Neuer Anlauf für ein Psychotherapeutengesetz

Der Markt soll‘s nicht mehr richten

d'Lëtzebuerger Land vom 06.05.2011

Ob jemand, der nach einem Psychotherapeuten sucht, wohl seinen Computer anwirft und im World Wide Web auf gut Glück die Adresse psychotherapeut.lu ausprobiert? Oder psychologue.lu oder therapies.lu? Das scheint gut möglich, und vielleicht ist es nicht der schlechteste Versuch: Alle drei Adressen führen zu gut geführten Webseiten freiberuflich tätiger Psychotherapeutinnen und -therapeuten, die dort auch Auskunft geben über sich und ihre Qualifikation, über ihre Auffassung von der Psychotherapie und ihre Ansätze dabei.

Enttäuscht wird freilich, wer gehofft hat, unter einer solchen Adresse eine ganze Liste von Psychotherapeuten angeboten zu bekommen – am besten noch gegliedert nach Ortschaften, therapeutischer Spezialisierung und bevorzugter Sprache. Da helfen auch Versuche mit psychotherapeuten.lu oder psychotherapeutes.lu nicht weiter – diese Adressen sind ebenso wenig vergeben wie etwa psychotherapie.lu.

Nicht einmal sante.public.lu bietet eine Psychotherapeutenliste an. Dabei verspricht das vom Gesundheitsministerium vor vier Jahren eingeweihte Internet-Portal, „toutes les informations utiles dans le domaine de la santé et du social“ zu liefern, um „les citoyens dans leur démarche de préservation de leur capital santé“ zu unterstützen.

Doch: Wenn es um Psychotherapie geht, ist das nicht in erster Linie eine Informationsfrage. Der Psychotherapeutenberuf ist hierzulande nicht geschützt.

Der heimische Psycho-Markt ist demnach undurchsichtig. Was angeboten wird, wird weder erfasst noch kontrolliert, und eine Therapeutenliste böte keine Qualitätsgarantie – die insgesamt 28 Einträge unter der Rubrik „Psychothérapeutes“ im gelben Branchen-Telefonbuch 2011 können das folglich ebenfalls nicht.

Das ist ziemlich bedenklich. Hatte doch die letzte, Ende 2006 vom Ministerium veröffentlichte Carte sanitaire über das heimische Gesundheitswesen von einem akuten Handlungsbedarf ]bei der psychischen Gesunderhaltung der Bevölkerung gesprochen: Der Verbrauch von Psychopharmaka sei hoch, die Suizidrate ebenfalls, und Depressionen seien die häufigste Ursache für invaliditätsbedingte Frühverrentungen. Man brauche Strategien, vernetzte Ansätze und Aktionspläne.

Sollte heute, ganz pragmatisch gesehen, einem nach psychotherapeutischem Beistand Suchenden dennoch nur zu wünschen sein, dass er einen Termin bei einem Psychiater findet? Immerhin einem Facharzt, dessen Leistungen obendrein die Gesundheitskasse übernimmt.

Wenn alles gut geht, könnte die Antwort noch in diesem Jahr Nein lauten. Luxemburg soll ein Psychotherapeutengesetz erhalten, das den Beruf definiert, den Zugang zu ihm regelt und Standards für seine Ausübung setzt. Die Vorbereitungen dazu sind sogar schon weit gediehen: im Gesundheitsministerium ist man optimistisch, vielleicht noch vor den Sommerferien einen Gesetzes-Vorentwurf abschließen zu können, den Minister Mars Di Bartolomeo (LSAP) ]im Regierungsrat vorlegen kann.

Dieses Tempo scheint überraschend, doch die Vorbereitungen begannen schon 2008. Anläufe für ein solches Gesetz gab es in der Vergangenheit ebenfalls schon. Wäre es nach dem damaligen Gesundheitsminister Johny Lahure von der LSAP gegangen, hätte schon in den Neunzigerjahren der Psychotherapeutenberuf geregelt werden können. Die Initiative scheiterte jedoch zunächst nicht nur an den Psychiatern, die nicht bereit waren, die Zuständigkeit für Psychotherapien mit Nicht-Ärzten zu teilen. Die Ärztekammer, der Collège médica, war ganz prinzipiell der Meinung, dass die Psychotherapie eine Domäne von Medizinern sein solle. Gegen Mitte der Neunzigerjahre aber war die Ärzteschaft kompromissbereiter.

Das hatte auch damit zu tun, dass die Nachfrage nach Psychotherapien immer weiter wuchs und Psychiater sich mitunter gezwungen sahen, Patienten an Psychologen zu verweisen. Überdies gab es, ganz abgesehen vom freien Markt der Psychotherapeuten, längst Beratungsstellen mit ASBL-Struktur, die mit dem Gesundheits- oder dem Familienministerium konventioniert waren und eine anerkannte Arbeit leisteten. Und so wäre es, nach langen Diskussionen, 1997 beinah doch zu einem Konsens über die Psychotherapie gekommen. Am Ende aber herrschte Uneinigkeit unter den Berufsverbänden der Therapeuten, die teils Psychologen waren, und teils nicht.

