Ein Gespräch mit Marie-Paule Jungblut in Basel

„Zeigen, dass Geschichte bewegt“

d'Lëtzebuerger Land du 17.05.2013

d’Land: Über dem Eingang der Barfüsserkirche hängt ein großes Bild von toten Bankräubern. Ist das Ihre Schuld?

Marie-Paule Jungblut: Nein, das ist ein Zufall! In Luxemburg gab es Mord und Totschlag, aber hier die Ausstellung Schuldig ist noch von meinem Vorgänger. Die Verbrechen verfolgen mich.

Sie haben in Basel mit einem Logo für das Museum angefangen?

Mit der Profilierung der Häuser und der Entwicklung eines Mission Statement. Das Logo und der neue Auftritt sind eine Folge davon. Seit August arbeiten wir an einem Rebranding des Museums: Vom Historischen Museum werden wir zum HMB. Wir haben uns für die nächsten Jahre einen Slogan gegeben: „Geschichte bewegt“. Eigentlich kommt das vom englischen „history matters“, aber das eins zu eins ins Deutsche zu übertragen, ist nicht so einfach. So sind wir bei der Bewegung geblieben. Zum Rebranding gehört, dass unsere vier Häuser jetzt zunächst den Inhalt angeben und dann erst den Ort: Das „Museum für Geschichte“ in der Barfüsserkirche, das „Museum für Musik“ im Lohnhof, das „Museum für Pferdestärken“ in den Merian-Gärten und das „Museum für Wohnkultur“ im Haus zum Kirschgarten.

Was sich sehr verändert, ist, dass wir das Vermitteln vor das Sammeln setzten. Wir werden selbstverständlich weiter sammeln. Aber wir richten jetzt unsere Energie verstärkt auf das Vermitteln von Geschichte. Etwas ungewohnt klingt vielleicht, dass wir nicht von „Besuchern“ sprechen, sondern von „Nutzerinnen und Nutzern“. Wir sind nicht mehr nur der Schrein für die Objekte, sondern wir sind vor allem ein Instrument für diejenigen, die uns nutzen wollen, um einen Zugang zur Geschichte zu bekommen.

Bisher war das Museum die Schatzkammer von Basel.

Die wir bleiben werden! Natürlich die Objekte – wir haben fantastische Sammlungen. Aber wir werden diese Sammlungen gebrauchen, um Inhalte zu vermitteln. Vermittlung geht für uns weit über Workshops und Pädagogik hinaus. Wir werden zum Beispiel verstärkt „Living History“ anbieten. Vor allem im Museum für Pferdestärken, aber wir haben auch inszenierte Führungen mit Schauspielern im Museum für Musik. Dort ist eine Magd, die aus einem Gemälde springt und dann über ihr Leben erzählt.

Etwas weiteres, das wir ab Mai anbieten, wie in Luxemburg in der Villa Vauban: Picknick im Garten des Museums für Wohnkultur. Man kann auch zu uns kommen und einfach nur sich am Garten freuen; man ist nicht gezwungen, durch die Räume zu gehen. Wir bieten jetzt auch Kindergeburtstage an. Beim letzten Familiensonntag im Haus zum Kirschgarten hatten wir über 1 000 Besucher. Diese Formate bedeuten einen sehr großen personellen Aufwand, aber ich finde, sie lohnen sich.

Sie machen auch viel im Internet?

Das HMB ist das erste Basler Museum, das Tweetups anbietet. Wir sind jetzt sehr stark vertreten in den Social Media. Dort sehen wir, dass unser Picknick sehr gut ankommt – wir haben zu nichts anderem so positive Rückmeldungen über Facebook und Twitter. Für mich ist das wichtig: Das Haus zum Kirschgarten liegt etwas abseits – ich möchte es stärker ins Bewusstsein der Menschen holen.

Vermittlung heißt auch, dass bereits bei der Planung von Ausstellungen die Vermittlung mitgeplant wird. Wir arbeiten immer noch wissenschaftlich fundiert, aber in der Präsentation steht im Vordergrund „Was hat der Nutzer davon?“. Das ist vielleicht ungewöhnlich: Wir gebrauchen je nach Thema Objekte und Gestaltung als zwei Vermittlungsinstrumente, die gleichberechtigt sind. Das kann bei manchen Ausstellungen bedeuten, dass wir in etwas Spektakuläres hineingehen.

