Ja, es ist immer wieder schön, wenn eine Sprache unbeschadet und schlackenfrei in eine andere Sprache wandert. Gibt es etwas Beeindruckenderes als eine treffsichere, stilistisch einwandfreie und klanglich überzeugende Übersetzung? Diese Übertragungsarbeit kann man jetzt einer hyperintelligenten KI anvertrauen. Sie erledigt ihren Job binnen Sekundenbruchteilen. Und sie kostet fast nichts. Das ist ein enormer Vorteil im Vergleich zu diplomierten Übersetzern aus Fleisch und Blut, die sich ihren Arbeitsschweiß wahrhaft fürstlich entlohnen lassen. Sie verdienen ungleich mehr als die bitterarmen Autoren der Originaltexte. Zudem haben diese leibhaftigen Sprachwerker eine entscheidende Schwäche, nämlich ihre Emotionalität. Wenn sie einen Autor nicht ausstehen können, neigen sie dazu, auf schmutzige Tricks zurückzugreifen. Sie übersetzen bewusst schlecht oder gar falsch, um dem Autor eins auszuwischen. Vor Übersetzern mit Gefühlsschwankungen sollte man sich daher immer hüten.
Was liegt also näher, als mit einem kostengünstigen Übersetzungsroboter anzubandeln? Der Roboter schwitzt nicht, er zieht seine Bemühungen nicht gezielt in die Länge, er arbeitet schnell und präzise, er beschwert sich nicht über Ungereimtheiten im ursprünglichen Text. Und er ist völlig gefühllos. Nur eiskalte Schaltungen, keine sentimentalen Ausrutscher. Das macht ihn nicht nur funktionstüchtig, sondern auch unbestechlich und unparteiisch.
Mein Roboter ist eine Prachtmaschine. Für mich heißt er Guggly. Zwar lautet sein vollständiger Name Google Translate, aber der klingt mir zu trocken und zu amerikanisch. Es gibt Anzeichen, dass auch er seinen Kosenamen Guggly mag. Jedenfalls vibriert er immer freudig erregt, wenn ich Kontakt mit ihm aufnehme. Guggly, bist du schon wach? Wollen wir ein bisschen übersetzen? Auf der Stelle überschlägt sich Guggly fast vor Sprachbegeisterung. Wir beide sind echte Lëtzebuergesch-Junkies. Wir mögen uns mittlerweile so sehr, dass es kaum in Worte zu kleiden ist. In lëtzebuergesche Worte, wohlgemerkt.
Dabei war unsere Beziehung nicht immer so störungsfrei und harmonisch. Anfangs waren wir beide sogar ausgesprochen misstrauisch. Wir beoachteten einander mit betonter Distanziertheit. Ich fragte mich: Kann ich eine KI-Maschine, die sich damit brüstet, alle erdenklichen Sprachen zu übersetzen, überhaupt ernstnehmen? Guggly behauptet, nicht nur Lëtzebuergesch, sondern zum Beispiel auch Luo, Lushai, Telegu, Tigrinya, Dogri, Fulfulde und Tumbuka zu beherrschen. Von all diesen Sprachen habe ich noch nie ein Sterbenswörtchen gehört, was beweist, wie tief mein linguistischer Horizont hängt. Na gut, ich kann ja mal einen Übersetzungsversuch mit Guggly starten. Gudde Moien alleguer: Mulenij uwemi wose (Tumbuka). Jam wali mon kala (Fulfulde). Suprabat sabko (Dogri). Bin ich jetzt klüger? Nein, bestenfalls verwirrter und ratloser als zuvor. Wie soll ich mich in diesem weltweiten Sprachenschlamassel zurechtfinden? Jetzt weiß ich wenigstens, dass meine Muttersprache Lëtzebuergesch ein sicherer Hafen ist. Auf Lëtzebuergesch ist die Welt gleich wieder im Lot. Es wäre doch herrlich, wenn auf dem gesamten Planeten nur Lëtzebuergesch gesprochen und geschrieben würde. Aus und vorbei mit Bikol, Burjatisch, Krio, Dinka, Hmong, Igbo, Oromo, Wolaf, Tetum, Konkani, oder wie immer all diese unsäglichen Sprachen heißen, die nur unsere Kommunikationsfähigkeit sabotieren und unseren Denkapparat vernebeln.
