Besuch beim Rennsportler des Jahrtausends

Schnell heißt Vollgas

d'Lëtzebuerger Land du 25.01.2001

Wer ihn in seinem Haus in Bettborn besucht, kommt nicht vorbei an dem kleinen Flur mit den Postern und Fotos an den Wänden, mit den vielen Pokalen, die auf schmalen Regalbrettern bis unter die Decke aufgereiht stehen. „Keine Ahnung, wie viele das genau sind“, sagt Nicolas Koob achselzuckend. „Um die hundert vielleicht. Gewonnen habe ich mehr als 600, aber die meisten verschenkt. Wo sollte ich denn hin damit?“

Er ist nicht sehr groß, aber breit wie ein Schrank. Unter den kurzen grauen Haaren ein Paar Augen, die immer alles im Blick zu haben scheinen. Nicolas Koob ist 71, aber das sieht man ihm nicht an. Und wenn er spricht, dann laut.

Da dürfte es keine großen Probleme gegeben haben bei der Verständigung mit seinem Mitfahrer während einer der vielen Rallyes, die er in seiner 32-jährigen Laufbahn fuhr. Am liebsten die Rallye Monte Carlo, insgesamt 18 Mal. Warum eigentlich?

„Warum?“ Koob sieht seinen Besucher verwundert an. „Sie sind wohl kein Motorjournalist?“

„Nein, eigentlich nicht.“

„Worüber schreiben Sie denn sonst so?“

„Über Umweltthemen und Soziales.“

„Ach so. Hm, naja, das sind ja auch wichtige Dinge … “

Ohne viel Zeit zu verlieren, ist er aufgestanden und kommt mit einem Aktenkoffer zurück. „Ich zeige Ihnen mal was. Damit wir nicht aneinander vorbei reden.“ Wenn Rennfahrer Koob auch nicht mehr aktiv ist, die Vorstellung, eine Angelegenheit könnte zu viel Zeit kosten, scheint ihm nicht zu gefallen. Aus dem Koffer nimmt er zusammengeheftete Blätter. Eine Wegbeschreibung, wie sie der Beifahrer in den Händen hält, um den Nebenmann am Steuer zu dirigieren. Die Ziffern links sind Entfernungen in Meter, daneben steht der Streckenverlauf. „Hier“, ruft er, „100 sR, das heißt, nach hundert Metern kommt eine schnelle Rechstkurve. Da ruft der Beifahrer: hundert schnell rechts! Und hier: 100 90L, und dann das umgedrehte U. Nach hundert Metern kommt eine 90 Grad-Linkskurve und gleich danach eine Kuppe, soll das heißen. Hundert-neunzig-links Kuppe!!!“ Koobs Stimme dröhnt durch das Zimmer, die Augen auf das Papier geheftet, fährt er mit der Hand scharf nach links und dann nach oben, wo die Kuppe sein muss.

Warum die Rallye Monte Carlo? Wegen der Herausforderung, der Schwierigkeiten. In den 60-ern führte die Rallye über 3 800 Kilometer, man fuhr 38 Stunden, hatte danach acht Stunden Pause. Zwanzig Jahre später waren es nur noch 1 100 Kilometer; zwölf Stunden Fahrt und zwölf Stunden Pause. Je größer die Schwierigkeiten, um so reizvoller für Nicolas Koob. Einer hat mal über ihn geschrieben, er sei „von klein auf mit Benzinluft gefüttert worden“. Koob gefällt dieses Bild. Darin kommt der Busbetrieb vor, den sein Vater 1921 in Bettborn gründete, die Zeit, die der Sohn als Taxichauffeur und später als Busfahrer verbrachte. Als Vater Koob 1958 drei neue Busse anschaffte, schenkte er dem Sohn einen Triumph TR3. Mit dem ging Nicolas Koob 1958 gemeinsam mit Jos Engel an den Start der Tour de Luxembourg und belegte auf Anhieb den zweiten Platz.

