Wie die CSV/LSAP-Koalition ihre Index-Krise einstweilen überstand

Vertagt

d'Lëtzebuerger Land vom 06.05.2010

Die Regierung habe, meinte ihr Premier am Mittwoch vor dem Parlament, „in den letzten Wochen suboptimal funktioniert. Doch auch wenn der Lack ein wenig zerkratzt ist; diese Koalition hat noch genug Puste, um das zu tun, was sie zu tun hat.“ Roma locuta, causa finita.

Das Luxemburger Wort, das schon begonnen hatte, Neuwahlen herbeizuschreiben, war anderntags ganz enttäuscht. Es wollte nicht verstehen, „was die ganze Aufregung und das politische Hin und Her der vergangenen Wochen und Tage überhaupt sollten“.

Die tiefste Finanz- und Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten verschärft die sozialen Spannungen. In Griechenland, wo die Not größer und die Erinnerung an den bewaffneten Kampf gegen die Nazis und die Militärdiktatur lebendig ist, kamen am Mittwoch drei Menschen ums Leben. Im sozialpartnerschaftlichen Luxemburg, wo die Not geringer ist, brach der Premier die Tripartite-Verhandlungen erfolglos ab.

Als Antwort auf die Krise hatte die Tripartite nicht nur Einsparungen und Steuererhöhungen zu beschließen, um das Loch im Staatshaushalt zu verringern. In dieser Frage war sogar eine Einigung in Reichweite. Sie sollte auch das nationale Wirtschaftsmodell und seinen Sozialstaat auf dem langen Weg in ein neues Regulationsregime kosteneffizienter und flexibler machen.

Zur Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Produk­tionsstandorts hatten die Unternehmer eine Senkung der Lohnstückkosten auf das Niveau des Haupthandelspartners Deutschland gefordert und als ersten Schritt dahin eine Fortsetzung der 2006 beschlossenen Indexmanipulation. Noch immer liegt in jeder Tankstelle im Land zwischen Pornoheften und Fernsehzeitschriften die rot-weiß-blaue Broschüre Comment sortir ensemble de la crise? der Union des entreprises luxembourgeoises.

Doch der Versuch ist vorerst gescheitert. Ein mit einer Großkundgebung kurz vor den Wahlen vor einem Jahr erstmals demonstriertes Bündnis der Gewerkschaften der Privatwirtschaft und des öffentlichen Dienstes hatte jede Diskus­sion über die automatische Indexanpassung abgelehnt. Anders als vor vier Jahren, als die Gewerkschaftsspitzen unter viel Kritik aus den eigenen Reihen mit einer mehrjährigen Indexmanipulation einverstanden waren – um gleich nach der Tripartite zu erfahren, dass sich die Lage der Staatsfinanzen auf wunderbare Weise verbessert zu haben schien.

Der Druck der Gewerkschaften war in den letzten Wochen so stark, dass die LSAP-Minister ihm nachgeben mussten, um nicht von ihrer Parteibasis abberufen zu werden. Insbesondere nachdem der OGB-L die von der Regierung verabschiedeten Sparvorschläge publik gemacht hatte. Der Premierminister, der sich in Einzelgesprächen mit den Tripartite-Partnern verpflichtet hatte, eine Indexmanipulation durchzuziehen, war daraufhin nicht mehr an einem Konsens über Sparmaßnahmen und Arbeitslosigkeit interessiert und erklärte die ohnehin ziemlich konfus vorbereitete Tripartite kurzerhand für beendet. Das war seine zweite große Niederlage binnen weniger Monate nach seiner gescheiterten Kandidatur um den Ratsvorsitz der EU.

Die Folge ist eine larvierte Koali­tionskrise. Die LSAP ist noch immer erstaunt über ihre eigene Courage, mit der sie, trotz aller Minderwertigkeitskomplexe, dem Koalitionspartner die Stirn zu bieten wagte. Die Verschärfung der sozialen Spannungen führte auch dazu, dass sich erstmals seit Jahren wieder in der LSAP ein linker Flügel von OGB-L- und FNCTTFEL-Militanten und einem Schuss ehemaliger Jungkommunisten organisiert hat. Er hatte den außerordentlichen Parteitag vergangene Woche initiiert und seine Redebeiträge abgesprochen. Dann hatte er die Minister mit dem Vorschlag das Fürchten gelehrt, nach dem Auftritt des Pre­miers im Parlament einen erneuten Kongress einzuberufen. Am Ende erklärte sich der Monnericher Bürgermeister Dan Kersch unausgesprochen im Namen des linken Flügels mit dem Resolu­tionsentwurf einverstanden, aus dem das Einverständnis zur den Sparvorschlägen der Regierung gestrichen worden war.

