Luxemburgensia

Strandlektüre mal anders

d'Lëtzebuerger Land vom 15.03.2024

Steht ein Mann auf einer Insel … was beginnt wie ein altbekannter Kalauer, ist in Raoul Biltgens Robinsonade Meine Insel bitterer Ernst. Ein Mann, der vielleicht Jean-Marie heißt, aber seinen Namen schon lange abgelegt hat, ist bei hohem Wellengang über Bord eines Frachters gegangen, auf dem er angeheuert hatte. Mit viel Glück hat er sich auf eine kleine Insel gerettet, auf der er nun lebt. Allein, umgeben von nichts als Meerwasser, und an sich sogar scheinbar ziemlich zufrieden. Robinson nennt er sich hier in seiner neuen Realität, in der allmählich sein vergangenes Leben und seine alte Identität in Vergessenheit geraten und er sich alles von Grund auf neu aufbaut. Er lernt, zu überleben und sich selbst genug zu sein; führt Selbstgespräche und Listen über seinen materiellen Besitz und seine Fortschritte, – wie er lernt, Werkzeug herzustellen, wie seine anfangs improvisierte Hütte allmählich zu einem Zuhause wird und wie er die Insel erkundet. Bis auf einmal ein Eindringling – Hirngespinst oder Realität?! – in seine mühsam aufgebaute und aufrechterhaltene Idylle einbricht und die Machtgefüge neu verhandelt werden müssen …

Seine Herrschaft und sein Gefühl der Kontrolle geraten ins Wanken, als ein zweiter Schiffbrüchiger „seine Insel“ erreicht,. Es bleibt unklar, ob er eine tatsächliche Person oder ein Hirngespinst ist, das gegen Robinsons Einsamkeit arbeitet; allein die Anwesenheit des Neuankömmlings wirkt auf Robinson lebensbedrohlich.

„Hörst du zu? Ja. Meins. Deins. Ja. Stille. Und das Floß? Auch das Floß. Stille. Und der Strand. Ja. Auf dem du stehst. Ja. Und die Insel. Ja. Auf der du stehst. Ja. Wem gehört das alles? Dir? Mir. Nicht mit Fragezeichen am Ende. Dir? Nein, mit Ausrufezeichen. Mir! […] Ob das klar ist? Klar. Was? Deine Insel.“

Es ist ein klarer, minimalistischer Roman, dessen kurze Kapitel und reduziert-sachliche Sprache dem Huis Clos der Insel und der Isolation entsprechen. Es geht um die Frage, ob und wie man es mit sich selbst einrichten kann, wie Einsamkeit funktionieren kann oder ob sie einen zwangsläufig in den Wahnsinn treiben muss. Robinson hat es sich mit sich selbst bequem gemacht, und obschon er gelegentlich seinem vergangenen Leben nachhängt, scheint er sich größtenteils damit abgefunden, ja angefreundet zu haben, dass er sich hier alles seinen eigenen Narrativen entsprechend selbst erzählen kann. Seine Vergangenheit, seine Identität, seine Gegenwart. Und so recht will er seine Insel wohl auch gar nicht mehr verlassen, obwohl er es gewiss versuchen könnte, wie sich später herausstellt – er könnte sich ein Floss bauen und sein Glück versuchen. Aber das tut er nicht. Lieber plant er, wie er einen Zaun bauen oder den höchsten Punkt der Insel erreichen könnte, um sein eigenes Reich noch besser zu überblicken.

Die Robinsonade geht auf Raoul Biltgens Theaterstück Robinson – meine Insel gehört mir zurück, das mit dem niederländisch-deutschen Kinder- und Jugenddramatikerpreis 2017 gekürt und im Jahr zuvor uraufgeführt wurde. Auch dieses Stück thematisierte bereits Fremdenfeindlichkeit und die Angst vor dem Unbekannten, die die Erzählung Meine Insel wieder aufgreifen. Auch hier geht es um Konflikte über Besitz, Herrschaft, Angst und Misstrauen. Um Einsamkeit und Angst vor dem Fremden oder Neuen. Identität und Erinnerung. Schlicht erzählt, mit einfacher Sprache, entwickelt das Buch einen regelrechten Sog, bei dem aufgrund des sachlichen Tonfalls im Grunde stets unklar bleibt, was Robinson denkt und fühlt … was wiederum viel Anlass für Interpretationen und spannende Fragen bietet.

Raoul Biltgen: Meine Insel. Eine Robinsonade. Hydre Editions 2023. 214 S. 17€ Disclaimer: Die Rezensentin hat 2022 selbst einen Roman bei Hydre Éditions veröffentlicht
Claire Schmartz
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