Das Covid-Abkommen zur Telearbeit endet für Grenzgänger in einer Woche.
Ein schwerer Schlag vor allem für die deutschen Pendler. Wie attraktiv ist Luxemburg noch für sie, die weiterhin nur 19 Tage pro Jahr Home Office leisten dürfen?

Lohnt es sich noch?

d'Lëtzebuerger Land vom 24.06.2022

Mit Corona kam die Heimarbeit und seit April 2020 haben Luxemburg und Deutschland immer wieder ihr Steuerabkommen in Bezug auf Arbeitnehmer/innen, die von der anderen Seite der Mosel kommen, überarbeitet. Aufgrund der sanitären Situation konnten die Grenzgänger/innen von zu Hause aus so viel arbeiten, wie sie wollten, ohne in ihrem Wohnsitzland besteuert zu werden. Am 23. März wurde die Vereinbarung ein letztes Mal verlängert, kommenden Donnerstag läuft sie ab. Nachdem Belgien und Frankreich festgestellt hatten, wie praktisch das Home Office während der Pandemie war, einigten sie sich mit dem Großherzogtum auf 34 Tage Telearbeit pro Jahr, ehe die Einkünfte aus Luxemburg im Wohnsitzland steuerpflichtig werden. Für Deutschland gelten weiterhin nur 19 Tage und dies seit einem Abkommen vom 26. Mai 2011.

Da die Finanzbranche sowie der Informations- und Kommunikationssektor für Home Office besonders gut geeignet sind und zugleich von großer Bedeutung in Luxemburg, ist das Großherzogtum bei diesem Thema ganz vorne. Im europäischen Vergleich liegt es direkt hinter den Niederlanden sowie Schweden mit 45,4 Prozent seiner Erwerbstätigen, die im letzten Jahr Heimarbeit geleistet haben. Während auch die Franzosen (35,5) und vor allem die Belgier (40,1) viel telearbeiteten, liegt Deutschland mit 24,8 Prozent nur knapp über dem europäischen Durchschnitt (24,2).

Die Zahl der deutschen Pendler/innen in Luxemburg, mehr als 50 000, hat die der belgischen vor kurzem überholt. Im Jahr 2020 stieg diese Zahl trotz Corona sogar besonders stark an. Das Virus führte tatsächlich dazu, dass sich viele Arbeitnehmer/innen aus den von langen pandemiebedingten Schließungen betroffene Branchen wie zum Beispiel Hotellerie und Gaststättengewerbe nach anderen und auch nach „krisensichereren“ Jobs umgeschaut und das Großherzogtum als Alternative für einen Branchenwechsel wahrgenommen haben. Das beobachtet Daniel Dorawa, Berater bei den European Employment Services der Bundesagentur für Arbeit Trier. Er betont noch: „Eine höhere Wechselbereitschaft erleben wir im Gesundheitssektor – insbesondere im Pflegebereich. Hier sind es neben den höheren Gehältern auch die zum Teil als besser wahrgenommenen Arbeitsbedingungen.“

Dieser Trend könnte sich aber bald umkehren. Denn viele deutsche Grenzgänger/innen wollen auch nach Corona von Zuhause aus arbeiten. Die wenigen für Home Office gewährten Tage sind unter anderem das, was ein Deutscher, der seit mittlerweile 30 Jahren in Luxemburg arbeitet und nach McDonalds und Esso Banker geworden ist, bedauert. Einige sind jedoch zufrieden damit. Wie ein junger Grenzpendler aus Frankfurt, der seit dem 1. Januar dieses Jahres im Großherzogtum arbeitet. Der 27-Jährige, der „mehr oder weniger zufällig“ in die Versicherungsbranche kam, sieht nur Vorteile darin, in Luxemburg zu arbeiten, und behauptet: „Meine jetzige Firma geht mit dem Thema Home Office und mobiles Arbeiten viel offener und aufgeschlossener um.“ Aber die deutschen Frontaliers, die mit ihren Telearbeitstagen zufrieden sind, scheinen nur eine Minderheit zu sein. Der 60-jährige Projektleiter eines IT-Unternehmens sieht viele Vorteile darin, in Luxemburg zu arbeiten – angefangen mit seiner bevorstehenden Rente. Sogar die Fahrt zur Arbeit nimmt er als „sehr erträglich“ wahr. Die Einschränkung des Home Office hingegen empfindet er als großen Nachteil. Laut ihm „sollte die Zukunft europäischere Lösungen anbieten, so dass auch Grenzgänger beliebig viele Tage zu Hause arbeiten können“.

