Die luxemburgische Sprache ist eine politische Angelegenheit, die sich in einem linguistischen Wandel befindet

Schung oder Schong, Teletravail an Home office

d'Lëtzebuerger Land vom 22.07.2022

Vor zwei Wochen meldeten die Basler Medien, die Schweizer Umweltministerin Simonetta Sommaruga habe ihre deutschsprachigen Amtskolleginnen getroffen. Unter ihnen waren auch die grüne Ministerin Joëlle Welfring. Ist Joëlle Welfring deutschsprachig? Für Fernand Fehlen, mittlerweile pensionierter Sozialforscher der Universität Luxemburg, sind solche Fragen hochgradig politisch: „Den 10. Oktober 1941 hunn d’Lëtzebuergerinnen an d’Lëtzebuerger bei der sougenannter Personenstandsaufnahme dat, wat mir hei schwätzen, als Sprooch deklaréiert.“ So konnte die deutsche Besatzung, die die Volkszugehörigkeit an der Sprache festmachte, die Einwohner Luxemburgs nicht als Volksdeutsche vereinnahmen. „Das war ein mutiger Akt des zivilen Ungehorsams“., sagt Fehlen. Dieser Volksentscheid wurde allerdings erst 1984 im Sprachengesetz offizialisiert. Die Schweiz hat die alemannischen Dialekte und das Schweizer Hochdeutsch politisch nicht im gleichen Maße vom Standarddeutsch getrennt. Die Sprachwissenschaftler ihrerseits argumentierten nach Kriegsende linguistisch und unterstrichen vor allem den Dialektcharakter des Luxemburgischen. In einigen Köpfen herrsche heute noch der Stand der luxemburgischen Sprachwissenschaft der 1950-er Jahre: „Dem eigenständigen Sprachen-Status scheinen Politiker nicht so recht zu trauen, denn weder Bildungsminister Claude Meisch noch Militante wie Fred Keup ziehen beispielsweise eine luxemburgische Alphabetisierung in Betracht“, schlussfolgert Fehlen.

Trotzdem wird sich schon länger mit den Eigenheiten der luxemburgischen Mundart befasst. 1847 erschien das Lexicon der Luxemburger Umgangssprache von Jean-François Gangler, das als erstes Luxemburger Wörterbuch gehandelt wird. Anders als in dem monolingualen Duden oder Petit Robert werden die luxemburgischen Wörter darin über die deutsche und französische Übersetzung bestimmt, - was in einem mehrsprachigen Kontext funktioniert. Soziologisch betrachtet, spiegelt dies das Selbstverständnis der luxemburgischen Politik: „Zu Lëtzebuerg gëtt eng Méisproochegkeet verlaangt mat enger difuser Hierarchie tëschent deenen dräi Landessproochen an dem Engleschen als éischter Friemsprooch. Et kann ee net soen, dass dat Lëtzebuergescht dominéiert. D’Sproochen iwwerhuele verschidde Rolle jee no hirem Gebrauchskontext. Eise Schoulsystem baséiert dorop dës Méisproochegkeet ze legitiméiren“, erwähnt der Soziologe. Ob die Dreisprachigkeit in dieser Form beibehalten werden kann, bezweifelt Fernand Fehlen mit Blick auf den Anteil von Personen aus Ländern, die keine Muttersprachler einer der drei Sprachen sind.