Die nächste Ausstellung, Ihre erste in Basel, wird pop@basel sein?

Ja, zu Rock- und Pop-Musik. Und dann ab November Echte Burgen – falsche Ritter? Eine Ausstellung, die familienorientiert in der Gestaltung ist, die aber der Frage nachgeht, wie Geschichtskonstruktion passiert. Hat es echte Ritter gegeben? Wann wurde welches Bild konstruiert und weshalb?

Nächstes Jahr möchten wir im Haus zum Kirschgarten etwas zu Lifestyle im Vergleich machen und historische und zeitgenössische Wohnkultur zusammenbringen. Außerdem machen wir Die Schweiz im Ersten Weltkrieg. Das ist eine nationale Ausstellung; wir werden die erste Etappe sein. Im Museum für Musik würden wir 2014 gerne eine Kooperation mit dem Genfer Musée d’art et d’histoire machen. Der Ton macht die Musik ist der Arbeitstitel. Die Klänge kommen zu den Instrumenten, aber nicht unbedingt Musik-Klänge, sondern vielleicht Klänge der Stadt. Das ist ein Projekt, das wir mit Peter Kiefer machen wollen, mit dem ich auch schon in Luxemburg häufig zusammengearbeitet habe. Er ist Professor an der Musikhochschule in Mainz.

2015 werden wir dann richtig in die Umsetzung der neuen Identität gehen und für verschiedene Publika verschiedene Ausstellungen anbieten. Wir planen eine Ausstellung zur Goldschmiedekunst in Basel. Da haben wir auch ein großes wissenschaftliches Projekt laufen mit zwei Publikationen. Das geht also sehr auf die traditionellen Objekte zurück. Und parallel dazu werden wir im Chor der Kirche, den wir ausräumen werden, eine Ausstellung zeigen: Football – believe it or not. Da geht es um das Phänomen Fußball und was das mit Religion zu tun hat. Bietet Fußball heute unterschiedlichen Gruppen die Orientierung, die früher Religion gegeben hat? Das ist schon ziemlich cool, finde ich: Fußball als Glaubenssache in einer früheren Kirche zu zeigen, und das noch in Basel. Das machen wir zusammen mit dem Amsterdam Museum.

So stelle ich mir vor, wie historische Museen in unserer Zeit sein sollten: zeigen, wie Geschichte Orientierung bieten kann. Zur Tradition von Basel gehört das Gold, sicher – aber Fußball gehört vielleicht für andere auch dazu. Alles, was gut und bewährt ist, wird nicht verschwinden, aber es wird Neues hinzukommen. Ich stehe dazu, dass nicht alles jedem gefallen wird. Aber wenn du zu uns kommst, sollst du ein positives Erlebnis haben. Und wenn du nur kommst, um den Garten anzuschauen, dann fühl’ dich bei uns wohl!

Ich strebe auch an, dass eine Rotation in die Sammlungen kommt. Alles können wir sowieso nicht ausstellen. Wir haben eine fantastische Meißner Porzellan-Sammlung – die soll man immer wieder unter verschiedenen Aspekten entdecken können. Wichtig ist auch, dass ein Museum flexibel ist: Mal kann es groß auftreten, wenn es die finanziellen und personellen Ressourcen generieren kann, mal kann es aber auch zu einer Studio-Ausstellung sich hinreißen lassen.

Sie planen auch eine große Ausstellung zur Geschichte des Rheins?

Die wäre sehr schön. Hat aber nur Sinn mit anderen Partnern zusammen. Das Maison de l’Histoire de France hatte uns angefragt; eine deutsch-französisch-schweizerische Kooperation wäre das gewesen. Aber die französische Regierung hat das auf Eis gelegt. Zu diesem Projekt hätten wir schon sehr viel Lust: Die Geschichte der Stadt im regionalen, nationalen, internationalen Kontext beleuchten. Es gibt andere Themen, die sehr wichtig sind: Industriegeschichte. Das Museum hat bisher einen sehr starken Fokus auf die Renaissance gelegt. Jetzt die Geschichte weiter ins 19., 20., vielleicht 21. Jahrhundert zu spinnen, das liegt mir am Herzen.

Dazu bräuchte man Geld. Den Basler Museen wurde aber 2010 das Budget gekürzt. Sind Neuerwerbungen nur noch über Spenden möglich?

