Privatarmeen, Mordkomplotte, Separatismus: Wie der Luxemburger Chef
eines Diamentenkonzerns die Dekolonisierung des Kongo torpedierte

Die Akte Gérard Cravatte

d'Lëtzebuerger Land du 24.06.2022

Die luxemburgische Politik wandte sich Mitte 1960 angesichts der Unruhen und zu erwartenden Probleme vom Kongo ab. In einer praktisch revisionistischen Rede vor dem Parlament stellte Außenminister Eugène Schaus fest, dass die Probleme, mit denen Belgien zum Zeitpunkt der Meuterei der kongolesischen Armee konfrontiert war, Luxemburg „nicht betreffen würden“. Die Regierung würde alles daransetzen, die im Kongo verbleibenden Luxemburger/innen zurück nach Europa zu holen, und damit wäre das Kapitel beendet.

Während im Juli 1960 tatsächlich ein Großteil der hunderten Luxemburger/innen sich teils Hals über Kopf zurückzogen, startete Gérard Cravatte durch. Der gebürtige Diekircher hatte in den 1920er Jahren in Berlin Maschinenbau studiert und landete schon Anfang der 1930er Jahre im Kongo. Dort begann er sofort, bei der Forminière (Société internationale forestière & minière du Congo) Karriere zu machen, bis er schließlich selbst die Leitung übernahm: So war er zum Moment der Unabhängigkeit leitender Direktor der weltweit größten Mine für Industriediamanten im kongolesischen Bakwanga, der heutigen Millionenstadt Mbuji-Mayi. An vielen Stellen nahm er Einfluss: Er half Wahlen zu manipulieren, er finanzierte den Separatismus der Region Süd-Kasai, er war zumindest indirekt an Mordplänen gegen den gewählten Premierminister Patrice Lumumba beteiligt und ist einer der Hauptverantwortlichen für den Ausbruch der ersten Kriegshandlungen innerhalb des Kongo. Er ließ Waffen an Separatistengruppen austeilen, auch gezielt an Kindersoldaten, er veranlasste die Gründung einer von europäischen Söldnern geführten Privatarmee und organisierte die Vertreibung und Umsiedlung ganzer Bevölkerungsgruppen. Cravattes einziges Ziel war, um jeden Preis die Kontrolle über die Diamantenmine zu behalten.

Zur Produktion des Theaterstücks Gérard Cravatte stützte sich Richtung22 auf eine Vielzahl von Originaldokumenten, unter anderem das erst seit 2019 vollständig zugängliche Firmenarchiv des Diamantenkonzerns Forminière. Während das Theaterstück die Handlungen Gérard Cravattes präzise nachzeichnet, sollen hier, ausgehend von seiner Geschichte, Ereignisse dokumentiert werden, die teils über seine persönliche Verantwortung hinausgehen und andere Luxemburger/innen, beziehungsweise den Luxemburger Staat involvieren.

Die Ausgangslage

Gérard Cravatte weihte im Juni 1959, ein Jahr vor der Unabhängigkeit des Kongo, die nach eigener Aussage modernste und teuerste automatisierte Diamantenaufbereitungsanlage der Welt im belgisch-kongolesischen Bakwanga, einer künstlichen Stadt für die Arbeiter/innen und Angestellten der Mine, ein. Es handelte sich um eine beachtliche Investition der Forminière, einer belgischen Aktiengesellschaft, deren Haupteigentümer die belgische Bank Société Générale war. Womit zu diesem Zeitpunkt niemand rechnete, war, wie schnell sich die Ereignisse überstürzen würden. Bereits ein halbes Jahr später begannen die Verhandlungen über die Unabhängigkeit des Kongo in Brüssel, ein Termin für die ersten freien Wahlen wurde angesetzt und das Datum für das Ende der belgischen Herrschaft festgelegt.

