Tratsch, Klatsch und Small Talk

Bitte klatschen!

d'Lëtzebuerger Land vom 26.08.2016

Der Tratsch hat keinen Glamourfaktor, er hat weder Fans noch Lobby, Tratschentum wird nicht als positive Eigenschaft wahrgenommen. Niemand rühmt sich dessen, jede verwehrt sich dessen. Tratschen sind und tun immer die anderen, wie alle Tratschtanten und -onkel wissen. Menschen mit Anspruch auf anspruchsvolles Verhalten verabscheuen diese verbale Inkontinenz, wenn sie sehr anspruchsvoll sind, genau so sehr bei sich selber wie bei anderen. Manche sind chronisch inkontinent, Mitmenschen wissen um den PR-Faktor jeder Mitteilung, die sie an diese oder jene Person weitergeben, um ihren multiplikatorischen Effekt. Dorfzeitung nannte man diese Kommunikationsterminator_innen früher mal. Leider funktioniert es meist nur bei eher unrühmlichen Angelegenheiten, solche, die man tunlichst in den Mantel der Verschwiegenheit hüllt. Bis zu jenem fatalen Moment des Redeschwalls, der sämtliche Wälle überschwemmt. Und jetzt die ganz große Glocke!

Tratsch ist die niedrige Schwester des Small Talks, den man noch zu einer Kleinkunst groß reden kann, seine niederträchtigste und verlockendste Variante ist der Klatsch, seine perfideste Abart das Mobbing. Vom Redeschwall des Tratsches bis hin zu den sumpfigen Niederungen des Klatsches ist es nicht weit, die Grenzen sind fließend, schon treibt man in der Kloake und redet Scheiße.

Tratsch ist eine Notdurft, aber Menschen sind nun mal notdürftig. Er ist ein wesentlicher Trieb, er hat das menschliche Überleben gesichert, er ist unsterblich. Er entlastet, erspart den Therapeuten, und dient vermutlich dem Status Quo. Wer sich ausgeseufzt und ausgejammert hat, beugt sich eher wieder dem Joch. Tratschen schenkt Dazugehörigkeitsgefühl, gibt Rückversicherung und führt zu Verwurzelung in einer Gemeinschaft, deren Gemeinheiten wir teilen und mitteilen. In lustvoller Beschränktheit grenzt man sich ab und andere aus. Es ist identitätsfördernd und nützt dem Kollektiv, so lang er sich nicht allzu destruktiv austobt. Er versichert uns, dass wir dazu gehören. Zu denen, die das Sagen haben, zumindest jetzt, an diesem Küchentisch.

Diese Kulturtechnik widmet sich Nachbars Garten, ist aber auch global aktiv. Inspiration kommt aus allen Herrinnen Ländern. Was unter diesen Burkas vorgeht, oder dahinter! Frisur und Schicksal von Farah Diba, Fabiola mit dem Märtyrerinnenlächeln und ihrem heiligen Baudouin waren schon eine nie versiegende Quelle der Inspiration für Großmutter und ihre Nachbarin Ketty.

Die Hausfrauenwelt ist ausgestorben, die ehemaligen Eckensteherinnen, die mit praller Einkaufstasche sich einem Schwätzchen hingaben, bevor sie sich, nachdem sie dieses lang und breit geschildert und beseufzt hatten, wieder in ihr Schicksal schickten, haben die Bildoberfläche geräumt. Aber es funktioniert noch immer, in öffentlichen und privaten Foren, am Waschtrog, beim Café Latte, beim Kindergartenfest, in Flüchtlingsunterkünften und Saunen, bei Konzilien und beim Kaffeeautomaten der Sexarbeiter_innen. Besonders beliebt unter besten Freundinnen, die dann ruckizucki zu Feindinnenfurien mutieren. Klatschkillerkommandos sind global aktiv, unter Kim Il Jong genau so wie im heimischen, trügerisch familiären Sumpf, wo Klatsch und Tratsch unter besten Voraussetzungen böse Blüten treiben. Und manchen in den Tod.

Genderspezifisch sind kaum Unterschiede fest zu stellen, auch Herren kramen gern in der Plaudertasche, sogar, wie die Kommunikationsexpertin weiß, gern extratief, meist finden sie ein Messer drin.

Klatschbasen und Klatschvettern waren nie große Heroes, wer will schon ein/e solche/r sein? Wer geht zu einer Klatschvetternselbsthilfegruppe? Nicht einmal als gesellschaftstauglicher Defekt taugt er, als therapiebedürftiges Verhaltensmuster. In den Religionen ist er verpönt. Hüte deine Zunge! mahnt die Bibel. Auf alten Stichen werden Klatschweiber im Bunde mit dem Teufel dargestellt.

Natürlich wäre es viel edler, wir würden uns selbstdiszipliniert und selbstlos diszipliniert gegenüber sitzen, im Lotussitz, an einer Schale Tee nippen und ab und zu etwas nipponhaft Wesentliches von uns geben. Wahrscheinlich sind wir noch nicht so weit.

Michèle Thoma
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