Leitartikel

Farewell, Wolfgang

d'Lëtzebuerger Land vom 13.10.2017

Nach acht Jahren im Zentrum der europäischen Finanzpolitik nahm der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) Anfang der Woche in Kirchberg Abschied von der Eurogruppe, um in Berlin Bundestagspräsident zu werden. In acht Jahren Eurokrisen-Management wurde Wolfgang Schäuble zum Sinnbild für Finanzpolitik deutscher Art. Dazu braucht es mindestens einen ausgewogenen Haushalt, besser deutliche Überschüsse, Strenge, Disziplin bis zur Selbstentsagung, und auch ein paar Prozent Inflation sind des Guten schon zu viel. Das alles verrührt man so lange und unerbittlich, bis die Griechen aus dem Euro fliegen.

Mit seinem verkniffenen Gesichtsausdruck war Schäuble der ideale Gegenspieler für die Rockstars im griechischen Finanzministerium, wie Yannis Varoufakis und Euklid Tsakalotos, und in dieser Rolle eroberte er die Herzen des Luxemburger Publikums. Nicht nur, weil sich neben ihm als Unerbittlichen der frühere Chef der Eurogruppe Jean-Claude Juncker als der barmherzige Freund der einfachen Leute profilieren konnte, als den ihn die Luxemburger lieben, und der Griechen, Spaniern, Portugiesen und Italienern gerne entgegengekommen wäre, hätte man ihn nur gelassen. Sondern weil Schäuble mit seiner Politik seine schützende Hand über das europäische Bankensystem hielt. Indem er die Wahl zwischen arbeitslosen Bankiers im Norden und hungrigen Schulkindern im Süden zugunsten der Bankiers entschied, war ihm die Zuneigung Luxemburgs gewiss.

Der ewige Thronfolger von Helmut Kohl kann wie Jean-Claude Juncker zur Generation der „alten“ konservativen Gründerväter der Europäischen Union gezählt werden, welche die „jungen“ Liberalen wie Emmanuel Macron, Charles Michel und Xavier Bettel stürzen wollen. Im Krieg geboren und in der Nachkriegszeit aufgewachsen, ist seine Erinnerung an die Kriegsfolgen authentischer als die anderer und deshalb war die Unversehrtheit der EU ihm ein Anliegen. Auch wenn er von einer Vergemeinschaftung der Schulden nichts wissen wollte, nahm er Rücksicht auf kleine EU-Mitgliedstaaten, die die Stabilitätskriterien erfüllten.

Denn Schäuble ist ein Kind der Zeit vor der neuen Steuertransparenz. Wollte sein Amtsvorgänger schon die Kavallerie schicken, um die Steueroase Luxemburg zu besetzen, traf sich Schäuble bereitwillig mit den deutschsprachigen Finanzministern aus Österreich, Luxemburg, Liechtenstein und der Schweiz. Mit den letzten Bastionen des Bankgeheimnisses teilte er nicht nur sprachliche Affinitäten. Als Geständiger in der CDU-Spendenaffäre, der von einem Waffenhändler Spendengelder entgegennahm, war ihm die Aufstöberung von Schwarzgeldkonten in den Nachbarstaaten vielleicht nicht die gleiche Herzensangelegenheit wie seinem Amtsvorgänger.

Mit Wolfgang Schäubles Rückzug in den Bundestag verliert die Luxemburger Wirtschaft nicht nur ein Vorbild in Sachen Haushaltspolitik, sondern einen treuen Freund und Verbündeten. Sein Nachfolger könnte neuesten Spekulationen in deutschen Medien zufolge der liberale FDP-Politiker Christian Lindner (Jahrgang 1979) werden. Er steht für Steuersenkungen, ist gegen die Aufnahme neuer Schulden und will, dass in Zukunft nicht die Politiker von der Kommission und die Finanzminister der Mitgliedstaaten überwachen, wer die Stabilitätskriterien einhält, sondern eine „unabhängige“, also mit Technokraten besetzte, Institution. Einer großen Freundschaft mit Finanzminister Pierre Gramegna (DP) steht demnach im Prinzip nichts im Weg. Vielleicht traut sich Gramegna auch deshalb, Ansprüche auf die Nachfolge von ­Jeroen Dijsselbloem an der Spitze der Eurogruppe zu erheben, weil er sich Unterstützung von seinem jungen Parteifreund erwartet. Ob ein Vertreter der Generation Golf sich als ebenso zuverlässiger und rücksichtsvoller Partner herausstellt wie einer der Nachkriegsgeneration, muss sich noch herausstellen.

Michèle Sinner
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