Gérard Cravatte wurde überrumpelt. In einem Briefwechsel mit dem einflussreichen Luxemburger Benoît Maurice, der als ehemaliger Chef der kongolesischen Handelskammer beste Kontakte hatte, kommt seine Sorge zum Ausdruck. Aus den Briefen und weiteren Dokumenten des Firmenarchivs der Forminière, welches seit 2019 in noch größerem Umfang im Königlichen Archiv in Brüssel einsehbar ist, wird deutlich, wie die Kolonialherren und besonders Benoît Maurice massiven Einfluss auf die ersten freien Wahlen im Kongo nahmen – und wie Industrielle wie Cravatte hierfür die Gelder zur Verfügung stellten. Mit Zeitungen, finanzierten Reisen und Wahlkampfauftritten der eigenen Kandidaten und dem Kampf mit anderen Mitteln (inklusive Druck für die Verhaftungen gegnerischer Kandidaten) soll die von Europäern kontrollierte Partei „Parti National du Progrès“ zum Sieg gepusht werden. Der Plan misslingt gründlich, und zum Schrecken von Benoît Maurice wird der Wahlsieger Patrice Lumumba kurz darauf Premierminister. Dieser stellt bereits in einer legendären Rede während der Feierlichkeiten zur Unabhängigkeit klar, dass er es mit der Dekolonisierung ernst meint und sich künftig eine europäische Einflussnahme verbittet.

Technische Helfer

Ein scheinbar harmloses, sogar konstruktives Hilfsangebot aus Luxemburg erreichte Ende Juli 1960, also etwa einen Monat nach der Unabhängigkeit des Kongo, die Vereinten Nationen. „Technische Hilfe“ wird angeboten: Luxemburgische Beamte der ehemaligen Kolonialverwaltung im Kongo sollten auf ihren Posten bleiben und den neuen Staat durch ihre Erfahrung unterstützen.

Der Begriff „technische Hilfe“ wurde in den folgenden Monaten vor allem von Belgien benutzt, um die eigenen Einsätze auf kongolesischem Gebiet zu verschleiern. Es galt de facto, die Kontrolle über die Wirtschaft und die Verwaltungen zu behalten. Der luxemburgische Staat benutzte dieselbe Wortwahl ein wie die Belgier, sah sich selbst aber in einer neutralen Position. Die luxemburgische Nationalität wurde unmittelbar nach der Unabhängigkeit gezielt betont, in der Hoffnung, selbst nicht in Verbindung mit der belgischen Kolonialherrschaft gebracht zu werden. So nahm beispielsweise Nicolas Kinsch, der Erzbischof von Stanleyville (dem heutigen Kisangani), der aus Karrieregründen die belgische Nationalität angenommen hatte, zur Unabhängigkeit des Kongo wieder die luxemburgische Staatsangehörigkeit an. Mit dem Vorschlag der „technischen Hilfe“ versuchte die luxemburgische Regierung nicht nur die eigenen Leute zu schützen, sondern auch den Einfluss des verbündeten Belgien zu wahren. Bekannt war, dass Premierminister Patrice Lumumba die „technische Hilfe“ der ehemaligen Kolonialherrn explizit ablehnte. Aber wurde er überhaupt ernstgenommen? Wohlgemerkt richtete sich das Schreiben aus Luxemburg nicht an die kongolesische Regierung – sondern an die Uno. Was war geschehen?

Belgien wurde vom Befreiungsschlag der Kongoles/innen überrascht. Die kongolesische Armee meuterte kurz nach der Unabhängigkeit, da sie keine belgischen Vorgesetzten mehr akzeptieren wollte. Mit diesem akuten Machtverlust konfrontiert, entschied sich die belgische Regierung, ihre eigene Armee zu entsenden. Diese startete eine Invasion, unter anderem mit Fallschirmtruppen, zum Schutz und aus Sorge um das Leben der Europäer/innen – so der offizielle Spin. Die akkuratere Beschreibung wäre wohl, dass es sich um eine Besatzungstruppe handelte, die zumindest die Kontrolle über die Bodenschätze des Landes sichern sollte. Patrice Lumumba beschwerte sich beim Generalsekretär der Uno, dem Schweden Dag Hammarskjöld. Die Uno forderte Belgien unverzüglich zum Rückzug auf.