Mehrere Rennen folgten, beim großen Durchbruch stand der Zufall ein wenig Pate: 1961 erhält Koob einen Anruf von einem Autohaus mit Rallye-Ambitionen in Habay-la-Neuve: ob er auf einem Porsche Carrera Speedster an der Tour de Belgique teilnehmen wolle. Koob akzeptiert und wird Dritter in der Gesamtwertung. Woraufhin DKW Auto-Union auf ihn aufmerksam wird, für DKW gewinnt Koob 1963 die Tour de Belgique. Seine Karriere als Werksfahrer hat begonnen. Er ist 33. Die erste Teilnahme an der Rallye Monte Carlo 1963 geht daneben, die im Jahr danach ebenso. Die großen Erfolge kommen später: 1968 der Sieg in seiner Hubraumklasse bei der Rallye Monte Carlo, 1970 der siebte Platz in der Mannschaftswertung beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans. Im selben Jahr wird Nicolas Koob zum besten Luxemburger Sportler gekürt. Dreimal fährt er in den Siebzigerjahren bei der Monte Carlo-Rallye unter die ersten zehn, mehrfach auf den Einzeletappen unter die ersten fünf. Als Werkspilot führt sein Weg ihn von DKW über BMW und Alfa Romeo am Ende zu Porsche.

„Ich war immer hoch motiviert“, sagt Koob über Koob. „Wenn man die vier mal 24 Stunden von Le Mans fährt, fährt man fast nonstop, schläft nur jeweils ein bis zwei Stunden im Auto.“ Verstees de?, fragt er immer wieder dann, wenn er davon ausgehen kann, dass ihn ohnehin nicht ganz verstehen wird, wer nie Rennfahrer war. Coca-Cola sei sein Doping gewesen, er habe nie geraucht, nie Alkohol getrunken. „Ich wollte immer der beste Luxemburger Rennfahrer sein.“ Und so habe er es gelernt, auch unter schwierigen Bedingungen am Stück 45 Kilometer „schnell“ fahren zu können, wo viele nur 20 Kilometer schaffen würden.

„Schnell? Wie schnell ist ,schnell‘?“

„Schnell?“, wiederholt Koob, „Vollgas natürlich!“

Und das auch im Schnee. Der große Reiz der Monte-Carlo-Rallye, die früher 1 800 Kilometer über die Berge führte. Aber vorher muss Nicolas Koob noch erzählen, wie das war, als er 1956 mit einem Bus in vier Tagen von Gibraltar nach Luxemburg fuhr. „In vier Tagen nur, verstess de?

„War das schnell?“

„Oh, das war schnell, ich war mit einer Reisegruppe unterwegs, wir mussten dringend zurück. Irgendwas Politisches, Wahlen, glaub’ ich.“

Aber Schnee – Schnee rege ihn noch heute an. Und er erinnert sich an eine Bergetappe in den Alpen, als er über den Gletscher raste mit 180 Stundenkilometern Spitze und rechts und links die weiße Pracht nur so stiebte. „Gefährlich wird es nur bei Nebel, wenn du nur 20 Meter weit sehen kannst und die beste Wegbeschreibung vom Beifahrer nicht mehr viel nützt. Aber wenn du die Gefahr kennst, hast du keine Angst.“ Und er selber habe hervorragende Augen. „Néckel, du hast Weltmeisterschaftsaugen, hat Walter Röhrl mal zu mir gesagt.“

„Néckel“ nennen ihn auch die Rennsportbegeisterten in Luxemburg, die Nicolas Koob vor einem Jahr zum Rennfahrer des Jahrtausends gewählt haben. So erfolgreich wie er war seitdem kein Luxemburger mehr. Und wer weiß, ob es bald wieder einer werden wird. Rennfahren sei leider ein teurer Sport, sagt Koob. Die Teilnahme an einer Rallye habe mit den Kosten für das Training, die Vorbereitung vor Ort, die Ersatzteile für das Fahrzeug – Reifen vor allem –, mit Anreise und Unterbringung um die 450 000 Franken gekostet. Bei sparsamem Wirtschaften wohlgemerkt. Was ein Grund ist, warum „den Néckel“ nie Formel 1 gefahren ist: „Du musst Millionen aufwenden, um dich erstmal in einen Rennstall einzukaufen.“ Die hatte er nicht, und ins Ausland gehen, wo es mehr Sponsoren gibt, wollte er nicht. Als er 1990 die Rallyes endgültig aufgab, hatte er „erreicht, was ein Luxemburger erreichen kann“. Heute kümmert er sich um den Nachwuchs. Wenn er nicht an der Côte d‘Azur ist, wo sein Boot ankert. Mit dem fährt er im Sommer übers Mittelmeer. Ob ihm das reicht, nach all den Rennfahrerjahren? „Eigentlich schon. Obwohl … vielleicht sollte ich ja ein Buch schreiben. Irgendwo muss ich hin mit meinen vielen Erinnerungen und Anekdoten.“

Peter Feist
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