Die kleine Zeitzeugin

National saufen in Wien

d'Lëtzebuerger Land vom 24.06.2022

Die Einladung der luxemburgischen Botschaft in Wien ist dieses Jahr enttäuschend, nicht mehr auf vergilbtem Papyrus mit dem erigierten Löwen drauf. Sie erfolgt schnöde per Mail.

Ich werde diesem Affront wohl trotzen und mich dennoch präsentieren, seit ich Wien-Insassin bin, bin ich schließlich zur glühenden Feiererin des Nationalen Freien Tags mutiert. Freudenfeuer, Großherzoginsgeburtstag, das Kind bibberte noch selig auf frostigem Januar-Boulevard. Dann, abgesehen von ein paar Petrus-Abenden-Nächten inmitten von Gänseblümchen unter einem durchgeknallten Himmel habe ich diesen kaum begangen, meist ist er mir entgangen.

In der Luxemburgischen Botschaft in Wien gibt es zwar kein Freudenfeuer, aber es ist trotzdem sehr schön. Die Luft ist voll Geschnatter oder Geknatter, als hätten sich Busladungen voll feierwütiger Chines*innen in einem Heurigen etabliert. Das Gras ist sehr grün und die herum gereichten Tabletts sehr voll. Voll von kleinen, delikaten Dingen, die dienstbare Körper herumreichen. Die Gläser sind auch immer voll. Voll von Crémant, der auch perlt und zischt, wie das Freudenfeuer, das es nicht gibt. Dafür sind wir alle von Freude befallen. All die luxemburgischen Wien-Insass*innen, die sich einmal im Jahr hier präsentieren. Die einander Moien! zunicken, viel mehr fällt ihnen, fällt uns nicht zueinander ein, die wir nur einen Pass gemeinsam haben. Und ein paar Vergangenheitszipfel, wir wissen alle was Aachtercher sind und wie der Jang auf dem Frang ausschaute. Moien! bis das edle Nass die Zungen löst und alle aufeinander small eintalken. Die meisten haben es zu etwas gebracht, zu etwas Offiziellem, mit Titel oder Geld, meist beidem. Selten schillert die Kunst kurz rein, meist schwänzt die Kunst. Der vorletzte Botschafter ist Künstler, die nationalen Feierer*innen konnten seine Kunst bewundern in den geräumigen Räumen des Untergeschosses seiner Residenz.

Die Luxemburger Botschaft residiert gleich in zwei Gebäuden. In dem einen, das wie ein Safe ausschaut, wälzen luxemburgische Ureinwohner*innen, die einen Pass brauchen, ihre Daumen in glitzerndem Grün, vor ein paar Jahren jedenfalls noch, vielleicht gibt es jetzt subtilere Methoden. Luxemburger*innen brauchen ja andauernd einen neuen Pass, was sehr herausfordernd ist. Zum Beispiel muss ein Ohrläppchen auf dem Pass sein. Neben dem postmodern bejahrten Safe residiert und repräsentiert der oder die Botschafter*in, die sich in den letzten Jahren rasant abwechseln, in einer standesgemäßen Villa mit Rasen und Schwimmbad. Erstaunlicherweise ist in all den Jahren des Begehens und Begießens des Nationalen Freien Tags nie jemand in den Pool gefallen, zumindest erinnere ich mich nicht daran. Nicht einmal ich glaube ich. Wobei er sehr verlockend ist in diesen hellen heißen Juninächten.

Schließlich fließt der Crémant in Strömen, seit ein paar Jahren ist der Staat aber angeblich sparsam geworden. Kaum wird es dunkel wird schon penetrant weggeräumt, und all die aufgeräumten Menschen versuchen noch einen letzten Schluck zu erobern, eine Flasche gar, sich vor den dienstbaren Körpern zu demütigen oder sie zu becircen. Aber die sind sehr korrekt. Die vielen jungen Leute trinken Amok, konzentriert und geübt. Außer die sich miteinander zu Tode langweilenden Aussterbenden sind beinahe alle blutjung und lieblich. Die luxemburgischen Studierenden sind gestylt, mit Geschmack und Geld, sie haben die genau richtigen Haare, die richtigen Klamotten. Flott.

Flott, sagte der luxemburgische Premier, als er vor einigen Jahren hier auftrat. Weil ich unbedingt diesen mythischen luxemburgischen Premier live erleben wollte, schaffte ich es zum ersten Mal, die Ansprache des Botschafters zu vernehmen, ich lernte eine Menge über Luxemburg. Die Hymne wurde gesungen, mit der Halb-Ironie der Weste-Werte-Welt, einige kippten aber rein, die Uelzecht und die Wisen, so schön! Dann kam die Hesper-Kutsch, in der es noch schöner war als im Feierwôn. Dann kam der Premier, er fand alles so flott und alle fanden ihn flott. Dann kam Barde Guy Schons, der schön in den schönen Sommerabend schmetterte. Es war wirklich ein flotter Abend.

Michèle Thoma
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