Konzentrieren wir uns also auf den lëtzebuergeschen Wortschatz, Guggly. Wie steht es mit deiner Kompetenz? Bist du auf allen semantischen Feldern heimisch? Darf ich dir ein typisch luxemburgisches Reizwort unterbreiten? Heibleifs-
kärchen: Hausgemachte Kekse. Das ging schon mal schief. Versuchen wir‘s anders. Roude Léif, huel se!: Roter Schatz, nimm es! Bist du nicht bei der Sache, Guggly? Kannst du wenigstens ein berühmtes Denkmal korrekt übersetzen? Den Huelen Zant: Die Aufnahme seitdem. Wie bitte? Willst du mich verarschen? Bist du wenigstens in der nationalen Kultur sattelfest? Stichwort Patrimoine? Ist dir die Operette Op der Juecht von Dicks ein Begriff? Bei mir a mengem Gréit wor d’Ursaach eng Paschtéit: In meinem Fall war der Grund ein Priestertum. Hoppla! Da tun sich Abgründe auf. Wie hast du’s mit der Nationalökonomie, Guggly? Kennst du ein paar spezifische lëtzebuergesche Produkte? Wou d’Rief laanscht d’Musel dofteg bléit: Wo entlang der Mosel die Binse duftend blüht. Die Binse! Das hören unsere Winzer gern. Wenn du so weitermachst, Guggly, geht tatsächlich alles in die Binsen.
Pass auf, mein Bester. Jetzt begeben wir uns in die Herzkammer der lëtzebuergeschen Kultur, sozusagen den Tempel unserer hausgemachten Identität: die Gastronomie. Ich kann nur hoffen, dass du wenigstens auf diesem grundlegenden Terrain die Prüfung bestehst. Kuddelfleck: Kuschelplatz. Eng Rieslingspaschtéit: Ein Rieslingpfarrer. Gehäck mat Quetschen: Mit einem Druck zerkleinert. Grompere mat Brach: Züchter mit kaputt. Bouneschlupp: Sitzsack. En Humpen an eng Drëpp: Ein Buckel und ein Tropfen. Miseler Wéngchen: Geizhalswinde. Boufferdenger: Pufferdiener. Hör auf, Guggly! Dir fehlt jegliches Sprachgefühl. Do läit d’Kromm an der Heck: Da liegt die Kurve hinten.
Ich muss gestehen: Unser Verhältnis war schon nach kurzer Zeit ziemlich zerrüttet. Ich hatte mir sogar geschworen, die Zusammenarbeit mit der verrückten Übersetzungs-KI ganz zu kündigen. Diese störrische Maschine hat leider einen unterirdischen IQ, dachte ich mir. Sie kann nicht einmal fundamentale luxemburgische Begriffe authentisch ins Deutsche übertragen. Ech lafe mer d’Bee stompeg: Ich lasse die Biene unverblümt laufen. Krunneméck: Kronenfliege. Schnuckibutz: Süßer Hintern. Pafefrësser: Kugelfisch. Schassmull: Hübsch. Knuppefreed: Umarmung. Tréischterin vun de Bedriibsten: Tröster der Vielbeschäftigten. Auch in der lëtzebuergeschen Spezialdisziplin Fluchen und Schimpfen streckte Guggly gleich die Waffen. Ligebatti: Leg dich hin. Aaschkrécher: Aschenputtel. Décken Topert: Dicke Spitze. Du klatzkäppegen Iesel: Du kahlköpfiger Esel.