Genau zu diesem Zeitpunkt kam das Telegramm aus Luxemburg: „Gouvernement Congo ayant demande d urgence techniciens nations unies veuillez faire demarches aupres bureau competent ONU pour mise disposition cet organisme technicien luxembourgeois residant congo donc au courant ses problemes et desireux y continuer leur activite STOP il s agit luxembourgeois des services publics et parastataux ancien congo belge y compris medecins et veterinaires sous statut laisses sans directives dans etat actuel.“ (29.07.1960)

Resterons ou ne resterons-nous pas?

Belgien entglitt die Kontrolle über den Kongo. In Folge der sich überschlagenden Ereignisse wurde zunehmend auf andere Methoden gesetzt. Neben der bereits erwähnten Invasion der belgischen Armee setzte der belgische Staat Auftragskiller auf den kongolesischen Premierminister Lumumba an. Ein Untersuchungsausschuss des belgischen Parlaments arbeitete 2001 die verschiedenen Mordkomplotte auf, an denen der belgische Staat direkt oder indirekt beteiligt war. Thematisiert wurde auch der Anschlagsplan des Agenten Raymond Soumoy, eines Kontaktmanns von Gérard Cravatte, der auf dessen Gehaltsliste stand. Für den Zeitraum des geplanten Mordanschlags auf Lumumba überwies Cravatte 3,5 Millionen belgische Franken an Soumoy.

Die ersten Versuche, Lumumba umzubringen und durch einen genehmeren Kandidaten zu ersetzen, misslangen. Und so konzentrierte sich Belgien und auch Gérard Cravatte auf einen noch fataleren Plan: Sie entfesselten einen bewaffneten Konflikt, indem sie unter den lokalen Politikern die Wahlverlierer aufstachelten und zum Separatismus einiger Gebiete ermutigten. Hier geht es in erster Linie um den Separatismus der Region Katanga, in dem Kupfer, Gold und Uran abgebaut wurden. Aber auch das viel kleinere Gebiet des Süd-Kasai, auf dem Cravattes Diamantenmine stand, sollte unabhängig werden – Cravatte nahm hierfür Kontakt zu Albert Kalonji auf und finanzierte dessen Initiative, einen autonomen Staat auszurufen.

So notierte Pierre Wustefeld, Substitut du procureur du Roi, im August 1960: „La Forminière est en outre disposée à lui [Albert Kalonji] octroyer, dans les prochains jours, 10 000 000 primitivement prévus comme aide à la province si elle reprenait en charge certains dispensaires de la zone minière et ultérieurement 5 000 000. Le chiffre de 10 millions avait été cité par Kalonji comme nécessaire à la constitution de son gouvernement. D’une manière générale on peut considérer que Kalonji et la Forminière ont fait un mariage de raison. Le personnel l’a d’ailleurs compris et a réservé un accueil cordial à Kalonji venu leur exposer ses projets. Cependant il faut noter que la Forminière est très nette dans son désir de sauvegarder son autonomie, notamment l’administrateur délégué [Gérard Cravatte] a fait, le 14 août encore, sortir du cercle Forminière des Congolais qui n’en étaient pas membres. De même au cinéma.“

Auch dieser Plan misslang allerdings erst einmal gründlich, da Patrice Lumumba umgehend die Armee entsandte, um den Separatismus zu unterbinden. Da Gérard Cravatte, wie es im Bericht von Pierre Wustefeld steht, allerdings nicht zögerte und von der belgischen Armee zurückgelassene Waffen an die Milizen von Albert Kalonji austeilte, inklusive an Kinder, kam es zum ersten Massaker eines sich anbahnenden Bürgerkriegs. Ein Krieg, der wiederum als Beweis gegen Lumumba angeführt werden sollte, um dessen Unfähigkeit zu belegen. So wurde die Erzählung von unfähigen, unorganisierten Kongoles/innen konstruiert, deren Land selbstverständlich im Chaos versinkt, sobald die Europäer ihre lenkende Hand zurückzogen. Gespickt mit weiteren rassistischen Stereotypen wurden Lumumbas Versuche, die europäische Unterwanderung zu beenden, auch von der europäischen Presse zum Symbol für die Unfähigkeit eines ganzen Kontinents hochstilisiert. Dieses Bild wurde auch von der luxemburgischen Presse reproduziert, auch das d’Lëtzebuerger Land bildete hier keine Ausnahme.

