Nächste Woche tritt Großherzog Henri wieder als Staatsoberhaupt eines deutschsprachigen Landes auf

Beim Deutschen Bund in Eupen

d'Lëtzebuerger Land du 02.09.2016

Das gepflegte Provinzstädtchen Eupen liegt 90 Kilometer nördlich von Clerf und ist etwa so groß wie Düdelingen. Als Frankreich die Napoleonischen Kriege verloren hatte, war Eupen 1815 preußisch geworden, und als Deutschland den Ersten Weltkrieg verloren hatte, war es 1919 belgisch geworden. Seither nennen die Öslinger das Grenzgebiet „Nei-Belsch“. Die Mehrheit der Eupener spricht noch immer deutsch, und die Stadt beherbergt die Regierung und das Parlament der aus neun Gemeinden bestehenden Deutschsprachigen Gemeinschaft, der mit Abstand kleinsten der drei weitgehend autonomen Sprachgemeinschaften Belgiens.

Wegen dieser Wirren der Geschichte findet am nächsten Donnerstag in Eupen das informelle Treffen der Staatsoberhäupter deutschsprachiger Länder statt, und der belgische König Philippe ist Gastgeber als Oberhaupt eines deutschsprachigen Staats. Nicht minder überraschend ist seit 2014 offenbar auch Luxemburg ein deutschsprachiger Staat – seither nimmt Großherzog Henri weitgehend unbemerkt an den informellen Gipfeltreffen der Oberhäupter deutschsprachiger Staaten teil. Die Präsidenten und Monarchen Deutschlands, Österreichs, der Schweiz, Liechtensteins und Bel­giens erwarten ihn wieder nächste Woche.

Angefangen hatte es 2004 mit drei Staatsoberhäuptern, und die Idee ging auf den damaligen österreichischen Bundespräsidenten Heinz Fischer zurück. Im Gespräch mit Heinz Fischer, so der österreichische Botschafter in Luxemburg, Gregor Schusterschitz, habe der Schweizer Bundespräsident Joseph Deiss damals den Wunsch ausgedrückt nach einem politischen Austausch der nicht zur Europäischen Union gehörenden Schweiz mit den beiden EU-Mitgliedsländern Österreich und Deutschland. Worauf der österreichische Bundespräsident dann seinem Schweizer Kollegen vorgeschlagen habe, doch einfach den deutschen und den österreichischen Bundespräsidenten zu einem informellen Treffen einzuladen.

Offenbar erhoffte die von EU-Staaten umgebene Schweiz, auf diese Weise von ihren beiden deutschsprachigen Nachbarn Informationen und Einschätzungen über die Politik der Europäischen Union zu erhalten. Bundespräsident Joseph Deiss hatte aus Angst vor einer Isolation seines Landes als „Binneninsel“ in der Europäischen Union langfristig einen EU-Beitritt der Schweiz vorgeschlagen.

Vergleichbare dolmetscherfreie Treffen gab es bereits zwischen deutschsprachigen Fachministern und es gibt sie noch heute: So nahm vergangene Woche Pierre Gramegna (DP) am informellen Treffen der deutschsprachigen Finanzminister im liechtensteinischen Vaduz teil und Gesundheitsministerin Lydia Mutsch (LSAP) hatte zum vierten Treffen der deutschsprachigen Gesundheitsminister nach Luxemburg geladen. Anfang des Monats trafen sich unter Beteiligung von Jean Asselborn (LSAP) erstmals die deutschsprachigen Außenminister im liechtensteinischen Balzers.

Aber bis dahin gab es noch kein Treffen auf höchster Ebene. So fand am 20. November 2004, kurz nach der Unterzeichnung eines zweiten Pakets bilateraler Abkommen zwischen der Schweiz und der EU sowie wenige Tage vor dem Amtsantritt einer neuen Europäischen Kommission, der erste Gipfel deutschsprachiger Staatsoberhäupter im Schweizer Sankt-Gallen statt. Weil das Treffen informell war, wurde die Begegnung etwas ratlos auch „Dreiländergruppe“ und „Bodensee-Anrainerstaaten“ genannt. Diskutiert wurde über die Beziehung der Schweiz zur Europäischen Union, über Strukturreformen des Sozialstaats, den Irak und den Nahen Osten.

Das gefiel den drei Bundespräsidenten offenbar so gut, dass sie in Sankt-Gallen gleich beschlossen, die Treffen fortzuführen und auch das eng mit der Schweiz verbundene Fürstentum Liechtenstein   zum nächsten Treffen 2005 ins österreichische Salzburg einzuladen. So wurde aus der Dreiländergruppe eine Vierländergruppe, und seither nahm der seit 2004 als Stellvertreter von Fürst Hans-Adam II. mit den Regierungsgeschäften beauftragte Erbprinz Alois an allen Treffen teil.