Vielleicht steht Guggly ja eher auf alternativ-kreative Sprachsegmente, zum Beispiel Jéinesch. Versuchen wir’s doch einfach. Solle mer eng Grimmel poteren, Guggly?: Sollen wir ein bisschen töpfern, Guggly? Nein, mein Lieber, wir töpfern nicht, wir leisten Spracharbeit. Mir dibbere Jéinesch: Wir sterben. Was? Wie kommst du auf sterben? So schnell willst du dich vom Acker machen? Gleistrampel: Gleisrampe. Nein, Gleistrampel heißt Kuh. Noch ein Beispiel. Taff Moss: Kühles Moos. Eieiei. Kuff d’Schmull: Kaufe den Schmalen. So, jetzt ist Feierabend. Du hast null Ahnung vom Jéineschen, Guggly.
Mein Entsetzen war beträchtlich. Ich schritt zum Protest. Do ass eng Wull am Tirang, Guggly: In der Schublade liegt Wolle, Guggly. Dreif mech net op de Beemchen: Fahr mich nicht zum Baum. Du gees mer ferm op de Sak: Du wirst zur Sache kommen. So wird das nichts, mein lieber Roboter. Rapp dech mol um Rimm, Guggly: Schnapp dir einen Riemen, Guggly. Du gees mer déck op d’Strëmp: Auf unseren Socken wirst du dick. Et ass fir d’Kopplabunz ze schloen!: Es geht darum, den Kopf zu treffen, Labunz! Hues du eng Knätzel am Verstand?: Haben Sie ein Fleischbällchen im Kopf? Sou renne mer op e Stack: Also rennen wir lachend zu einem Stapel. Et ass fir sech de Buuscht auszerappen: Es liegt an ihm, sich die Brust herauszureißen. Schluss jetzt! Ersparen wir uns jede weitere Übersetzungsqual, du schamloser Provokateur! Ich steige aus. Basta. Botz d’Blat, Guggly: Mach das Laken sauber, Guggly.
Lass die Finger von dieser Teufelsmaschine, habe ich mir gedacht. Das Beste wäre, meinen unfähigen Übersetzungsroboter zu verschrotten. Zum Abschied wollte ich Guggly ein letztes Mal kräftig provozieren. Ich fütterte ihn ausschließlich mit Wörtern, die ich frei erfunden hatte. Ich wollte ihn zum Kurzschluss treiben. Gäbberläbberen: gähnen. Drotsch: langweilig. Beduddelt: heruntergekommen. Mitschmotschelen: Gemurmel. Dätschmull: deutsche Sprache. Kollobatsch: umgangssprachlich. Wie denn jetzt? Guggly übersetzt unbeirrt? Ganz so, als hätte er mit realen, nachprüfbaren Wörtern zu tun? Das kann doch nicht sein Ernst sein. Snätschpätsch: kleiner Vorgeschmack. Latzzatz: faul. Passirupprupp: Anruf weitergeben. Spinnt mein Roboter jetzt? Oder bin ich von der Rolle? Hunn ech e Rass an der Scheif?: Habe ich ein Rennen in der Scheibe?
