Die Gemeindewahlen sind auch ein Test für die zum Parlament vier Monate später. Und: Es gibt ein Drittel mehr Proporzgemeinden

Ein Superwahljahr

Die Stater DP mit Premier Xavier Bettel auf einem Samstags-Markt. Ganz links Patrick Goldschmidt, neben Lydie Polfer Co-Spitzen-
Foto: Olivier Halmes
d'Lëtzebuerger Land vom 05.05.2023

Weil Gemeindewahlen alle sechs Jahre stattfinden und Kammerwahlen alle fünf, kommt es nicht oft vor, dass sie in dasselbe „Superwahljahr“ fallen. Zum letzten Mal war das 1999 so. Und wäre der gewohnte Rhythmus nicht unterbrochen worden, als 2013 die CSV-LSAP-Regierung an der Srel-Affäre zerbrach und die Kammerwahlen um ein Jahr vorgezogen wurden, hätte das nächste Superwahljahr erst 2029 ins Haus gestanden.

Dieses Jahr liegt die politische Verbindung zwischen beiden Urnengängen besonders auf der Hand: Nur vier Monate trennen sie voneinander. Die Gemeinderäte werden im Juni gewählt, das Parlament im Oktober; 1999 war das noch umgekehrt. Vor allem aber will die CSV endlich zurück an die Macht, nachdem es 2018 nicht geklappt hatte. Das macht die Gemeindewahlen zum Test für die zur Kammer, und in die kommunalen Resultate wird eine Menge nationale Bedeutung hineingelesen werden.

Die CSV agiert bereits entsprechend. Vor den Gemeindewahlen 2011 hatte ihr damaliger Präsident Michel Wolter erklärt, im Unterschied zum Ausland seien Gemeindewahlen in Luxemburg keine nationalen Testwahlen. Doch damals regierte die CSV noch. Ein halbes Jahr vor den Gemeindewahlen 2017 fand Wolters Nachfolger Marc Spautz, Gemeinde- und Kammerwahlen seien zwar „zwei Paar Schuhe“, dennoch wolle die CSV aus den Gemeindewahlen „gestärkt“ in die Kammerwahlen im Jahr danach gehen. Dieses Jahr verliert die CSV zu den Gemeindewahlen vergleichsweise wenige Worte. Einen Gemeindewahlkongress hat sie nicht ausgerichtet, der Nationalkonvent am 24. März in Ettelbrück mit der Kür Luc Friedens zum nationalen Spitzenkandidaten sollte reichen. Auf der Webseite der Chrëschtlech-sozial Gemengeréit steht noch immer das 30-seitige Rahmenprogramm zu den Kommunalwahlen 2017 zum Herunterladen, für dieses Jahr hat das Generalsekretariat der Partei auf 18 Seiten „Programmelementer“ zusammengestellt. Als vergangene Woche das Generalsekretär-Tandem Stéphanie Weydert und Christophe Hansen die vier „großen Themen“ der CSV für die Gemeindewahlen vorstellte – sozialer Zusammenhalt, Wohnungsbau, Gesundheit und Sicherheit –, sagten sie, die Partei werde sich davon auch für die Kammerwahlen „leiten lassen“. Soll heißen: Es wird genau analysiert werden, welche Zugkraft diese Themen entfalten. Gegebenenfalls werde für die Kammerwahlen „nachjustiert“, berichtete Christophe Hansen. Und natürlich wartet die CSV den Ausgang der Gemeindewahlen ab, ehe sie die Listen für die zur Kammer aufstellt. Co-Präsidentin Elisabeth Margue brachte es gegenüber dem Land schon vergangenen Herbst salopp auf den Punkt: „Wann lo een der total laanscht d’Bake kritt, stellt sech d’Fro, ob een deen dräi Méint drop nach emol mathëllt. Dat wär e bëssi penibel“ (d’Land, 22.10.2022).

Dass die anderen Parteien es genauso halten, überrascht nicht. Dass sie zu den Gemeindewahlen an Prominenz aufbieten, was sich aufbieten lässt, ebenfalls nicht. Zwar ist das Risiko reell, dass Kandidat/innen, die für die Parlamentswahlen wichtig wären, beim kommunalen Urnengang verbrannt werden könnten. Doch von der Probelauf-Funktion abgesehen, haben die Wahlen am 11. Juni noch eine weitere besondere Bedeutung: Seit 2017 hat die Zahl der Porporzgemeinden, in denen nach Parteilisten gewählt wird, um ein Drittel zugenommen, von 42 auf 56. Das macht die Gemeindewahlen zu einem Wettbewerb um die Neuverteilung der Macht auf der kommunalen Ebene. Längerfristig gewinnt auch an nationalpolitischer Legitimation, wer in den 56 Gemeinden regiert oder zumindest im Gemeinderat sitzt.