Auch wenn die Treffen vor allem dem informellen Informationsaustausch dienen sollten, so gaben sich die Staatsoberhäupter nicht nur ein Damenprogramm, sondern rasch auch offizielle Gesprächsthemen. Allerdings wurden die meist allgemeinen und unverfänglichen Themen oft von der Aktualität eingeholt: Als die Staatsoberhäupter 2011 über Bildung sprechen sollten, bewegte in Wirklichkeit die Schuldenkrise die Gemüter, und im vergangenen Herbst schien die Flüchtlingskrise wichtiger als die als Gesprächsthema vorgesehene Digitale Revolu­tion. Beim 13. Treffen nächste Woche in Eupen soll offiziell nicht über Brexit und Terrorismus, sondern über die Förderung der Jungunternehmer beratschlagt werden.

2014 wurde der Kreis der deutschsprachigen Staatsoberhäupter zum zweiten Mal erweitert, indem auch der König der Belgier und der luxemburgische Großherzog eingeladen wurden. Das freute vor allem den Parlamentspräsidenten der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, Karl-Heinz Lambertz, der auf einem Kolloquium triumphierte: „Pour la première fois dans l’histoire de l’humanité, le Roi des Belges a participé au sommet des Chefs d’États germanophones à Rostock. [...] Cela n’était pas évident et soulignait ainsi la qualité de la Belgique comme État – aussi – germanophone.“

Dass der Großherzog Luxemburgs als Staatsoberhaupt eines deutschsprachigen Landes auftritt, ist wahrscheinlich noch weniger „evident“. Bis vor wenigen Jahren, als noch mehr Kriegszeugen am Leben waren, wäre es sogar undenkbar gewesen. Immerhin zog Großherzog Henris Vater Jean vor 72 Jahre auf einem Geländewagen der US-Armee in das von der deutschen Besatzung befreite Luxemburg ein. Als nach dem Ende der Personalunion mit dem niederländischen König die Krone 1890 an das deutsche Haus Nassau überging, galt die Dynastie in weiten Teilen der Bevölkerung als „Preisen“, und ihre deutschfreundliche Haltung während des Ersten Weltkriegs kostete Großherzogin Marie-Adelheid den Thron.

Um so überraschender ist, dass die politisch delikate Teilnahme des Großherzogs am Treffen der Staatsoberhäupter der deutschsprachigen Staaten auf eine undurchsichtige Entscheidung von 2014 zurückgeht. Außenminister Jean Asselborn (LSAP) war sich am Mittwoch auf Nachfrage sicher: „Das wurde nie in der Regierung diskutiert.“ Dies bedeutete aber, dass Großherzog Henri auf eigene Faust zusammen mit seinem Vetter, König Philippe, Diplomatie betriebe und so gegen das in Artikel 45 der Verfassung formulierte Grundprinzip der konstitutionellen Monarchie verstöße, das besagt: „Les dispositions du Grand-Duc doivent être contresignées par un membre du Gouvernement responsable.“

Die politische Tragweite erscheint umso deutlicher, als mit der Erweiterung der Treffen deren Geografie nicht nur zunehmend an den Deutsche Bund erinnert, dem Luxemburg von 1815 bis 1871 angehörte, sondern auch das politische Kräfteverhältnis ändert: Aus einem Treffen, das die Schweiz zwei EU-Nachbarn annäherte, wird ein Unterstützungsverein für die Berliner Währungs- und Austeritätspolitik in der Europäischen Union. Auch wenn die meisten Länder der Sechsergruppe Steueroasen sind, so dass es während der Finanzkrise beim Treffen 2008 in Rapperswil-Jona zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler, vormals Direktor des Internationalen Währungsfonds, und seinen Kollegen kam.

Außenminister Jean Asselborn erklärt sich die Teilnahme des Luxemburger Staatsoberhaupts an den Treffen deutschsprachiger Präsidenten und Monarchen mit dem Gebrauch der deutschen Sprache in Luxemburg. Das Sprachengesetz vom 24. Februar 1984 erklärt aber Luxemburg nicht zu einem deutschsprachigen Land. Es bestimmt im ersten Artikel das Luxemburgische zur Nationalsprache und im zweiten Artikel das Französische zur Sprache der Gesetzgebung; in Artikel drei wird das Deutsche zusammen mit dem Luxemburgischen und Französischen gleichberechtigt als Verwaltungs- und Justizsprache zugelassen. Und während der Großherzog höchstselbst an den Treffen der deutschsprachigen Staatsoberhäupter teilnimmt, bleibt er den alle zwei Jahre stattfindenden Gipfeln der Staats- und Regierungschefs der Francophonie fern, wo Luxemburg lediglich durch einen Minister vertreten ist.

Die Treffen der deutschsprachigen Staatsoberhäupter finden abwechselnd in einem der Teilnehmerstaaten statt. Dieses Jahr ist es das erste Mal bei dem neuen Mitglied Belgien. In dieser Logik könnte es nächstes Jahr erstmals ein Treffen in Luxemburg geben.

Romain Hilgert
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