Künftig ohne Distriktskommissare

Raumumordnung

d'Lëtzebuerger Land du 10.07.2015

In großer Einmütigkeit beschloss das Parlament am Dienstag die Abschaffung der Distriktskommissare von Luxemburg, Diekirch und Grevenmacher. Die Redner zitierten sich gegenseitig mit der Feststellung, dass die Distrikte Relikte aus dem „Postkutschenzeitalter“ seien. Die heutige Kommunikationstechnik mache die Distriktskommissare aber nun überflüssig, so der Motivenbericht des Gesetzentwurfs: Internet killed the District Star. Ihre Abschaffung, freuten sich zumindest die Mehrheitsabgeordneten, sei ein weiteres Zeugnis der von DP, LSAP und Grünen beschlossenen Modernisierung des Staats.

Diese Modernisierung betrifft allerdings mehr die Mittel als das Ziel. Von 1830 bis 1839 war der Staat in Stadt und Land zerfallen, als sämtliche Gemeinden sich auf die Seite der belgischen Revolution geschlagen hatten und sich die Staatsmacht des König-Großherzogs auf die von preußischen Soldaten besetzte Festung beschränkte. Damit sich das nicht wiederholte, ernannte der König-Großherzog 1843 drei Kommissare – und von 1857 bis 1867 einen vierten in Mersch –, welche die obrigkeitsstaatliche Kontrolle der Gemeinden außerhalb der Festung vor Ort gewährleisten sollten.

Nach der Abschaffung der Distriktskommissare nimmt diese Kontrolle nicht ab, sie hat nur ihre Natur geändert. Denn in Ausführung des Vertrags über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion unterstellen das Gesetz über die Verwaltung der Staatsfinanzen und das Gesetz über die mehrjährige Finanzplanung die Gemeinden der staatlichen Haushaltspolitik: Sie können nicht mehr die eigenen Einnahmen bestimmen, müssen aber ihre Ausgaben den vom Stabilitätspakt vorgegebenen Haushaltsnormen des Gesamtstaats unterordnen. Damit wurde das liberale Haushaltsdogma, zu sparen statt umzuverteilen, auch auf die Gemeinden ausgeweitet, die sich zunehmend als gewerbliche Dienstleister und ihre Einwohner folglich nicht als politische Subjekte, sondern als Konsumenten verstehen.

Mit der Abschaffung der historisch überholten Distrikte verschwindet auch eine der wenigen regionalen Verwaltungsstrukturen zwischen Staat und Gemeinden, wie sie in größeren Ländern eine Notwendigkeit, hierzulande aber ob der Beschränktheit des Staatsgebiets weitgehend überflüssig sind. Der in diesen größeren Ländern abgeschauten und vor einem halben Jahrhundert modernen Losung der Dezentralisierung ist die Einführung des Lean Management bei der staatlichen Verwaltung der Gemeinden gefolgt. Ihr Symbol ist die nun erfolgte Wegrationalisierung des Middle Managements in den Distrikten.

Doch die Ironie der Geschichte will, dass das Staatsgebiet zwar winzig, aber doch einfach nicht zu bändigen scheint. Dabei sind die verzweifelten Versuche der Landesplanwirtschaft, allen Bekenntnissen zur spontanen Entfaltung der Marktkräfte zum Trotz, längst zum Inbegriff moderner Staatskunst geworden. Während von der Angst des Volks ohne Raum erfüllte Politiker mit geringem Erfolg das kleine Land in die Großregion zu entgrenzen versuchen, zeichnen bienenfleißige Landesplaner immer neue Karten, um die gesellschaftlichen Probleme nicht zu lösen, sondern geographisch zu konzentrieren, zu verteilen und umzuschichten. Doch weil der stete Fluss des Geldes und damit der Waren und der Arbeitskräfte alle lokalen und nationalen Grenzen ignoriert, müssen die bunten Karten, die den Wohungsbau, den Straßenverkehr, die Industriezonen, die Sekundarschulen, die Landwirtschaft, die Einkaufszentren und den Naturschutz in immer neue Distrikte einteilen, ständig in den Papierkorb wandern und neue gezeichnet werden.

Romain Hilgert
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