EU-Flüchtlingstreffen in Wien

Gemeinsam nur fürs Foto

d'Lëtzebuerger Land du 30.09.2016

Zu einer gemeinsamen Presseerklärung hat es nicht gereicht. Einig waren sich die zum zweiten österreichischen Flüchtlingsgipfel geladenen Gäste nur beim Lächeln für das Gruppenfoto. Der erste Flüchtlingsgipfel im Februar, ohne Deutschland und Griechenland, führte zur Schließung der Balkanroute und forcierte damit letztlich das Abkommen mit der Türkei. Dieses Mal waren auf Einladung des österreichischen Bundeskanzlers Christian Kern die Regierungschefs von Albanien, Bulgarien, Deutschland, Griechenland, Kroatien, Mazedonien, Serbien, Slowenien, Ungarn sowie der Präsident des Europäischen Rates, der EU-Kommissar für Migration und der Innenminister Rumäniens nach Wien gekommen.

Spektakuläre Beschlüsse gab es nicht, aber jeder Austausch zwischen allen Ländern, die an der sogenannten Balkanroute liegen, ist ein Wert an sich. Zumal es heißt, die Beteiligten hätten sich offen die Meinung gesagt. Man fragt sich da, was sie sonst tun. Warum der Gipfel so zeitnah nach dem informellen EU-Gipfeltreffen (ohne Theresa May aus Großbritannien) in Bratislava stattfinden musste, ohne dass es eine neue Lage gab, bleibt Kerns Geheimnis. Wurde der Gipfel zufällig kurz vor der für den 2. Oktober geplanten österreichischen Präsidentenwahl terminiert, die dann wegen fehlenden Klebstoffs auf Briefwahlunterlagen kurzfristig verschoben werden musste?

Zwischen Ungarn, das am Sonntag ein rechtlich wertloses, aber hochpolitisches Referendum darüber abhält, ob das Land die EU-Beschlüsse zur Verteilung von Flüchtlingen umsetzen sollte, und Deutschland, das seit mehr als einem Jahr die Hauptlast der Flüchtlingsströme trägt, liegen Welten. Jean Asselborns bitterer Aufschrei, dass Flüchtlinge in Ungarn schlechter als Tiere behandelt werden, war so berechtigt, wie er keine Änderung der Lage erzeugen wird. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte Pläne vor, mit so vielen Ländern wie möglich ähnliche Abkommen wie mit der Türkei abzuschließen. Zum Beispiel mit dem ägyptischen Präsidenten Abd al-Fattah as-Sisi. Dafür bekam sie Beifall von allen Seiten. Ungarns Regierungschef Victor Orban will Libyen einen Küstenstreifen abtrotzen, auf dem Millionen Flüchtlinge in riesigen Lagern geparkt werden sollen, getarnt als humanitäre Hilfe. Wie man Serbien helfen kann, das unter der Abschottung Ungarns leidet, konnte man leider nicht herausfinden.

Von der Steigerung der Entwicklungshilfe ist wieder einmal die Rede, um Flüchtlingsursachen vor Ort zu bekämpfen und, so sagte Merkel, „afrikanischen Ländern eine Perspektive zu geben“. Das ist entweder eine schöne Lebenslüge oder der dreiste Versuch einer Irreführung des Publikums. Perspektiven hat Afrika auch ganz ohne Milliarden aus Deutschland und Europa. Und sollte Entwicklungshilfe (nicht Nothilfe!) tatsächlich einmal etwas Positives zuwege bringen, dann würden noch mehr Menschen wirtschaftlich in die Lage versetzt, zu den goldenen Ufern Europas aufzubrechen. Das sagen zumindest Migrationsforscher, die den steigenden Wohlstand Afrikas als einen Grund für die steigende Migrantenzahl ausgemacht haben.

Es ist richtig, dass die EU ihre Grenzen kontrollieren können muss. Dafür hat der Gipfel in Bratislava einiges in Bewegung gebracht. Was nicht passieren darf, ist die völlige Abschottung der EU, wie sie sich Ungarn und andere osteuropäische Länder vorstellen. Sie wäre schlicht nicht durchzusetzen, ökonomisch kontraproduktiv und würde langfristig eine Festung erzeugen, wie geschaffen dafür, gestürmt zu werden. Es bleibt das Problem, das Flüchtlinge und Migranten nach Europa kommen, wenn auch im Moment nicht mehr in den Massen wie 2015. Die Politik in fast allen EU-Ländern leidet darunter, dass immer mehr Bürger wegen der Zuwanderung radikal abstimmen. Das darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Man darf aber erwarten, dass sich die Politik aufmacht, eine Strategie zu entwickeln für ein Problem, das das ganze 21. Jahrhundert bestehen wird. Davon ist jedoch nichts zu sehen. Die Flüchtlingskrise und die Migration sind und bleiben eine Schicksalsfrage. Nur wenn Europa eine kontrollierte Zuwanderung zulässt, kann es sich treu bleiben.

Christoph Nick
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