Gérard Cravatte, selbst kurzzeitig in kongolesische Gefangenschaft geraten, aber durch die Machtmaschinerie der Belgier und Franzosen freigepresst, machte weiter. Mit neuen Geldern wurde eine von ehemaligen ranghohen belgischen Kolonialoffizieren angeführte Söldnerarmee aufgestellt, die den Süd-Kasai zurückeroberte und Cravatte wieder Zugang zu seiner Diamantenminie verschaffte.

Als Lumumba in seiner letzten Rede einen Luxemburger erwähnte

Europäer und US-Amerikaner setzten alles daran, Lumumba zu stürzen. Die Scharmützel im Kasai ermöglichten eine Diskreditierungs- und Propagandaschlacht und lieferten die ideale Basis für einen Putsch. Die CIA ermutigte und unterstützte General Mobutu, mit einem Militärcoup wurde Patrice Lumumba gestürzt. Vor der Uno legitimierten bei einer Abstimmung der Vollversammlung die meisten West-Staaten, inklusive Luxemburg, die Putschist/innen. Lumumba wurde zunächst unter Hausarrest gestellt, bei einem Fluchtversuch erneut gefangengenommen und schließlich, wiederum unter Beihilfe der Amerikaner, aber auch der Belgier, umgebracht. Sein Körper wurde in Säure aufgelöst. Patrice Lumumba wurde zur Ikone. Sein mutiger Einsatz für das Recht der afrikanischen Staaten, über ihr eigenes Schicksal bestimmen zu können, prägt den Kontinent und sämtliche Dekolonisierungsbewegungen weltweit bis heute. Zum Zeitpunkt seines Todes im Januar 1961 war er 36 Jahre alt.

Seine letzte öffentliche Rede hielt Patrice Lumumba am 7. September 1960 vor dem kongolesischen Parlament. In dieser Sitzung stand er bereits massiv unter Druck, da Präsident Kasavubu seine Absetzung gefordert hatte. Lumumba stellt im Parlament die Vertrauensfrage und sichert sich die Unterstützung der Abgeordneten. Er nutzt seine Rede, um die Machenschaften der Europäer aufzuzeigen. Dabei wird besonders ein Europäer namentlich hervorgehoben: der Luxemburger Gérard Cravatte, dessen Verstrickungen in Komplotte und Befreiung Patrice Lumumba anprangert: „Furieux de ce que nous avons rompu les relations diplomatiques avec eux, les Belges convoitent actuellement après l’or du Katanga, le fabuleux diamant de Bakwanga, donnent armes, munitions et argent à M. Albert Kalonji […]. Je me demande pourquoi Gérard Cravatte a-t-il été libéré étant donné que c’est lui qui a confié la direction générale et qui a donné à M. Kalonji des avions immatriculés Air Kasaï. Ces avions viennent de Brazzaville où tout un état-major est installé ; complicité des Belges, Français, abbé Youlou et certains de nos frères. Des avions belges atterrissent à Brazzaville, de là ils s’introduisent dans notre pays. […] Ce n’est pas parce que nous sommes des nègres ne possédant aucun moyen que les ennemis peuvent s’introduire chez nous organiser la sédition […].“

Die Zweckehe zwischen dem Industriellen Gérard Cravatte und dem kasaiischen Gegenspieler von Lumumba, Albert Kalonji, besteht auch nach dem Putsch gegen Lumumba weiter. Der Sitz des Diamantenkonzerns, in dem Cravatte auch die Separatisten-Regierung von Kalonji unterbringt, wird zur „Metzgerei des Kongo“. Lumumba-Getreue und weitere politische Gegner des neuen Machthabers Mobutu werden hier ohne Prozess hingerichtet. Briefwechsel von Gérard Cravatte mit seinen Vorgesetzten in Brüssel zeigen, inwiefern ihm dieses Vorfälle nicht nur bekannt waren sondern wie das ganze Unterfangen Kalonjis weiter mit Gelder und Söldnern unterstützt wurde. Diese Sequenz könnte jetzt als Machenschaften eines einzelnen Luxemburgers angesehen werden. Einen Hinweis auf eine Komplizenschaft des luxemburgischen Staates, zumindest zu einem späteren Zeitpunkt, gibt es dennoch. Als Albert Kalonjis separatistische Träume endgültig zerbrechen und er das Land verlassen muss, landet er nach einigen Zwischenstationen schließlich in Luxemburg, wo er bis zu seinem Tod 2015 unbehelligt in Petingen lebt.