Und so treten von den 21 CSV-Abgeordneten 16 zu den Kommunalwahlen an, von den zwölf DP-Abgeordneten zehn, von den zehn LSAP-Abgeordneten sechs, von den neun grünen Abgeordneten sechs. Die beiden Linken-Abgeordneten kandidieren am 11. Juni ebenfalls, von den beiden Piraten-Abgeordneten nur Marc Goergen, von den vier ADR-Abgeordneten Fernand Kartheiser und Jeff Engelen. Haben sämtliche 16 aus der CSV Kandidierenden ein kommunales Mandat zu verteidigen, trifft das nicht auf alle anderen députés-candidats zu. Für die LSAP tritt Francine Closener, die Co-Parteipräsidentin, in Mamer neu an, ebenfalls neu in Mamer die grüne Co-Präsidentin Djuna Bernard. Der grüne Abgeordnete Charles Margue kandidiert in Lintgen auf einer gemischten Liste neu. Dass der DP-Abgeordnete Guy Arendt Bürgermeister in Walferdingen war, ist schon siebeneinhalb Jahre her.

Bereits 2017 waren die Gemeindewahlen eine Art Test für die Kammerwahlen ein Jahr später. Ihr Ausgang erweckte den Eindruck, die CSV sei zurück in Richtung Macht unterwegs. Beginnend mit den Europawahlen 2014, über das Referendum 2015 bis hin zu den Kommunalwahlen 2017 war die CSV kontinuierlich gegenüber den drei Regierungsparteien gestärkt worden. Aus den Gemeindewahlen ging sie als klare Siegerin hervor und löste die LSAP als die kommunal stärkste Partei ab. Im Schnitt der damals bestehenden 42 Proporzgemeinden verbesserte sie ihren Stimmenanteil gegenüber 2011 um 3,3 Prozentpunkte auf 33,6 Prozent. Während die LSAP 2,6 Punkte verlor und bei 29,1 Prozent ankam. Die DP (20,5%) büßte 0,8 Punkte ein, die Grünen (17,6%) 0,4 Punkte (d’Land, 13.10.2017). In 22 dieser 42 Proporzgemeinden stellt die CSV heute den Bürgermeister, die LSAP in zehn, die DP in fünf, die Grünen in einer. In weiteren acht ist die CSV an einer Koalition beteiligt, die DP in sieben, die LSAP in sechs, die Grünen in zehn.

Der Zuwachs an Proporzgemeinden hat jedoch alle Parteien überfordert. Keiner ist es gelungen, für jede der nun 56 Proporzgemeinden Listen aufzubieten, die so viele Kandidat/innen zählen, wie jeweils Ratsmandate zu vergeben sind. Und bemerkenswerterweise kann die CSV mit 45 solcher Komplettlisten nicht die meisten vorweisen, sondern die DP mit 47. Und während die CSV mit 696 Kandidat/innen zwar die meisten für die Proporzgemeinden aufbietet, reichen die 623 der DP für mehr Listen. Dass die DP offenbar mehr Listen für größere neue Proporzgemeinden zusammenzustellen vermochte, könnte sich am 11. Juni auszahlen. Die LSAP bietet 39 ganze Listen auf, die Grünen 36. Wobei LSAP-Kandidat/innen noch auf 13 gemischten Bürgerlisten stehen; für die Grünen neben Charles Margue in Lintgen noch Ex-Parteipräsident Christian Kmiotek in Kopstal.

In diesem veränderten Kontext könnten sich die aktuell bestehenden Machtverhältnisse auf der kommunalen Ebene durchaus verändern. Offiziell beginnt der Gemeindewahlkampf am 15. Mai. Neben der CSV könnte auch der DP daran gelegen sein, in ihn die großen nationalen Themen hineinwirken zu lassen und auf einen Bettel-Effekt zu hoffen, wie die CSV auf einen Frieden-Effekt. Es ist ja nicht gesagt, dass viele Wähler/innen am 11. Juni der Regierung einen Denkzettel verpassen wollen. Und wenn, dann vielleicht den Grünen mit dem Wohnungsbau- und Polizeiminister oder der LSAP mit der Gesundheitsministerin, aber nicht der DP, von der es ein klein wenig Steuerreform gibt. Strategisch nimmt die DP die Gemeindewahlen ähnlich ernst wie die CSV.

Dass dieses Jahr auch die kleinen Parteien nach mehr Legitimierung suchen, ist klar. Die Linken haben mit sieben Listen eine mehr aufgestellt (in Schifflingen) als 2017, die ADR mit elf auch eine mehr (in Kayl). Die KPL tritt in Differdingen und Esch/Alzette an – und in Rümelingen, wo sie seit 2017 Koalitionspartnerin der LSAP ist. Frank Engels Fokus kandidiert mit Listen in Differdingen, Sassenheim und der Haupstadt. Die größten Anstrengungen unter den Kleinen haben vielleicht die Piraten unternommen: 2017 waren sie in sechs Proporzgemeinden mit einer Liste angetreten, nun haben sie 13. Die libertäre Partei, der die Sonndesfro seit November 2021 den Fraktionsstatus im Parlament prophezeit, „wenn morgen Wahlen wären“, ist womöglich diejenige, die den 11. Juni am meisten als Probelauf für den 8. Oktober ansieht: Angesichts von zurzeit nur zwei Abgeordneten könnte in der Partei die Ansicht vorherrschen, kommunal wie national mehr zu gewinnen als zu verlieren zu haben.

Peter Feist
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