Intensiver als über Ökosozialismus diskutierte déi Lénk über ihre Haltung zum Krieg in der Ukraine und vor allem in Gaza

Gesinnungskongress

Parteikongress von Déi Lénk am 24.3.2024 in Esch/Alzette
Foto: Olivier Halmes
d'Lëtzebuerger Land vom 29.03.2024

Parteikongresse von déi Lénk verdienen eigentlich den Namen „Parteitag“, denn oft dauern sie lange. Für den Kongress in der Escher Maison du Peuple (am vorigen Sonntag) ist ebenfalls ein ganzer Arbeitstag angesetzt. An die 70 Parteimitglieder treffen sich in dem Saal am Hauptsitz des OGBL. Jemand hat einen Hund mitgebracht. Der bellt manchmal.

Das Wort wird am Tag danach berichten: „Déi Lénk macht CSV-DP-Bashing zum Europawahlkampf“. Das ist möglich, aber nicht sicher. Die Reden von Parteisprecherin Carole Thoma und dem Abgeordneten Marc Baum zu Kongressbeginn sind nationalpolitische. Thoma nennt CSV-Innenminister Léon Gloden ein „Sicherheitsrisiko“, weil seine Politik Rechtsradikalen Vorschub leiste. Baum erkennt in „Luc von der Deutschen Bank“ eine Gefahr. „Trickle-down econocmics, mon cul!“, ruft er in den Saal. Das Publikum ist begeistert.

Zur EU und dem Wahlkampf zum Europaparlament hat déi Lénk sehr wohl etwas zu sagen. Insbesondere aber ringt sie um die richtige Gesinnung zu Krieg und Frieden, vor allem zu dem im Nahen Osten.

Für die Wahlen hat déi Lénk nicht einfach ein Programm aufgestellt, sondern ein 17 Seiten langes „Manifest“. Zwölf Schwerpunkte reichen von „Europe sociale“ bis „Garantir les droits des femmes et des personnes LGBTIQ+“. Ausgeweitet auf die EU wird die Idee eines „Ökosozialismus“, die vor zwei Jahren ein Kongress in Colmar-Berg zur politischen Strategie erklärt hat (d’Land, 29.4.2022). Konsequenter als LSAP und Déi Gréng wollte déi Lénk in den Kammer-Wahlkampf ein Jahr später ziehen, sich aber auch selber eine Linie geben, die Richtungskämpfe innerhalb der Partei möglichst beenden würde.

Die konkreten politischen Vorsätze der Lénk hätten schon auf einem Drittel der Seiten im Wahlmanifest Platz. Den größeren Teil nehmen Erklärungen zu einer EU ein, „où le pouvoir serait rendu aux citoyen.nes, où tout le monde aurait accès aux biens et services les plus élémentaires, où l’éducation et la santé seraient un droit universel, où le logement ne serait plus un objet de spéculation, où la protection du climat et de la biodiversité ne seraient pas réduits à des vains slogans, où les travailleur.euses jouiraient de conditions de travail à la hauteur de leurs efforts“.

Das hieße zum Beispiel: 32-Stunden-Arbeitswoche bei vollem Lohnausgleich. Klimaneutralität nicht 2050, sondern schon 2045. Damit der Übergang sozial gerecht verläuft, würden „les gros pollueurs et les milliardaires“ belastet. Spitäler und Universitäten würden vor Privatisierung geschützt, die Liberalisierung von Bahn, Post oder Energieversorgung rückgängig gemacht. Den EU-Stabilitätspakt würde déi Lénk ersetzen durch „pactes de développement économique, social et écologique solidaires axés sur la lutte contre les inégalités sociales et contre le changement climatique“. Die EZB und die Zentralbanken der Euroländer bekämen soziale und ökologische Ziele. Eine „harmonisation fiscale vers le haut“ fände statt, eine Finanztransaktionssteuer trüge zur Finanzierung des ökologischen Umbaus bei und vermiede „efficacement“ Steuerflucht.

Mit diesem Programm viele Stimmen zu erringen, glaubt déi Lénk offenbar selber nicht, denn sie hat eine besonders junge und wenig prominente Liste aufgestellt. Fünf der sechs Kandidat/innen sind Mitglieder der Jonk Lénk. Anastasia Iampolskaja ist 25 Jahre alt, Ben Muller 26, Alija Suljic und André Marques sind 28, Tania Mousel ist 34. Auch nicht alt, aber das einzige bekanntere Gesicht ist die 41-jährige Ana Correia da Veiga – Stater Gemeinderätin und bei den Kammerwahlen Zweite auf der linken Zentrumsliste hinter David Wagner. Dem Radio 100,7 wird Correia da Veiga am Tag nach dem Kongress prophylaktisch anvertrauen, déi Lénk sei „net benzeg op e Sëtz“ in Straßburg. Dazu müsste die Partei ihr Resultat von 2019, als sie 4,83 Prozent der Stimmen errang, mindestens verdoppeln.

Die junge Liste diesmal zielt wahrscheinlich weniger darauf ab, junge Wähler/innen anzusprechen, als den Verjüngungsprozess der Partei abzusichern. Ihr fällt es schwer, neue Mitglieder von ihr ideologisch nahestehenden Organisationen zu rekrutieren (d’Land, 31.3.2023). Und wenn doch, dann spielen bei Debatten wie auf dem Escher Kongress Ältere die Hauptrolle, geschult in Marxismus oder Imperialismuskritik.

