Communautés urbaines

Heiliger Gral Gemeindeautonomie

d'Lëtzebuerger Land du 28.08.2008

Jean-Marie Halsdorf versucht, gelassen zu wirken: Mag ja sein, dass sein Vorentwurf zu einem Gesetz über die Bildung von Communautés urbaines von mehreren Seiten heftig beanstandet wird. Aber das Papier sei ja noch ein Vorentwurf, und werde, meint der Innen- und Landesplanungsminister, draußen im Land „noch nicht richtig verstanden“. Mehr will er zum Thema nicht sagen, sondern „schauen, was die weiteren Diskussionen ergeben“.

Der Widerstand gegen das Vorprojekt könnte 14 Anrainergemeinden von Luxemburg-Stadt, Esch/Alzette, Düdelingen und Differdingen erfassen. Zwölf von ihnen einigten sich am 16. Juli in Monnerich auf eine Resolution an die Regierung, und ein vom Monnericher Bürgermeister Dan Kersch (LSAP) verfasster Bericht über das Treffen hält fest, dass die meisten der zwölf Gemeinden die Resolution ihren Gemeinderäten zur Abstimmung vorlegen wollen. In Strassen, Leudelingen, Monnerich und Roeser wurde sie noch bis zum 1. August verabschiedet. In Bartringen, Hesperingen, Schifflingen, Sassenheim, Bettemburg, Kayl, Rümelingen, Petingen, Niederkerschen und Küntzig könnte das demnächst passieren.

Dabei werden in der Resolution Communautés urbaines gar nicht abgelehnt. Vielmehr wird dem Innenminister vorgeworfen, die betroffenen Gemeinden nicht konsultiert zu haben. Außerdem sei das Vorprojekt auf die Nordstad zugeschnitten und „nullement transposable“ auf die Ballungsräume um die vier größten Städte im Land. Das liest sich, als sei mit gutem Willen zum Dialog viel zu klären.

Es besteht allerdings die Gefahr, dass die weiteren Diskussionen das Vorhaben seiner Substanz berauben. Grundsätzlich wäre in Luxemburg eine so verbindliche Kooperation zwischen Gemeinden, wie eine Communauté urbaine sie mit sich brächte, etwas völlig Neues. Schon 1992 stellte der damalige LSAP-Abgeordnete René Kollwelter sich in einem Gesetzesvorschlag die Bildung von Communautés urbaines mit ab 20 000 Einwohnern genauso vor wie Jean-Marie Halsdorf heute und wollte sinngemäß dieselben Befugnisse von den Mitgliedsgemeinden an ein solches Bündnis abtreten lassen: kommunale Bebauungsplanung und Urbanismus, öffentlichen Personenverkehr, Planung und Betrieb von Gewerbegebieten. Punktuell ging Kollwelter sogar noch weiter, wollte etwa den Communautés urbaines auch Wohnungsbauprogramme oder Wasser- und Abfallwirtschaft übertragen. Als der Vorschlag im Jahr 2000 in der Parlamentsdebatte über eine Reform der Gemeindesyndikate endgültig ad acta gelegt wurde, hatten vom Staatsrat über den Conseil supérieur de l‘aménagement du territoire bis hin zum zuständigen Parlamentsauschuss und zum damaligen Innen- und Landesplanungsminister Michel Wolter alle Entscheidungsträger den Communautés urbaines jegliche „plus-values“ für Luxemburg abgesprochen und ihnen die seit 1901 existierende, eher projektbezogene Kooperation in Gemeindesyndikaten vorgezogen.

Nur fünf Jahre später dagegen hieß es im Territorialreformvorschlag von Jean-Marie Halsdorf, es sei nötig, „d‘intensifier sensiblement la collaboration intercommunale“ in den Agglomerationen um die Hauptstadt, Esch/Alzette und Ettelbrück/Diekirch. Sonst drohten „développements inconsidérés, qui, résultant de réflexions trop souvent nombrilistes et unilatérales, s‘avéreraient contraproductifs dans les territoires respectifs de leurs communes au vu des effets secondaires négatifs induits et ceci non seulement pour ces communes, mais aussi pour toute la région, voire pour l‘ensemble du pays, comme on peut le constater trop fréquemment à l‘heure actuelle“. Weshalb den Gemeinden um Luxemburg-Stadt, Esch/Alzette sowie in der Nordstad die Bildung von Communautés urbaines sogar zur Pflicht gemacht werden sollte.

Drei weitere Jahre später und nach Abschluss der Diskussionen im parlamentarischen Sonderauschuss „Réforme territoriale“ mit der parlamentarischen Orientierungsdebatte am 3. Juli haben die Communautés urbaines als einzige institutionelle Innovation aus Halsdorfs Vorschlag überlebt. Die Abgeordnetenkammer stimmte am 3. Juli zu, dass sie auch um Düdelingen und Differdingen geschaffen werden sollen. Doch während die Mehrheit der Kammer-Fraktionen sie genauso obligatorisch einrichten lassen wollte wie der Innenminister in seinem Reformkonzept vom Frühjahr 2005, kam dieser in seinem Gesetzesvorentwurf auch dem Wunsch der DP-Fraktion nach einem freiwilligen Beitritt entgegen: „les communes (...) peuvent s‘associer“, heißt es in Artikel 2.

