Zufallsgespräch mit dem Mann in der Eisenbahn

Ein Land fährt schwarz

d'Lëtzebuerger Land vom 28.02.2020

Vor zwei Jahren versprach die Firma TNS-Ilres der CSV, die Kammerwahlen zu gewinnen. Also musste sich die DP von ihren Steuererhöhungen und Sparmaßnahmen der Vorjahre freikaufen. Das Wahlgesetz von 1892 untersagte, Wähler mit kostenlosen Mahlzeiten zu locken. Da versprach der DP-Programmkongress den Wählern kostenlose Bus- und Bahnfahrten.

Den Grund zur Einführung des Gratistransports wollte die DP nicht öffentlich eingestehen. Deshalb rätseln DP, LSAP und Grüne bis heute, ob der Gratistransport den Wählern die Autos ausreden, das Klima verbessern, arme Familien entlasten oder das Großherzogtum als Steuerparadies mit Herz vorführen soll. Den Leuten reicht, dass etwas nichts mehr kostet. Und Marktversagen bei der täglichen Zu- und Abfuhr von 450 000 Arbeitskräften darf niemand zugeben.

Die anderen Parteien fühlten sich im Juli 2018 überrumpelt und warfen der DP „Populismus“ vor. Das ist ein Schimpfwort für die Unsitte, in Geldangelegenheiten auf das Wahlvolk zu hören statt auf die Europäische Zentralbank. Dann schrieben sie den Gratistransport hastig in ihre eigenen Programme, anschließend ins Koalitionsabkommen.

Die ersten Gegner des Gratistransports waren Geschäftsleute in der DP, die bestenfalls TGV fahren. Sie befürchteten, dass der Staat ihre hart erarbeiteten Steuergelder umverteilen werde, um ihren Verkäuferinnen und Lagerarbeitern kostenlose Bahnfahrten zu finanzieren. Grüne Verkehrstechnokraten waren sauer, weil die Regierung etwas beschloss, ohne auf ihr Expertenwissen zu hören. Sie wollen das unreife Volk lieber mit Fahrkarten und Steuern erziehen. Sie stehen nie im Bioladen neben Leuten, für die 220 oder 440 Euro für ein Jahresabonnement viel Geld ist.

Die Gewerkschaften befürchteten Arbeitsplatzabbau, wenn keine Fahrkartenverkäufer und Kontrolleure mehr benötigt werden. Einige zum Wochenmarkt fahrende Rentner und rechte Gewerkschafter wollten Obdachlosen den kostenlosen Zutritt zur schmucken Straßenbahn verwehren. Denn auch bei klirrender Kälte müsse der Gratistransport fürs Transportieren gelten, nicht fürs Aufwärmen.

Die DP wollte noch 2009 in ihrem Wahlprogramm stramm neoliberal das „Kostendeckungsprinzip schrittweise zur Regel machen“: Staatsbürger sollten zu Kunden werden, staatliche Dienstleistungen mindestens kosten, was ihre Herstellung verlangt. Wer sie sich nicht leisten kann, hat Pech. Werden staatliche Dienstleistungen nach dem Kostendeckungsprinzip lukrativ, sind sie leicht zu privatisieren. Die DP verlor 2009 die Wahlen.

Nun führen DP, LSAP und Grüne am Wochenende das absolute Gegenteil des Kostendeckungsprinzips ein: Aus einer warenförmigen Dienstleistung wird ein reines öffentliches Gut. Bus oder Bahn zu fahren wird zu einem Gemeingut wie die Benutzung von Bürgersteigen und Straßenlaternen. Das ist keine Kleinigkeit. Denn im Sektor arbeiten mehr als 8 000 Beschäftigte, um jährlich 100 Millionen Leute herumzufahren. Und eine Rückkehr zu den Fahrkarten wird in aller Zukunft politisch heikel.

Romain Hilgert
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