In der Tradition des mehrsprachigen Wörterbuchs steht auch das LOD – Lëtzebuerger Online Dictionnaire. Für jedes Wort sind deutsche, französische, englische und portugiesische Übersetzungen aufgelistet. In seinem nicht-virtuellen Zuhause in Strassen versucht ein Team an Lexikografen und Sprachwissenschaftlern, die in Luxemburg gebräuchlichen Wörter zu dokumentieren – und zu erklären. Bisher wurden 32 000 Wörter kategorisiert. Wie identifizieren die Lexikografen das „richtige“ Luxemburgisch? „Unsere Mission ist zunächst wertneutral die Wörter zu dokumentieren, die im Gebrauch sind, und da halten wir zunächst die dominante Variante fest“, antwortet Luc Marteling, Leiter des Zenter fir d’Lëtzebuerger Sprooch. Es ginge bei den Vokabeln nicht darum zu bestimmen, welche korrekt sind, sondern welche die Hauptvarianten seien. Die normative Setzung beschränke sich auf die Bestimmung der Orthografie. Sich auf eine Variante und eine Orthografie festzulegen, sei nicht unwichtig, „denn Luxemburgsich als Fremdsprache ist am boomen“. Und in einem Sprachkurs könne man niemandem mehrere regionale Aussprachen zumuten. Könnte das LOD nicht dennoch zu einer Sprachpolizei gegenüber Dialekten mutieren? Offiziell schreibt sich der „Naturpark Öewersauer“ mit einem Ö, obwohl das LOD hier eine Orthografie vorschlägt, die mit einem „U“ beginnt. Im Süden hört man häufig Guar, muar, Tuart, im LOD steht Gare, muer, Taart. Luc Marteling sieht das anders: „Den LOD ass natierlech net géint Dialekter. Wa mer d’Standardvariante bis an den LOD opgeholl hunn, da kënne mer lues awer sécher nach méi Formen ophuelen“.

In den Bücherregalen des ZLS stehen im Eigenverlag veröffentlichte Bücher. Eins erschien 2021 und befasst sich mit luxemburgischen Redewendungen – „Ech brauch elo eppes fir hanner d’Knäpp“. Im gleichen Jahr erschien ebenfalls der Band „Vun Dréischel bis Kréischel“. Was ist eine Dréischel? „Ee Pilz oder Champignon“, erläutert Luc Marteling. In den sozialen Medien behauptete ein User, er finde diese Bände nicht zeitgemäß. Diese Kritik weist der Zentrumsleiter zurück: „Das LOD schaut nach vorne und nach hinten. Wir dokumentieren ältere Varianten aber auch Jugendsprache, zu der im September eine Forschung startet. Wir sind nicht reaktionär, wir haben den Sprachwandel natürlich auf dem Schirm, aber wir haben aus pragmatischen Gründen begonnen, alte Sprachvarianten zu dokumentieren, da wir hierfür aus einem bereits bestehenden Korpus schöpfen können“.

Während unter anderem durch die Arbeit am ZLS eine Aufwertung des Luxemburgischen stattfindet, vollzieht sich gerade ein weiterer Wandel: „Am Ablack ass d’Englesch amgaang all aner Sprooche platt ze maachen“, behauptet Fernand Fehlen. Und um dies zu veranschaulichen, liefert er Zahlen: „In der ersten soziolinguistischen Umfrage von 1983 wurde erhoben, dass nur fünf Prozent der Einwohner am Arbeitsplatz Englisch sprechen, mittlerweile sind es mehr als 30.“ Die letzten Daten stammen von 2011, es müssten also noch deutlich mehr geworden sein. Überdies deuten die Daten auf regionale Unterschiede hin. In der Flughafen-Gemeinde Sandweiler beispielsweise spricht mehr als die Hälfte der Erwerbstätigen Englisch. Auch die formalen Bildungshintergründe und Berufslaufbahnen weisen Unterschiede auf: Bei Führungskräften, Akademikern und in der Computerbranche drängelt sich das Englische vor. „Für die Jugend verliert das Französische an Bedeutung. Englisch ist hip, cool und praktisch, Netflix-Serien werden auf Englisch geschaut, – sie suchen den Zugang zu einer globalisierten englischsprachigen Kultur“, so Fehlen. Bildungspolitisch wurde dieses Bedürfnis allerdings kaum erkannt; seit 1968 wird an den Schulen erst ab der zweiten Sekundarstufe Englisch unterrichtet. Lusophone Muttersprachler lernen Englisch als fünfte Sprache, nachdem sie sich im staatlichen Grundschulcurriculum bereits drei Fremdsprachen aneignen mussten. Eine Herkulesaufgabe.