Wie eine europäische Lösung aussehen könnte, stellten sich deutsche Pendler/innen vor, die im Dezember letzten Jahres eine Petition gestartet hatten. Sie forderten 55 statt 19 Tage Home Office pro Jahr. Die 55 Tage würden dem Maximum entsprechen, das die europäische Sozialversicherungsregel erlaubt. Grenzgänger/innen dürfen nicht mehr als 25 Prozent ihrer Arbeitszeit im Wohnsitzland tätig sein, ohne dort auch sozialversichert zu sein. Die Anpassung auf 55 Tage verlangt auch die Deutsch-Luxemburgische Wirtschaftsinitiative. Am 31. März, der Deadline für die Teilnahme, waren aber nur 6 285 Online-Unterschriften erreicht. Ziemlich weit entfernt von den 50 000, die nötig sind, um den Bundestag zu bewegen. So werden deutsche Grenzpendler/innen weiterhin ihre wenigen 19 Telearbeitstage haben. Zurück ins Büro, zurück in den Stau auf der A1, zurück in überfüllte Doppelstockbusse.

„Ist es denn so schwer, bestehende Regelungen zu ändern?“, beschweren sich einige Internetnutzer auf diegrenzgaenger.lu (d’Land vom 27.01.2017). Offenbar haben viele keine Lust auf die Staus auf den Straßen ab dem 15. September. Zu dieser Zeit, wenn niemand mehr im Urlaub ist, ist der Verkehr am schlimmsten. Ein Tag Heimarbeit pro Woche bedeutet zwanzig Prozent weniger Verkehr. Eine ermutigende Zahl. Ein 52-jähriger Franzose, der in Trier lebt und in Luxemburg als Jurist arbeitet, verbringt mindestens drei Stunden pro Tag in öffentlichen Verkehrsmitteln. Auch er findet die 19 Tage lächerlich. Er weist darauf hin, dass diese Situation besonders ungerecht für Berufe ist, die mit Dienstreisen außerhalb des Großherzogtums verbunden sind: Die Tage für Dienstreisen werden wie Home Office verbucht.

Angesichts des wachsenden Verkehrsproblems dezentralisieren sich die Unternehmen und mischen Heimarbeit mit Büros an den Grenzen, auf luxemburgischer Seite. In dieser neuen Dynamik werden die Frontaliers diskriminiert, insbesondere die deutschen. Mit den wenigen Telearbeitstagen, die ihnen gewährt werden, ist die Organisation zwischen ihnen und ihrer Firma schwer. Immerhin sind 19 Tage weniger als zwei Tage pro Monat. „Das ist zu wenig. Denn dann kann es einem vorkommen, als habe man plötzlich Home Office“, bedauert der Jurist.

Die Überschreitung der 19 Tage und die Besteuerung in Deutschland sind theoretisch möglich. Das bedeutet dann eine Doppelbesteuerung in Luxemburg und dem Wohnsitzland. Aber einige Unternehmen verbieten das, weil sie sich nicht mit dem damit verbundenen Verwaltungsaufwand – wie dem Formular und der Bescheinigung für mehrere Aktivitäten – belasten wollen. Ohne ein Recht auf mehr Home Office lohnt es sich für Deutsche immer weniger, im Großherzogtum zu arbeiten. Zumal der jungen Generation, wie in vielen anderen Ländern auch, im Vergleich zu den Älteren die Work-Life-Balance wichtiger ist als das Gehalt. So hat eine junge Geschäftsanwältin aus Polen sich dafür entschieden, mit ihrem Mann in Luxemburg zu leben und nicht mehr in Trier, wo sie eineinhalb Jahre lang gearbeitet und gelebt hat, weil sie „lieber ein Leben nach der Arbeit haben“ möchte.

