Luxemburgensia

Krawall, Klamauk und Klassenfeind

d'Lëtzebuerger Land vom 06.06.2013

Herrje, die Jugend. Der mangelnde Anstand. Die Aufmüpfigkeit. Das lästige Gekiffe und die lä- cherlichen Blümchen überall. Und vor allem: die- se schrecklichen langen Haare.

Nachdem er in Mam Schucos-Auto an den Zine- ma Royal aus seiner Kindheit im Minett erzählt hatte, lässt Lucien Blau mit seinem neuen auto- biografischen Buch Mat der Döschewo bei de Mao Tse-Tung seine Schulzeit aufleben. „Schulzeit“, das bedeutet damals wie heute: Notenstress, Konflikte mit der Eltern- und Lehrerriege und das Gehabe ums eigene zögerliche Erwachsenwerden (vulgo „Pubertät“). Zugegeben, Eltern, denen allem An- schein nach völlig schnurz ist, dass der Sohn sein Schlafzimmer mit Bildern von nackten Frauen tapeziert, seine Nachmittage in verrauchten Ca- fés verbringt und mit einer quietschbunt bemal- ten 2CV in den Urlaub gondelt, sind hier sicher nicht das Problem. Aber ach, die Schule ist kein Spielplatz, die Lehrer größtenteils zum Brechen („Demonstrate that America is the greatest Nati- on under God“) und der Umgang mit den Mädels meistens etwas schwierig. Soweit können heuti- ge Jugendliche sicher folgen. Wozu sie eventuell keinen unmittelbaren Bezug mehr haben, ist das politische Engagement, das Blau in diesem Buch beschreibt: Er tritt als Schüler den Maoisten bei und verbringt einen Großteil seiner Freizeit da- mit, Zeitungsartikel und Pamphlete sowohl zu schreiben, als auch unter die Leute zu bringen, er schmiert nachts politische Slogans an Wände

und hilft dabei, Schülerstreiks zu organisieren; er träumt nicht nur von einer gerechteren Gesell- schaftsordnung, sondern in einem durchaus er- heiternden, surrealistischen Moment des Buches sogar von einem persönlichen Treffen mit Mao.

Wie schon in seinem ersten Buch enthält Mat der Döschewo bei de Mao Tse-Tung weniger die ange- kündigten „Geschichten“, als lose chronologisch geordnete Anekdoten, die zusammengenommen ein lebhaftes Panorama einer Jugend im Minett abgeben, wenn man auch die reichlich tapsigen Versuche aus dieser Lebhaftigkeit ausnehmen muss, allerlei Gefummel mit Mädchen zu be- schreiben1. Die dialektale Schreibweise („mär“ und „wuar“) und die stellenweise grobe Sprach- wahl („déi Aaschlächer“, „houere Schäiss“ u. ä.) dienen offenbar dem Zweck, zusätzliches Lokal- kolorit aufzutragen, in das sich offenbar auch das fernab jeglicher Orthografie nach Gehör zusam- mengebastelte Italienisch einpassen soll2.

Über diese rein eigenbiografische Komponente hinaus erhalten Blaus Darstellungen durch das beigegebene Bildmaterial den Charakter eines Zeitdokuments. Das Buch vermittelt ein gutes Gefühl für die umstrittenen Themen der Zeit, für

die Möglichkeiten von öffentlich geäußerter Kri- tik und für die Tragweite politischer und religiö- ser Tabus. Gerade heutige Schüler können durch die Schilderungen der Hintergründe und der Or- ganisation der Schülerstreiks einen Eindruck da- von gewinnen, wie politisches Engagement selbst einmal eine Art Mode gewesen ist.

Blau erzählt aus dieser Zeit mit einer Mischung aus Stolz und ironischer Distanz, die einander über weite Teile des Bandes die Waage halten. Leider scheitert der Autor am Ende ausgerechnet an der Ironie, mit der er seine früheren Ideale be- denkt. Ausgenommen von dieser Ironie sind zum Beispiel die Beschreibungen derjenigen Lehrer, die als Negativbeispiele herhalten müssen, ohne dass die Rolle des aufmüpfigen Schülers, die der Autor deutlich genug in seinen Berichten durch- scheinen lässt, mitreflektiert würde. Das Klischee des sadistischen Paukers wird dabei stellenweise mit einer Passgenauigkeit ausgefüllt, die ans Gro- teske grenzt. Ein weiteres Beispiel für unplausi- bel erscheinende Überzeichnungen sind die Be- schreibungen der politischen Gegner, sofern es sich dabei um ehemalige Mitschüler des Autors handelt. Auch im Nachhinein blinzelt aus jedem Zögling aus besserem Hause ein dämonischer

Klassenfeind. Den Mitgliedern der „Jeunesse dé- mocratique“ wird in dieser Logik die Würde ei- ner politischen Gegenposition durch ihre soziale Herkunft verweigert; sie sind einfach „also deene bessere Leit hir Kanner“ und Punkt.

Auf der anderen Seite schießt der Autor mit sei- ner ironischen Distanzierung früherer politischer Ideale über das Ziel hinaus: Zwar ist das unter- haltsam, wenn er die Maoisten als „e revolutionä- re Gesangveräin“ tituliert, doch ein wenig wirkt es auch, als würde der erwachsene Blau dem jugend- lichen Blau mit solchen Witzeleien in den Rücken fallen. Den Kopf über die Jugend – vor allem die eigene – zu schütteln, ist womöglich viel leichter, als sich ernsthaft daran zu erinnern, warum man einst (und womöglich zurecht) die meisten Er- wachsenen unglaublich blöd fand.

1 Vgl. S. 63„Elektresch ass mer duerch de ganze Kierper geschoss.“ usw. 2 Vgl. S. 31: „‚Alora, que voliamo mangare?’, sot hien an huet alles op säi klenge Block notéiert [...].“ Lucien Blau: Mat der Döschewo bei de Mao Tse-Tung. Eng Jugend am Minett. Geschichten. Editions Ultimomondo, Nospelt 2013. ISBN 978-2-919933-83-9.
Elise Schmit
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