Ja, über Stiftungen. Es gibt eine Stiftung zum Historischen Museum, und dort können wir für Ankäufe Anträge stellen. Was jetzt auch vor uns liegt, ist, die Sammlungspolitik neu zu formulieren. Da müssen wir zuerst ein Sammlungskonzept aufstellen. Im Moment kostet mich jeder Quadratmeter Depotfläche im Jahr rund 130 Schweizer Franken. Wenn das Budget nicht größer wird, kann ich meinem Nachfolger zumuten, dass er für hunderte Quadratmeter mehr aufkommen muss? Er wird natürlich mit unseren Entscheidungen leben müssen – und wahrscheinlich die Sammlungspolitik wieder verändern.

Sammeln Sie zum Beispiel Computer und Handys?

Das wäre eine Frage: Ist es wirklich an uns, das zu sammeln? Meiner Meinung nach muss Sammeln in Kooperation erfolgen: regional, national, warum nicht sogar europäisch. Es macht ja keinen Sinn, dass tausend Leute den ersten Apple-Computer sammeln. Erst einmal müssen wir aufstellen, was wollen wir denn sammeln? Wo sind relevante Lücken? Wie sammeln wir die heutige Zeit? Da sind wir auch in einem Netzwerk europäischer Stadtmuseen, um über heutiges Sammeln zu diskutieren.

Was Sie haben wollen, wissen Sie noch nicht so genau?

Die Sammlungsfelder, die in unserem Jahresbericht stehen, die sind eigentlich noch Sammlungsgebiete des 19. Jahrhunderts. Ich denke, dass wir im Sommer anfangen werden, die Linien aufzustellen, was wir aus dem 20. Jahrhundert sammeln. Da müssen wir natürlich auch Kooperationen mit dem Staatsarchiv überlegen und anderen Institutionen. Geld ist ein wichtiger Punkt, aber nicht der wichtigste. Zum Beispiel der Basler Münsterschatz...

Der wurde 1836 aufgeteilt und in alle Welt verschachert.

...wir haben wichtige Stücke, aber es sind auch Stücke in Cluny, in Berlin, in New York. Muss das Historische Museum alle haben? Sicher nicht. Wenn es dem Objekt ja gut geht, ist es vielleicht nicht so wichtig, wo es aufbewahrt wird.

Goldteile sind aber populär.

Ja, schon. Sie sehen ja unser Rebranding: Die heilige Ursula aus dem Münsterschatz auf unserer Neujahrskarte. Für den zweiten Teil der Kampagne haben wir übers Internet ein Casting gemacht von Leuten, die dabei sein wollen. Dieser Tage werden diese Plakate aufgehängt. Jedes Mal gefragt: „Warum bewegt Sie Geschichte?“ Da gehen wir also vom Büstenreliquar der Ursula aus – aber es gibt Bevölkerungsgruppen in der Stadt, für die ist die heilige Ursula kein Objekt der Identifikation. Auch wenn sie aus Gold ist.

Der Kanton Basel-Land hatte damals Stücke aus dem Münsterschatz versteigert. Können Sie heute Objekte verkaufen?

Nein, wir halten uns an die Richtlinien des Internationalen Museumsrats: Eigentlich sind Sammlungen unveräußerbar.

Wegen Geldmangel wollten Sie aber das Kutschen-Museum schließen?

Wir haben eine großzügige Spende bekommen. Jetzt können wir es uns leisten, dieses Museum zwei weitere Jahre offen zu halten. Parallel dazu hat sich der Unterstützungsverein „Hü-Basel“ gegründet. Wir denken über eine Neukonzeption nach, damit die Merian-Stiftung uns weiterhin einen Raum zur Verfügung stellt.

In der Schweiz gibt es sehr viele Mäzene. Ist das ein Unterschied zu Luxemburg?

Ja! Aber ein großer Unterschied ist auch, dass der Staat hier sehr viel weniger bezahlt. Für Ausstellungen, Publikationen, Werbung, Vermittlung müssen wir Ressourcen generieren. Das ist etwas, das ich hier angefangen habe zu lernen. Mir persönlich macht das Spaß, das ist eine Herausforderung. Aber das heißt nicht, dass das jeden Tag einfach ist. Zeitweise gibt es Planungsunsicherheit. In Luxemburg werden vom Staat oder von der Stadt die Mittel zur Verfügung gestellt; da weiß ich, mein Budget ist so und so und damit kann ich das und das machen. In Basel stelle ich ein Budget auf und überlege mir parallel dazu, wo kann ich Ressourcen generieren, damit dieses Projekt zustande kommt. Man braucht einen größeren Vorlauf: Ich kann’s andenken, dann muss ich es vielleicht flexibel umdefinieren im Gespräch mit möglichen Synergie-Partnern, wie man das so schön nennt.

