das heißt Jugendliche, die fähig sind, anspruchsvolle Aufgaben bei Pisa zu lösen. Die Hälfte von ihnen fällt ins Mittelmaß zurück, wenn sie den Test nicht in ihrer Wahlsprache schreiben dürfen. Das heißt also, dass Lesestrategien von der Sprache abhängig sind und nicht zum Tragen kommen, wenn das Verständnis der Sprache nicht gut genug ist. Dieses Ergebnis scheint also klar zu beweisen, dass das Medium Sprache außerordentlich wichtig ist, auch im Pisa-Test (und gibt es nicht welche, die behaupten, dass die Sprache nicht so wichtig sei und dass darüber hinaus Luxemburgisch und Deutsch quasi identisch seien?)

Internationale Teste sind schon interessant, aber wie so vieles „à consommer avec modération“. Viermal haben wir an dieser schrecklich teuren Studie teilgenommen und jetzt haben wir sicher genug Material, um statistische, sehr vorsichtig zu lesende Zusatzantworten auf pädagogische Fragen zu erhalten. Wer zwingt uns, immer wieder mitzumachen?? Mein Vorschlag: Nehmen wir dieses Geld und setzen es dort ein, wo wir Probleme lokalisiert haben. Lassen wir die, unter den aktuellen schlechten äußerst anfechtbaren Pisa-Vorgaben un-ausbleibliche immer wiederkehrende internationale Blamage sein! Jeder neue Pisa-Test muss, wenn sich nichts an den allgemeinen Testbedingungen ändert, mehr oder weniger zum gleichen Ergebnis führen: Luxemburg, das reichste Land, hat die schlechtesten Schulen, oder wenigstens nur recht mittelmäßige! Es ist wirklich nicht ver-wunderlich, dass die hier wohnenden Ausländer von unserem Staat rein nationale Schulen für ihre Kinder fordern. Fassen wir Mut und sagen laut, was viele heimlich denken: Pisa ist eine recht schräge Art und Weise, Schulsysteme einzuschätzen. M-P Maurer

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