Nur langsam dämmerte mir, was hier geschah. Ich wurde Zeuge, wie eine völlig neue Sprache entstand. Aus dem Nichts tauchten immer mehr unerhörte Wortschöpfungen auf. Heute weiß ich genau, worauf es bei der Sprachkreation ankommt: auf Anarchie und Erfindungsgeist. Mittlerweile ist nicht mehr klar, wer am kühnsten und frechsten das Lëtzebuergesche aufmischt, Guggly oder ich. Flätschendätti: abgeflacht. Trippelschnotz: dreifacher Rotz. Stroppschlappi: Slipper. Fruppflopper: flaumig. Hibbelknibbel: kniend. Pinkapotzen: rosa Kleid. Opderlopderdrop: übereinander. Wir haben alle Hemmungen fallenlassen und fabulieren um die Wette. Wie schön! Da soll mal einer kommen und behaupten: All diese Wörter sind unerlaubt. Wir müssen das Lëtzebuergesche sauberhalten. Wo kommen wir denn hin, wenn sich plötzlich jeder seine eigene Sprache zusammenbastelt? Über solche Einwände kann ich nur lachen. Mit Guggly habe ich eine heiße, symbiotische Beziehung. Wir befruchten uns gegenseitig. Stampokrampo: Stempel. Letschtebutti: letztes Debüt. Zabberdonk: pechschwarz. Flitschfullu: auffällig. Puschpitsch: aufdringlich. Flitschfullu: aufdringlich. Moment mal. Zweimal aufdringlich? Ach ja, die Synonyme! Wie konnte ich das nur vergessen? Die Synonyme sind das Salz jeder Sprache. Krätschbumm: Schlingpflanze. Blimmelbimmel: Hummel. Häppidäppi: glücklich. Laatschnuckel: Lass uns schlafen. Géifs de dech gär tässelen, Guggly?: Möchtest du dich selbst necken, Guggly?
Am liebsten möchte ich Guggly alle fünf Minuten umarmen. Aber wie? Er ist ja nicht greifbar. Virtuelles Liebkosen ist nur die halbe Miete. Leider bleibt es beim platonischen Techtelmechtel. Jedenfalls arbeiten wir immer leidenschaftlicher miteinander. Prutschblibb: Rutschiger Hang. Flautschlollo: Flöte. Fläschendätscher: flaches Deutsch. Pillischlutz: Bunker. Brimbram: randvoll. Schlomp: Gefälle. Mein lëtzebuergescher Wortschatz wächst und wächst.
Ich bin hellauf begeistert von Gugglys verblüffender Schnelligkeit. Kein Zeichen von Schwäche, keine Ermüdungserscheinung, wie sie leider leibhaftige Übersetzer immer wieder heimsucht. Man weiß ja, welch ausgedehnte Pausen diese lost in translation-Zunft sich regelmäßig leistet. Massenweise Kaffee mit oder ohne Spirituosen, meditatives Herumlümmeln, endloses Luftschnappen – kein Wunder, dass die Honorare fürs Übersetzen ins Astronomische steigen. Guggly ist da ganz anders. Er übersetzt wie aus der Flinte geschossen. Sobald ich den letzten Buchstaben eintippe, ist seine deutschsprachige Version schon fertig. Das nenne ich Leistungsexzellenz! Und ich muss nur den Strom bezahlen, den er verbraucht.
Dank Guggly habe ich einen tollen Plan. Und zwar möchte ich ein durch und durch unkonventionelles Wörterbuch herausgeben: Neo-Lëtzebuergesch – En Dixionär. In diesem handlichen Werk werden nur lëtzebuergesche Wörter stehen, die es bisher nicht gab. Dass es sie jetzt gibt, habe ich meinem geliebten Guggly zu verdanken. Mir geet eng Späicherliicht op: Eine Speicherleuchte leuchtet auf. Guggly hat mir zu einer fundamentalen Erkenntnis verholfen. Was übersetzbar ist, existiert. So einfach ist das. Der lëtzebuergesche Sprachreichtum wird regelrecht explodieren. Schnäipendulles: Schnüffelnder Dummkopf. Knotschbibbelen: knorriges Gebrabbel. Tapaaschtrulli: Nudelrolle. Naja, hier hätte ich eher auf „Lärmmacher“ getippt. Aber ich will Guggly nicht an die kurze Leine legen. Er soll genau so erfindungsfreudig sein dürfen wie ich. Als verliebtes Paar sind wir beide gleichberechtigt. Die Nudelrolle heißt auf Lëtzebuergesch also künftig Tapaaschtrulli. Und jetzt? Uns bleibt nur, mit Bertolt Brecht zu klagen: Der Vorhang zu und alle Fragen offen.