LEITARTIKEL

Wie der DP-Staat entsteht

d'Lëtzebuerger Land vom 30.10.2020

Nicht heimlich, aber still und leise während der Sommerferien inmitten der Corona-Krise hinterlegte Erziehungsminister Claude Meisch im August und September im Parlament gleich zwei Gesetzesvorhaben, die einen Paradigmenwechsel in der Luxemburger Bildungslandschaft darstellen: Künftig sollen Leitungen für spezialisierte Lyzeen wie die Erzieherschule in Mersch, die Hotelschule in Diekirch oder die Landwirtschaftsschule in Ettelbrück nicht mehr nur von höheren Beamt/innen besetzt werden können, die mindestens fünf Jahre Unterrichtserfahrung im hiesigen Schulsystem haben und alle drei Amtssprachen berherrschen, sondern auch von Bewerber/innen aus der Privatwirtschaft, die nicht alle drei Amtssprachen beherrschen.

Damit nicht genug: Der Motivenbericht behält sich vor, dieses Modell auf weitere Sekundarschulen auszudehnen. Auch die Litungen der Bildungseinrichtungen Service de Coordination de la Recherche et de l’Innovation pédagogiques et technologiques (Script), des Lehrerweiterbildungsinstituts (Ifen) sowie des Centre de gestion informatique de l’éducation (CGIE) auf dem Campus in Walferdingen sollen künftig nicht mehr höheren Beamt/innen vorbehalten sein. Meisch begründet die geplante Gesetzesänderung damit, es sei immer schwieriger, Kandidat/innen für derartige Leitungsposten zu finden, allerdings legte er dafür keine Beweise vor und wird dieses Motiv von Direktoren bezweifelt.

Die Reform sorgt für Empörung, und zwar nicht nur bei der Staatsbeamtenkammer, die darin vor allem eine Attacke auf die höhere Beamtenlaufbahn und die luxemburgische Dreisprachigkeit sieht. An den betroffenen Schulen rumort es ebenfalls, denn wie so oft in der Vergangenheit, hat Claude Meisch es versäumt, diese Kursänderung genauer mit den Direktionen abzusprechen. Die Argumente, die die Lehrergewerkschaft Feduse gegen die Öffnung insbesondere der Sekundarschulen vorbringt, sind nicht nur korporatistischer Natur, wo Lehrer sich um Aufstiegschancen beraubt sehen. Sie sind auch fachliche: Kandidat/innen müssten das Bildungssystem kennen und pädagogisches Know-how besitzen, denn sie bewerten in den Examensjurys und sitzen dem Conseil d’éducation vor, schreibt die Feduse in ihrem Gutachten, und sie warnt vor Nepotismus, also Vetternwirtschaft.

In der Tat gehen Gerüchte um, denen zufolge Minister Meisch die Reform anstrebe, um einigen Beamt/innen das Karriereende mit einem prestigiösen Posten zu versüßen. Belege dafür gibt es bislang aber keine. An der Merscher Erzieherschule soll Direktor Henri Welschbillig demnächst in Rente gehen. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Minister ihm gefällige Leute an die Spitze wichtiger Einrichtungen holt. Erst kürzlich sorgte Meischs liberaler Parteikollege, Finanzminister Pierre Gramegna, für Schlagzeilen mit einer überraschenden Gesetzesänderung, die es laut Online-Magazin Reporter dem ABBL-Direktor Yves Maas erlauben soll, neben der Führung der Bankenvereinigung seinen Posten als Geschäftsführer von Crédit Suisse zu behalten; zwei Posten, die wegen möglicher Interessenkonflikte eigentlich als unvereinbar gelten.

Noch bemerkenswerter ist, dass Meisch mit der geplanten Reform seinen Umbau des Luxemburger Bildungswesen konsequent fortsetzt und ihm dabei kaum politischer Gegenwind entgegenbläst. Denn nach der Lehrerausbildung, die er für Quereinsteiger/innen geöffnet hat, scheinen mit den Direktionen weitere Karrierewege verloren zu gehen, die vorher dreisprachig ausgebildeten Staatsbeamten vorbehalten waren und künftig Kandidat/innen aus der Privatwirtschaft offen stehen. Vermutlich ist die Opposition wegen Coronavirus und Sommerpause vom Projekt überrascht worden. Auf Land-Nachfrage zweifelte Martine Hansen, CSV-Fraktionschefin und schulpolitische Sprecherin, die Notwendigkeit der Reform an. Ihr Gegenvorschlag: Lieber sollte die Attraktivität dieser Führungspositionen verbessert werden. Dass die Direktionen zudem bei für sie so wichtigen Entscheidungen respektlos umgangen werden, fördert die Attraktivität sicherlich nicht.

Ines Kurschat
© 2023 d’Lëtzebuerger Land