Zum Manifest diskutiert der Kongress 21 Änderungsvorschläge. Die meisten betreffen die Ökologie und sind rasch erledigt. Anders ist das bei der Frage Krieg und Frieden, Pazifismus oder Nato. Sie lässt sich nicht so leicht in einem Konzept von Ökosozialismus unterbringen, denn die derzeit stattfindenden Kriege sind konkret. Und neben dem Manifest für Europa soll der Kongress eine Gaza-Resolution verabschieden. Noch vor der Mittagspause deutet Tun Jost aus Esch an, was womöglich bevorsteht: Er habe am Manifest mitgeschrieben, finde aber „persönlich“, dass darin „zum Teil ein Ost-West-Lagerdenken“ stecke, das ja „vorbei“ sei. Von der Ukraine zu verlangen, einem „Kapitulationsfrieden“ zuzustimmen, wäre zynisch und könne weitere Kriege auslösen. Gerne hätte er noch weiter referiert, doch der Kongressvorsitz achtet auf die Einhaltung der zwei Minuten Redezeit: „Mir mussen domadder doduerch haut!“

Wäre die Redezeit nicht begrenzt und dürften für und gegen eine Position sich nicht nur zwei Personen äußern, drohte der Kongress lange zu dauern. Vor Änderungsvorschlägen zum zehnten Punkt im Manifest: „Renoncer à toute forme d’impérialisme“ wird die Gaza-Resolution debattiert. Israel führe nicht nur einen Krieg gegen die Hamas, sondern auch gegen das palästinensiche Volk. Gefordert werden unter anderem ein sofortiger und dauerhafter Waffenstillstand und ein Rückzug der israelischen Armee aus Gaza. Ein palästinensischer Staat in den Grenzen von 1967 müsse offiziell anerkannt, gegen Israel müssten gezielte Sanktionen verhängt werden, „jusqu’au respect intégral du droit international et des droits de l’homme“.

Der Kongress folgt aber nur dem früheren Stater Gemeinderat Guy Foetz darin, in der Resolution auch den Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober zu verurteilen. Ihn nicht mal zu erwähnen, wäre „suizidär“, meint Foetz. Abgelehnt wird der Antrag André Hoffmanns, dass die Resolution sich auch explizit gegen Antisemitismus aussprechen soll. Im Namen der Internationalen Kommission der Partei erklärt Marc Burggraf, die Resolution solle insbesondere in Luxemburg lebende Palästinenser/innen unterstützen. Die frühere Abgeordnete Nathalie Oberweis teilt Hoffmanns Antrag „inhaltlich“, fürchtet aber, er würde „ein Amalgam schaffen, das denen in die Hände spielt, die uns mundtot machen wollen“.

Ebenfalls nicht angenommen wird Hoffmanns Antrag, statt für eine Überwindung des „pojet sioniste“ für eine „politique démocratique et pacifique en Israël“ zu plädieren. Denn stellte man andernfalls nicht den Staat Israel infrage? Darauf schlagen die Wellen hoch. Der Hund bellt. Ein Redner wirft Hoffmann vor, an einer „Grundposition der antiimperialistischen Linken“ zu rütteln. Eine Frauenstimme ruft, in Israel gebe es auch Feministinnen. Gary Diderich meint, die Resolution solle sich zu einem Friedensprojekt äußern, nicht gegen ein zionistisches Projekt. Claude Simon findet „nicht richtig, dass wir hier eine Kampfabstimmung führen“, und wird sich enthalten. Hoffmann verlässt vor der Abstimmung den Saal.

Israel und Palästina tauchen auch in der Debatte zum EU-Manifest auf: Soll die Zwei-Staaten-Lösung durch eine „solution juste et équitable“ ersetzt werden, weil es auch andere denkbare Szenarien gibt? Ehe These und Antithese erneut aufeinanderprallen, ist der Kongress dankbar für Nathalie Oberweis’ Vorschlag, beides zu erwähnen. Nicht ins Manifest gelangt der Antrag, die EU darauf festlegen zu wollen, gegenüber Israel BDS (Boycott, Divestment, Sanctions) zu unterstützen: Im Wahlprogramm habe das keinen Platz. Und manche Jüngeren im Saal wissen nicht, was BDS heißt.

Vielleicht ist der Nahost-Konflikt schon so alt, dass er viele radikale Linke dazu einlädt, Gesinnungen zu äußern, die sie schon lange haben. Das Thema Ukraine, Russland und Nato ist neuer und betrifft Luxemburg als Mitglied von EU und Nato unmittelbar. Alain Sertic vom trotzkistischen Flügel scheitert mit dem Antrag, das Manifest solle erwähnen, der Ukrainekrieg sei durch die Nato-Osterweiterung „begünstigt“ worden. Ein junger Redner wendet ein, diese Länder seien der Nato beigetreten, weil sie Angst vor Russland hatten; zu recht, wie sich seit zwei Jahren zeige. Und wie wollte man einem Staat verbieten, der Nato beizutreten? Abgelehnt wird auch Sertic’ Vorschlag, die Auflösung der Nato ins Manifest zu schreiben. Tue man das, sagt derselbe junge Redner, und spreche man sich gleichzeitig im Manifest gegen jede Form von politischem Imperialismus aus, übernehme man „Argumente von Putin“. So lange Diskussionen wie zu Gaza folgen darauf nicht. Mit der Sowjetunion verwechseln möchte Russland niemand. Die Lage in der Welt ist unübersichtlich und gefährlich. Tun Jost hatte vor der Mittagspause gesagt, eigentlich müsste der Kongress auch über China und die USA reden...

Peter Feist
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