Schaus Fouga Magister

Nach Patrice Lumumbas Tod wurde die Uno verstärkt zu einem Gegenspieler von Gérard Cravatte, Albert Kalonji, und vor allem der zweiten Separatistenregion Katanga. Unvorstellbare Szenen spielten sich während der Krisenjahre nach der Unabhängigkeit im Kongo ab. Die heute mit Sicherheit unvorstellbarste ist die Konfrontation zwischen Blauhelm-Truppen und europäischen Söldnern. Im Laufe des Konflikts schossen ehemalige französische und belgische Offiziere auf Truppen aus Irland und Schweden. UN-Generalsekretär Dag Hammerskjöld war durch Lumumbas Tod erschüttert worden. Er beschloss, wesentlich aktiver gegen den Separatismus – und damit auch gegen die europäischen Interessen im Kongo – vorzugehen. Am Ende wurde aus Dag Hammarskjöld nach Patrice Lumumba das zweite legendäre Mordopfer des Dekolonisierungskonflikts.

Wie lange vermutet wurde, und erstmals 2019 vom Guardian eindeutig belegt werden konnte, wurde Hammarskjöld nicht Opfer eines Flugzeugunfalls, sondern wurde von Söldnern im Dienst der separatistischen Regierung und dem nach Britisch-Rhodesien geflüchteten katangesischen Premier abgeschossen. Wie kam die mit einem UN-Embargo belegte kongolesische Region Katanga an Kriegsflugzeuge und damit de facto zu einer Luft-Überlegenheit gegenüber den Blauhelm-Truppen? Diese Frage kann unter anderem mit einem Blick ins Luxemburger Parlament geklärt werden. Dort sprach der liberale Außenminister Eugène Schaus am 1. März 1961 zu den Abgeordneten: „Effectivement, le 9 février passé, trois avions à réaction servant à l’entraînement de pilotes, du modèle ‘Fouga – Magister’ ont été transportés, sous forme de pièces détachées, de Toulouse au Katanga, à bord d’un avion qui a fait escale pendant approximativement deux heures à l’aéroport de Luxembourg. [...] Cette affaire donne lieu à la remarque suivante. [...] La marchandise transportée n’avait pas le caractère de matériel de guerre comme il a été prétendu. En effet, je ne crois pas qu’on puisse qualifier comme tel des appareils spéciaux servant à l’entraînement de pilotes pour avions à réaction. Il n’est donc pas établi que ce transport aurait été en conflit avec les résolutions des Nations-Unies relatives au
Congo (résolution de l’Assemblée générale du 20 septembre l960) qui prohibent l’envoi unilatéral de matériel de guerre et la prestation de toute assistance à des fins militaires, mais qui ne mettent pas obstacle aux contrats commerciaux conclus par les autorités, centrales ou régionales, du Congo.“

Eine der drei von Eugène Schaus als „Trainingsflieger“ verharmlosten Fouga Magister ist die Maschine, mit der das Flugzeug von UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld vom Himmel geschossen wurde. Über Luxemburg konnte die Fluggesellschaft Seven Seas Airways (eine Tarnfirma der CIA) den Lieferweg der Kampfflugzeuge verschleiern und die Zustellung trotz Embargo ermöglichen. Der Findel nahm nicht nur in diesem Fall, sondern systematisch eine Rolle als Drehkreuz im Kalten Krieg, für die Nato und auch in Dekolonisierungsprozessen ein..