Indem die Zahl der Heimarbeits-Tage für Grenzgänger/innen begrenzt werden, versucht Deutschland, seine Arbeitskräfte zu halten. Langfristig könnte jedoch der gegenteilige Effekt eintreten: Junge qualifizierte Arbeitnehmer/innen werden versuchen, woanders zu leben, um Anspruch auf mehr Home Office zu haben. Außerdem bedeutet Arbeit von zu Hause aus, dass auch zu Hause konsumiert wird, was wiederum Geld für Deutschland bedeutet. Laut dem Quality of Work Index der luxemburgischen Arbeitnehmerkammer arbeiteten im vergangen Jahr 22 Prozent der deutschen Pendler/innen mehrmals pro Woche von zu Hause aus, während es bei den Franzosen 28 Prozent und bei den in Luxemburg ansässigen Arbeitnehmer/innen 31 Prozent waren. Mit steigendem Bildungsniveau steigt auch die Zahl der Telearbeiter/innen. Man kann sich also vorstellen, dass deutsche Grenzgänger/innen, deren Berufe ohnehin kein Home Office zulassen, weiterhin nach Luxemburg kommen, um dort zu arbeiten. Diese weniger qualifizierten Berufe sind jedoch auch von einem anderen Faktor betroffen: der Erhöhung des Mindestlohns in Deutschland, der am 1. Juli von 9,82 Euro auf 10,45 Euro steigt und im Oktober voraussichtlich auf 12 Euro steigen wird. Da der Mindestlohn in Luxemburg zurzeit bei 13,37 Euro die Stunde liegt, wäre der Lohnunterschied gegenüber Deutschland dann gar nicht mehr so groß. Die deutschen Pendler/innen, die zum luxemburgischen Mindestlohn bezahlt werden, stellen immerhin 2 700 Personen. Werden keine Anpassungen vorgenommen, wird Luxemburg in Kürze an Attraktivität für deutsche Grenzgänger verlieren.

Dass sich Deutschland beim Home Office so zurückhält, kann auch durch das Fehlen von Steuertransfers aus dem Großherzogtum erklärt werden. Eine einheitliche EU-Regelung, die einen finanziellen Ausgleich für die Steuerausfälle von Grenzgemeinden beinhaltet, möchte Verena Hubertz, die SPD-Bundestagsabgeordnete für Trier und Trier-Saarburg erreichen. Nach dieser Regel würde im Doppelbesteuerungsabkommen ein Tag Home Office pro Woche gewährt. Über das Thema Steuertransfers denkt auch eine junge deutsche Mutter nach: „Da ich in Luxemburg meine Steuern zahle, aber mein Sohn in Deutschland kostenlos in die Kinderkrippe gehen darf, warum soll Deutschland auf weitere Steuern verzichten, wenn Luxemburg keine Transfers zahlt?“

Laut dem deutschen Finanzministerium sollte die Änderung dieser Norm zunächst auf internationaler Ebene diskutiert werden. Sowohl die EU als auch die OECD haben bekundet, sich mit dem Thema befassen zu wollen. Regelungen, die über die bestehende Bagatellregelung der 19 Tage hinausgehen, würden erfordern, das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Luxemburg zu revidieren. „Es besteht generell ein regelmäßiger Austausch zwischen den zuständigen Behörden beider Staaten, auch zum Thema Home Office fand bereits ein informeller Gedankenaustausch statt“, bestätigt ein Sprecher des deutschen Finanzministeriums. Bevor er hinzufügt, ob und wann mit einem Ergebnis der Gespräche gerechnet werden könne, lasse sich derzeit nicht sagen.

Ideal wären zwei Tage Telearbeit pro Woche für jeden, der in Luxemburg arbeitet – eine „magische Zahl“, die ein Gleichgewicht zwischen der Ruhe und dem Familienleben zu Hause einerseits und dem Kontakt zum Team auf der Arbeit anderseits ermöglicht. Für Grenzpendler/innen ist dieses Ideal leider immer noch unerreichbar, da dies eine Änderung der europäischen Rechtsvorschriften voraussetzen würde. Allerdings hat Covid die Dinge in Bewegung gebracht, und solange die Grenzgänger/innen durchhalten, könnte eine neue europäische Regel entstehen.

Yolène Le Bras
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