CSV

Neuer starker Mann gesucht

d'Lëtzebuerger Land du 04.07.2014

Die DP/LSAP/Grünen-Koalition hat unwahrscheinliches Glück: Während sie sich manchmal etwas amateurhaft in den neuen Regierungsämtern einrichtet, sind nicht nur der Wirtschaftsaufschwung zur Stelle und die Inflation abhanden gekommen, sondern sie darf auch ihr erstes Jahr ohne nennenswerte Opposition regieren.

Für die bei den vorgezogenen Kammerwahlen ausgebootete CSV ist es dagegen ein verlorenes Jahr. Von Oktober 2013 bis Oktober 2014 sitzt sie herum und wartet, dass der vom Staatsministerium in die Fraktion umgezogene Jean-Claude Juncker wieder packt und nach Brüssel weiterzieht. Selbst nach dem Beschluss des Europäischen Gipfels vor einer Woche, Jean-Claude Juncker zum Präsidenten der Europäischen Kommission zu ernennen, geht das Warten weiter. Denn er will erst beim Amtsantritt der Kommission am 1. November sein Abgeordnetenmandat aufgeben, so als wolle er noch während der Urlaubsmonate Diäten beziehen. Als einziger kleiner Schritt zum Wechsel darf Claude Wiseler, der seit dem 5. Dezember unter dem Fantasie­titel des beigeordneten Fraktionsvorsitzenden die CSV-Fraktion leitete, während Jean-Claude Juncker sich offiziell Fraktionsvorsitzender nennt, zu Beginn der nächsten Kammersession am 14. Oktober auch den dazu passenden Titel bekommen. Das beschloss die Fraktion am Dienstag.

Nicht dass der CSV das Warten fremd wäre. Denn Pierre Werners Urenkel warten in Wirklichkeit schon seit mehr als zehn Jahren darauf, dass die Ära jenes Mannes zu Ende geht, der den unübersehbaren Niedergang der Partei in den Neunzigerjahren aufzuhalten und umzukehren wusste. Schließlich wurde er schon 2003 nicht müde, all die internationalen Posten aufzuzählen, die ihm ständig angetragen wurden. 2007 hatte sich die CSV dann darauf vorbereitet, dass der einsame Star der nationalen Politik erster ständiger Ratsvorsitzender würde. Ein Jahr später war auch dieser Traum ausgeträumt.

Vom langen Warten wurden die Thronprinzen müde. Der gewerkschaftsnahe François Biltgen hatte sich vor dem Wahlfiasko aus der Politik verabschiedet und war zum Europäischen Gerichtshof gegangen. Der bereits als Prince Charles der CSV verspottete und durch die Cargolux- und die Bommeleeërten-Affären beschädigte Luc Frieden war schon im Frühjahr vergangenen Jahres von der Bildfläche verschwunden und wurde bis heute nicht mehr gesehen. Er verpasste die Gelegenheit, bei dem entscheidenden Parteitag im Februar auf sich aufmerksam zu machen und so eine Rolle in der Ära nach Juncker zu spielen. Damals war es der Partei gelungen, das Wahlfiasko zu verdauen ohne den großen Streit, den ihr allerlei Gegner und politische Beobachter prophezeit hatten. Während die Parteiführung den Mitgliedern einredete, dass sie die Wahlen gar nicht verloren hatte, war Parteipräsident Michel Wolter der einzige, der politische Verantwortung für die Niederlage übernahm. Und der diskrete, beinahe scheue ehemalige Infrastrukturminister Claude Wiseler tauchte als neuer starker Mann auf, weil er wie kein anderer symbolisierte, was die CSV am dringendsten brauchte: Konfliktvermeidung. Er hatte als eine Art Schattenpräsident die Sektionen getröstet, malte der verunsicherten Basis mit einer Resolution eine blendende Zukunft aus und versprach dem ungeduldig nach Amt und Würden strebenden Parteinachwuchs, dass er erhört werde.

Dieser für eine Volkspartei ideale Konservative, weil er sicherheitshalber noch nie sagte, wie konservativ er ist, ist laut Meinungsumfragen der beliebteste CSV-Politiker im Zentrumsbezirk, gleich hinter DP-Premier Xavier Bettel, vor Luc Frieden, weit vor Ex-Kammerpräsident Laurent Mosar, aber auch weit vor CSV-Präsident Marc Spautz im Südbezirk und dem in den Umfragen gar nicht mehr auftauchenden Mamer Bürgermeister Gilles Roth, der vom Streit um den Bauperimeter hinter seinem Haus und seiner angeblichen Rolle während der Koalitionsverhandlungen angeschlagen ist.

Als Fraktionsvorsitzender hat nun Wiseler und nicht Luc Frieden vier Jahre lang Zeit, die Opposition gegen die liberale Regierung zu verkörpern und in diesem für die CSV vorübergehend höchsten Amt in die Rolle des Spitzenkandidaten für die Kammerwahlen 2018 hineinzuwachsen. Den Anspruch strittig könnte ihm vor allem die als EU-Kommissarin sehr populäre und von Jean-Claude Juncker stets von der nationalen Politik fern gehaltene Viviane Reding machen. Aber für eine Europaabgeordnete ist es erfahrungsgemäß sehr schwer, sich bei den Wählern zu Hause in Erinnerung zu behalten, und mit 67 Jahren verkörpert sie bei den nächsten Wahlen nicht unbedingt die jugendliche Alternative zu den 20 Jahren jüngeren Bettel, Schneider & Co.

Die Ära nach Juncker wird aber nicht nur von Einzelpersonen bestimmt. Das Ende einer Ära schafft immer auch einen Augenblick der Unsicherheit, in dem die politische Ausrichtung der Partei zur Disposition zu stehen scheint. Was im aktuellen Fall der CSV weniger mit Unterschriftslisten für den Religionsunterricht und gegen die Homoehe zu tun haben dürfte als mit dem schwindenden Einfluss LCGB-naher Politiker und dem aufstrebenden Parteinachwuchs rechtsliberaler Technokraten.

Romain Hilgert
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