Nach der Unabhängigkeit ist vor der Unabhängigkeit

Die öffentliche Debatte über die Luxemburger Präsenz im Kongo ist lanciert. Das ist hauptsächlich der akribischen Arbeit von Régis Moes, Kurator der Ausstellung Le Passé Colonial du Luxembourg im MNHA zu verdanken. Zugleich ist jedoch zu befürchten, dass sich die Debatte auf nur dieses einzelne Kapitel der umfangreicheren Kolonialgeschichte Luxemburgs beschränkt, obwohl dieses lediglich ein Anfangspunkt einer weitreichenden Aufarbeitung sein dürfte.

Das Kunstkollektiv Richtung22 versuchte, teils zusammen mit der Organisation LëtzRiseUp, die Debatte auszudehnen und weitere Aspekte sowie strukturelle Probleme, die mit der Kolonialgeschichte verknüpft sind, in den Fokus zu rücken. Es gilt vor allem, den Kolonialismus als aktuelles Thema zu etablieren und die Frage ins Zentrum zu rücken, inwiefern sich koloniale Strukturen auch über die faktische Unabhängigkeit vieler Staaten hinaus hielten – bis heute. Neben dem „Passé colonial“ eben auch die „Actualité coloniale“. Richtung22 und LëtzRiseUp thematisierten hier die Rolle des luxemburgischen Finanzplatzes, etwa beim Verstecken der Reichtümer von Bokassa, Mobutu und weiteren Diktatoren, bei der Unterstützung des südafrikanischen Apartheidregimes oder auch der wirtschaftlichen Dominanz europäischer Konzerne über Ressourcen außerhalb von Europa. Daneben sind auch die luxemburgische Entwicklungshilfe und Außenpolitik ein Thema. Welchen Einfluss nimmt die luxemburgische Regierung heute? An welchen Projekten und auch an welchen militärischen Missionen beteiligt sich Luxemburg? Was Letztere betrifft, wäre ganz aktuell die Beteiligung Luxemburgs an der kürzlich beendeten Intervention im Mali zu erwähnen.

Es geht hier um Postkolonialismus, also darum, den Fortbestand kolonialer Machtstrukturen nach dem Ende der Territorialherrschaft aufzuzeigen. Um dieses Prinzip greifbar zu machen und mit einem Beispiel aus Luxemburg zu besetzen, produzierte Richtung22 das Theaterstück Gérard Cravatte über den Dekolonisierungsprozess im Kongo. Eine ganz spezifische Sequenz Luxemburger Kolonialgeschichte wurde aufgearbeitet, über die es bisher kaum Wissen und noch weniger Diskussion gibt: Luxemburger im Kongo nach der Unabhängigkeit. „Avant l’indépendance = après l’indépendance“ schrieb der belgische General Janssens, oberster Kommandeur der kongolesischen Force Publique, am 5. Juli 1960 auf die Schiefertafel einer Garnison im Westen des Landes – also fünf Tage nach dem Festakt zur Unabhängigkeit des Kongo. Noch am selben Abend meuterte die Garnison. Dieser Moment stellt weniger das Ende der Kolonialherrschaft im Kongo dar, sondern vielmehr den Anfang eines bis heute währenden Versuchs, die Kontrolle über kongolesische Ressourcen in europäischen, beziehungsweise US-amerikanischen Händen zu halten. Wenn also heute die ersten, zaghaft von der Regierung durch die Finanzierung einer Doktoranden-Stelle unterstützten Schritte zur Aufarbeitung der Kolonialgeschichte gemacht werden, muss unbedingt eine Diskussion darüber stattfinden, dass der Zeitpunkt der Unabhängigkeit des Kongo auch im Falle Luxemburgs nicht den Endpunkt der kolonialen Verstrickungen bildet – auch wenn lange Zeit versucht wurde, es so darzustellen.

Dr. Yves Schmitz beriet Richtung22 bei den Recherchen über Luxemburgs Kolonialgeschichte. Der Historiker promovierte 2021 in Marburg mit einer Arbeit über Waffenhandel in imperialen Grenzregionen.

Zu Richtung22: R22 ist ein Kunstkollektiv aus Luxemburg, dass seit 2010 mit satirischen Theaterstücken, Filmen und weiteren Projekten die luxemburgische Gesellschaft und Politik porträtiert.

Richtung22
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