Die CSV ist dagegen fuchsteufelswild, dass die Sozialisten sie nach dem Euthanasie-Gesetz ein zweites Mal öffentlich vorführen konnten. Doch damals musste sie sich zum Teil selbst die Schuld geben, und der Großherzog schmiedete die Koali­tion wieder zusammen, indem er eine Verfassungskrise provozierte. Diesmal hätte die CSV es den Sozialisten am liebsten mit der gleichen Münze heimgezahlt: mit einer alternativen Mehrheit. Aber LSAP-Präsident Alex Bodry drohte für den Fall mit dem Ende der Koalition.

Doch die wenigsten Beteiligten einschließlich der unüberhörbar ratlosen Opposition wollen die Unwägbarkeiten von Neuwahlen in Kaufe nehmen. Wozu vor allem ein Indexwahlkampf gehörte, in dem sich keine der Oppositionsparteien Gehör verschaffen könnte, und der von der neuen Gewerkschaftsfront angefeuert würde samt einer Neuauflage der Kundgebung von Mai 2009. Und dies alles vor dem Hintergrund einer bereits für beendet erklärten internationalen Finanzkrise, die gerade als eine internationale Krise der Staatsfinanzen wieder aufzuerstehen droht.

Doch in der CSV bleibt ein liberaler Flügel, der sich und damit den ihr zu linken Premier fragt, wozu die Fortsetzung der Koalition mit den vergangenes Jahr erneut geschwächten Sozia­listen noch gut sein soll, wenn sie ihre Rolle bei der politischen Einbindung des OGB-L nicht mehr spielen können. Schließlich stehen auch noch die Gehälterrevision, die Reform der Alters- und der Krankenversicherung auf der Tagesordnung, alles hochbrisante Themen selbst für eine starke und geschlossene Koalition.

Bei der LSAP bleibt ein kleiner, pragmatischer Flügel, der sich aus den gleichen Gründen wie die CSV-Kollegen immer wieder fragt, ob ein geordneter Rückzug am Ende nicht politisch weniger kostspielig wird, als bei den nächsten Wahlen erneut die ganze Zeche für die Sparpolitik der christlich-sozialen Finanz-Koryphäen zu zahlen.

Wobei zur Lautstärke der öffentlichen Auseinandersetzung zwischen den Koalitionspartnern vielleicht auch die merkwürdige Konstellation beitrug, dass auf beiden Seiten die Partei- und die Fraktionsvorsitzenden von ehemaligen Ministern gestellt werden, die der Verlust ihrer Regierungsämter noch immer beschäftigt. Immerhin haben Michel Wolter und Alex Bodry, Jean-Louis Schiltz und Lucien Lux bei einer Regierungskrise im Vergleich zu ihren Ministerkollegen wenig zu verlieren.

Doch während in beiden Parteien und ihrer Presse noch lautstark gegen den Koalitionspartner gebellt wurde, bemühten sich die Regierungsmitglieder vergangene Woche um Deeskalation. Sie beschlossen, ihr Problem auf dieselbe Art wie bei den Koalitionsverhandlungen im vergangenen Sommer lösen: durch Vertagen.

Der LSAP-Kongress schlug deshalb am Wochenende der CSV beinahe einstimmig vor, mit der Indexmanipulation bis zur „Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit“ zu warten. Die soll ausgerechnet der sozialistische Wirtschaftsminister Jeannot Krecké nun bis zum Herbst nachweisen, indem er auf seinen reichen, bei Lionnel Fontagné gekauften Fundus von Wettbewerbsparametern zurückgreift. Der Premier bedankte sich dafür am Mittwoch mit dem Bekenntnis, auf welche Weise bis zum Jahresende Lösungen gefunden würden: „Wir finden sie zusammen in dieser Koalition und in keiner anderen.“ Denn nicht immer, wenn die Meinungen auseinander gingen, gingen auch die Koalitionen auseinander.

Womit die Koalitionskrise einstweilen aufgeschoben wäre, und der Ball wieder bei der für den Herbst anberaumten Tripartite, also den Gewerkschaften läge. Kommt es nicht zu einer erneuten Verschärfung der Krise, dürften sich die Gewerkschaften im Herbst schwer tun, ohne Gegenleistung mit der Indexmanipulation einverstanden zu sein, die sie im Frühjahr ablehnten.

Nach der Abwertung des Franken hatten am 5. April 1982 die Abgeordneten von CSV und DP ohne Konsens in der Tripartite eine Index-Manipulation gestimmt, wäh­rend Zehntausende im Land streik­ten. Die LSAP-Abgeordneten hatten damals unter einem Vorwand Saalflucht begangen, um trotz des ­Widerstands der Gewerkschaften nicht gegen das Gesetz stimmen zu müssen.

Romain Hilgert
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