„Mee och op manner qualifizéierte Plaze ginn et Changementer an och d‘Fransouse schwätze mëttlerweil Englesch“, analysiert Fehlen. Ebenso verhalte es sich mit dem Austausch innerhalb der EU. Fehlen zitiert gerne den niederländischen Soziologen Abraam de Swan, der die Faustregel aufgestellt hat: „The more languages, the more English.“ Sie soll veranschaulichen, dass sich in einem mehrsprachigen Debattenraum auf das Englische als Konsenssprache festgelegt wird. Für Soziolinguisten wie Fehlen wird das gesellschaftspolitische Potenzial des Englischen übersehen. Erkannt hat es jedoch der Gemeinderat der Stadt-Luxemburg: Sein Einwohner-Magazin erscheint zweisprachig – und zwar auf Französisch und Englisch. Ebenso der Verlag Maison Moderne, der 2011 das englischsprachiges Delano Magazin lancierte. Es hat eine Auflage von 10 000 und bringt vor allem Wirtschaftsakteure zusammen. Im November 2017 folgt der damalige Sankt Paulus Verlag mit der Luxembourg Times; sie erläutert luxemburgische Polit-Debatten für eine englischsprachige Leserschaft.

Im LOD schlägt sich das Englische der Jugendlichen und des Tech-Milieu nieder. Genau 100 englische Verben wurden aufgenommen: aloggen, adden, kidnappen, muten, managen. Das Adjektiv „cringe“ wird ebenfalls im LOD erläutert, während „nice“ bis auf Weiteres vor der Tür bleibt. Lassen sich englische Verben bereits in den Bänden des Luxemburger Wörterbuchs finden, das zwischen 1950 und 1975 herausgegeben wurde? Für downloaden, swipen, printen und retweeten, kann man sich die Überprüfung sparen. Aber wie ist es mit joggen, interviewen, toasten? Keins der drei wurde aufgenommen. Auf Anhieb war nur „flirten“ auffindbar. Im LOD wird darüber hinaus für jedes luxemburgische Wort eine englische Übersetzung eingetragen, über die der Benutzer umgekehrt ein luxemburgisches Wort nachschlagen kann. Was die Suchanfragen betrifft, stellt der Programmierer vom ZLS, Sven Collette, allerdings keinen Anstieg von englischen Suchbegriffen fest. Vergleicht man Wortkoppelungen wie Confinement und Lockdown sowie Teletravail und Home office, die ins Luxemburgische übertragen wurden, bleibt die Variante, die aus dem Englischen übernommen wurde, deutlich hinter der Variante aus dem Französischen zurück. Warum das so ist, ist kaum zu beurteilen: Wollen die Nutzer vor allem überprüfen ob Confinement im Luxemburgischen mit einem K oder C geschrieben wird, während sie hingegen die Schreibweise von Lockdown beherrschen? Allerdings deuten weitere Indikatoren auf die voranschreitende Übernahme englischer Begriffe hin: „Boosteren“ wurde 2021 von luxemburgischen Medienschaffenden und Sprachwissenschaftlern zum Wort des Jahres gewählt. („Copytani“ – in Anlehnung an Xavier Bettels Plagiieren – fiel auf Platz sechs).

Luc Marteling und Fernand Fehlen sind sich eins, dass der Sprachwandel zunimmt, die Menschen sind mobiler und vernetzter, viele haben einen internationalen Bildungshintergrund oder mehrsprachigen Migrationshintergrund. Zugleich flachen die luxemburgischen Dialekte ab und eine Homogenisierung des Luxemburgischen schreitet voran: Muar seet vläicht kee méi Guar. In den Sproocheronnen, die im Juni stattfanden und in denen sich Interessierte beteiligen konnten, wurde darüber hinaus beklagt, dass zu viele deutsche Wörter ins Luxemburgische eingebaut werden wie lieben. Andere fanden die Verwendung von frankophonen Vokabeln wie Canicule nicht angemessen, im Luxemburgischen müsste man „Hëtztwell“ sagen. Wiederum andere monierten, zu häufig würde eine deutschen Syntax ins Luxemburgische übertragen, wie in „ab dräi Auer“ statt „vun dräi Auer un“. Zu beobachten ist auch, dass Hauptvarianten von einer Unterform abgelöst werden können: Dominierte noch vor einiger Zeit das Wort „Schong“, so ziehen Luxemburger vermehrt Schung un.

Stéphanie Majerus
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