Das Museum muss nicht nur für Besucher, sondern auch für Sponsoren attraktiv sein?

Wir haben jetzt eine eigene kleine Marketing-Abteilung aufgestellt, und Fundraising ist eine der Aufgaben. Gestern hatten wir einen sehr positiven Abend: Im Rahmen der Schmuckmesse Baselworld hat das Magazin GQ einen Anlass in der Barfüsser-Kirche organisiert, was finanziell für uns interessant ist. Ich möchte verstärkt diesen Weg gehen, dass man das Haus auch für kommerzielle Nutzung zur Verfügung stellt. Nicht für alles, aber dass wir uns auch dort anders positionieren. Das bedeutet wiederum Änderungen nach innen. Wenn zum Beispiel längere Öffnungszeiten sind, brauche ich mehr Aufsichtspersonal. Aber die meisten hier im Haus haben Lust auf Veränderungen.

Bei den zahlreichen Museen in Basel ist die Konkurrenz bestimmt groß?

Es ist schon sehr wichtig, dass wir ein eigenes Profil bekommen. Das hängt ja von einer Vision ab. Wie ich ein historisches Stadtmuseum definiere. Und für mich ist ein Stadtmuseum ein Museum, das für unterschiedliche Gruppen der Gesellschaft da ist. Ich sage nicht, dass mir der numerische Erfolg egal ist, das wäre ja blöd. Vermittlung mache ich für Besucher. Aber ein Stadtmuseum sollte für unterschiedliche Gruppen immer wieder etwas Überraschendes haben, so dass sie immer wieder gern hingehen.

In unserem Profil sehe ich nicht die Blockbuster-Mentalität. Das heißt nicht, dass wir nicht auch mal solche Ausstellungen haben. Aber ich möchte nicht mich in den Druck setzen, permanent mich steigern zu wollen. Und dann die ganze Energie nur auf solche Projekte zu fokussieren. Ich möchte, dass wir innovative Projekte machen. Dann wäre das für mich auch international ein Erfolg, wenn man sagt „Da gibt es doch in Basel das HMB, da müssen wir mal schauen, was die machen...“

In Luxemburg gibt es doch auch dieses Museum...

Ich war gerade in Vancouver auf einer Tagung von Camoc. Das ist ein Komitee der Stadtmuseen, wo ich bisher nicht aktiv war. Ich war sozusagen undercover dort, sogar mit einem anderen Namensschild. Was mir dort sehr Freude gemacht hat, ist, dass drei Museen immer wieder als wegweisend erwähnt wurden: Das Museum of London, das Amsterdam Museum – und das MHVL in Luxemburg, 1996 aufgemacht unter der Leitung von Danièle Wagener. Da habe ich gedacht: Wir haben es geschafft, international ein Profil aufzubauen. Uns zu positionieren bei dieser neuen Art von Stadtmuseen, die Ende des 20. Jahrhunderts entstanden sind. Das war ja auch kein einfaches Unterfangen: mit Null Sammlungen ein Museum aufzubauen und es nicht allein über die Sammlungen zu profilieren. Und das scheint uns da gelungen zu sein.

In Luxemburg hat es mir immer sehr gut gefallen. Ich hatte da sehr große Gestaltungsmöglichkeiten. Diese Idee der Vermittlung, zeigen, dass Geschichte bewegt – diese Idee hatte ich schon immer. Sonst hätte ich nicht Geschichte studiert und schon gar nicht Geschichte auf Lehramt. Das zu verbinden mit großen Sammlungen – das hat mich herausgefordert. Wie kann dieser gesellschaftsorientierte Ansatz in einem extrem traditionsreichen Museum funktionieren? Es geht ja nicht darum, die Sammlungen zu killen. Sondern Innovation in diese reiche Tradition zu bringen. Sonst wäre ich nicht aus Luxemburg weggegangen. Aber so wie diese Stelle in Basel ausgeschrieben war, das hat mich gereizt. Außerdem finde ich es immer gut, mich von Zeit zu Zeit in Frage zu stellen und meinen Weg zu ändern.

www.hmb.ch
Martin Ebner
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