So gesehen, scheint es unverständlich, wenn aus den Anrainergemeinden der Verdacht laut wird, angesichts von Halsdorfs Vorschlag müsse man „auf der Hut vor verkappten Fusionsversuchen sein“, wie der Strassener Bürgermeister Gaston Greiveldinger (LSAP) gegenüber dem Land meint, und sein liberaler Leudelinger Amtkollege Rob Roemen gar „Zwangsfusionen“ vermutet. Denn nur falls innerhalb einer Agglomeration eine einzige Gemeinde übrig bliebe, deren Gemeinderat sich gegen den Beitritt zur Communauté urbaine ausgesprochen hätte – nur dann könnte der Beitritt durch einen großherzoglichen Erlass angeordnet werden, schlägt der Innenminister vor.

Die Reklamationen der Gemeinden sind jedoch subtilerer Natur und betreffen hauptsächlich die laut Vorentwurf obligatorisch an die Communauté urbaine abzutretenden Kompetenzen. Dass „l‘élaboration et l‘adoption d‘un plan d‘aménagement général commun couvrant l‘ensemble des territoires des communes faisantpartie de la communauté urbaine“ dazu gehören soll, wollen nicht nur Greiveldinger und Roemen nicht hinnehmen. Auch der Bartringer Bürgermeister Paul Geimer (DP) findet: „Da nehme ich als Bürgermeister nur noch Eheschließungen vor.“ 

Mag Hauptstadtbürgermeister Paul Helminger (DP) auch dagegenhalten: „Ein Generalbebauungsplan geht gemäß dem neuen Gesetz über die Kommunalplanung viel weniger ins Detail als früher. Dagegen erhalten Teilbebauungspläne mehr Gewicht. Die macht jede Gemeinde für sich. Und auch in einer Communauté urbaine unterzeichnet der Bürgermeister letztlich ,seinen‘ PAG.“

Nein: Ein PAG sei „ein Strategiedokument“, findet Rob Roemen, „und eine eigene Strategie bilden zu können, gehört zur Gemeindeautonomie“. Den PAG abzugeben, käme für die drei Gemeindeväter im Südwesten der Hauptstadt schon fast einer Eingemeindung in diese gleich. Dass Paul Helminger derzeit gegen jenen Passus in Halsdorfs Vorentwurf argumentiert, der festlegt, dass jede Mitgliedsgemeinde in einer Communauté urbaine maximal drei Sitze haben und kein Mitglied die anderen überstimmen können soll, verstärkt den Eindruck noch. Die Vorstellung, die Randgemeinden könnten die Hauptstadt überstimmen, ist jedoch Helminger wiederum unerträglich. So dass dieser sich vielleicht vor allem selber Mut macht, wenn er sagt: „Zumindest die Anrainer im Südwesten werden schon mitmachen.“ 

Ohnehin ist Helminger, abgesehen von den sechs Nordstad- Gemeinden, die ihre Aufgabenteilung schon vor zwei Jahren festgehalten haben, der wichtigste Interessent für Communautés urbaines. Die anhaltende Attraktivität des Ballungsraums Luxemburg-Stadt sorgt dafür. Mit „effets sécondaires négatifs“ zur Begründung von Communautés urbaines ist vor allem gemeint,dass die Abwanderung von Büro-Aktivitäten aus der Hauptstadt in Gewerbegebiete im Umland dadurch begünstigt wird, dass die in den Randgemeinden jeweils geltenden Bauvorschriften eine im Vergleich mit Luxemburg-Stadt zum Teil um den Faktor 6 großzügigere Bestückung mit Parkplätzen erlaubt. Das wiederum treibt den Autoverkehr an; aber wem es gelingt, Betriebe anzuziehen, pflegt sein lokales Gewerbesteueraufkommen.

Die besondere Bedeutung der Communautés urbaines liegt auch genau hier: Waren die Communautés de communes, zu denen zusammenzuschließen Jean-Marie Halsdorf eine Zeitlang kleine Landgemeinden mit finanziellen Anreizen veranlassen wollte, eher als ein Instrument zum verbesserten Dienst am Bürger und für mehr kommunale Effizienz gedacht, sollen Communautés urbaines große landesplanerische Ziele umsetzen. Denn bisher existiert noch kein Instrument, mit dessen Hilfe man jenen „zentralen Orten“, die seit 2003 das nationale Programme directeur zur Landesplanung als bevorzugt zu entwickeln festhält, auch zu dieser bevorzugten Entwicklung verhelfen könnte. Communautés urbaines könnten wenigstens für die vier größten Städte im Land sowie für die Nordstad einen klaren Rahmen setzen.

Entsprechend folgenschwer wäre es, wenn das Konzept zu stark aufgeweicht würde – für die Behandlung der zentralen Orte existiert keine Alternative. Allerdings spaltete die so wichtige Frage der abzutretenden Zuständigkeiten auch den Gemeindeverband Syvicol: In seinem unlängst an den Innenminister geschickten Gutachten zum Vorentwurf finden sich zwei extreme Positionen der Delegierten im Syvicol-Vorstand. Während die einen meinen, nur bei Abtretung genau jener kommunalen Zuständigkeiten, die das Vorprojekt aufzählt, könnten Communautés urbaines vernunftig funktionieren, wollen die anderen den Gemeinden dabei völlige Wahlfreiheit zugestehen. Andernfalls, sagen sie, bliebe den Kommunen nur ein „zusammenhangloser Rest“ von Kompetenzen, und das untergrabe ihre Gemeindeautonomie.

Aber wenn schon der heilige Gral Gemeindeautonomie ins Spiel kommt, dann könnten die Communautés urbaines als Teil der territorialen „Jahrhundertreform“ sich zur parteipolitischen Vereinnahmung im bevorstehenden Wahlkampf eignen. Das Problem ist nur, dass in diesem Fall gleich ein Reformvorschlag für das Landesplanungsgesetz mitgeliefert werden müsste.

Peter Feist
© 2023 d’Lëtzebuerger Land