Der erneute Anlauf geht vor allem von der Uni Luxemburg aus. An ihrer humanwissenschaftlichen Fakultät können ein Bachelor- und ein Master-Abschluss in Psychologie erworben werden. Bereits 2008 begannen Gespräche mit Hochschulminister François Biltgen (CSV) über den Titelschutz eines akademischen Berufs „Psychotherapeut“. „Wir möchten damit einen Beitrag leisten für eine geregelte Psychotherapie hoher Qualität in Luxemburg“, sagt Georges Steffgen, Psychologie-Professor und Leiter des Bachelor-Studiengangs. Um die Berufsaussichten der eigenen Master-Absolventen zu verbessern, wurde an der Uni ein Psychotherapie-Aufbaustudium entworfen. Wenn die zuständigen Gremien, vom Fakultätsrat bis zum Conseil de gouvernance, zustimmen, könnte es 2012 starten. Im neuen Vierjahresplan der Uni steht es schon.

Dass die Psychotherapie-Frage diesmal gemeinsam mit einem akademischen Projekt gestellt wurde, mindert aber wahrscheinlich nicht ihr Konfliktpotenzial. Ein Aufbaustudiengang macht kein Psychotherapeutengesetz. Aber der Studiengang bestimmt mit, wer künftig psychotherapeutisch wird tätig werden dürfen. Geplant ist er als Weiterqualifizierung für Psychologen und für Mediziner jeglicher Fachrichtung.

Daran dürfte es liegen, dass zunächst eine kleine Arbeitsgruppe aus Vertretern des Ministeriums, der Uni und der Psychiatrischen Gesellschaft darüber verhandelte. Deren Präsident Paul Rauchs erklärt: „Wir sind einverstanden, dass künftig auch Psychologen zu Psychotherapeuten ausgebildet werden und diese Tätigkeit anschließend offiziell ausführen.“ Doch dann schränkt er ein: „Die initiale Diagnose sollte nach Ansicht der Psychiatrischen Gesellschaft von einem Psychiater gestellt werden.“ Denn der habe als Arzt auch Kenntnis vom Körper und dessen Funktionen. Zumindest Behandlungen durch einen nicht ärztlichen Psychotherapeuten, deren Kosten die Gesundheitskasse zurückerstattet, sollten über einen Psychiater führen.

Rauchs räumt allerdings ein, dass die Ärztekammer „nicht unbedingt derselben Meinung“ sei, und in dem vorläufigen Text, den das Gesundheitsministerium verfasst hat, steht von dem Delegationsprinzip auch nichts.

Inwiefern die Psychiater darauf tatsächlich bestehen, dürfte vermutlich stark davon abhängen, wie die Ärztekammer sich dazu stellt. Die Anfangsdiagnose einem Psychiater vorzubehalten, weil er Arzt ist, wäre immerhin auch deshalb seltsam, weil künftig Ärzte gleich welcher Fachrichtung sich zum Psychotherapeuten ausbilden lassen können: Welchen Grund gäbe es, ihnen diese Diagnose nicht zu erlauben, wenn nicht einen korporatistischen?

Zumal derzeit schon jeder Arzt eine „unterstützende Psychotherapie“ leisten und in Rechnung stellen darf, ohne nachweisen zu müssen, über welche therapeutischen Fertigkeiten er denn genau verfügt. Ein Nachweis, den übrigens auch ein Psychiater nicht erbringen muss – da die Psychotherapie hierzulande offiziell nicht existiert.

Weil die Gespräche sich bisher nur um den Psychotherapeutenberuf drehen und noch gar nicht um Gesundheitskassentarife, ist genug Raum, um die Qualitätsfrage zu diskutieren. Das dürfte bald schon auch öffentlich geschehen, denn dem Vernehmen nach wird der Gesundheitsminister demnächst die Meinungen der verschiedenen Psychotherapeutenverbände zum Vorentwurf einholen.

Denn manche dieser Verbände bilden schon seit Jahrzehnten nicht nur „Berater“ und „Coaches“, sondern auch „Psychotherapeuten“ aus. Ein umfangreiches Ausbildungsprogramm bietet zum Beispiel die LGPIA, die Lëtzebuerger Gesellschaft fir Individualpsychologienom Alfred Adler, in ihrem Institut für psychologische Gesundheitsförderung an. Das Besondere daran: Zu der Psychotherapie-Ausbildung, die 3 750 Stunden umfasst, darunter 1 200 Stunden Praktikum mit Supervision, plus 200 Stunden Grundausbildung, sind nicht nur Psychologen und approbierte Ärzte zugangsberechtigt, sondern auch, wer einen Hochschulabschluss der Human-, der Erziehungs- oder der Sozialwissenschaften besitzt.

Kann auch ein Soziologe, ein Pädagoge oder ein Philosoph ein guter Psychotherapeut werden? Das ist eine Frage, die auch Psychologen mit psychotherapeutischer Zusatzqualifikation nicht immer mit Nein beantworten. Bei der Vorbereitung des Aufbaustudiengangs an der Uni Luxemburg aber wird diese Möglichkeit Möglichkeit klar verneint: „Der Studiengang stünde allein Psychologen mit wenigstens einem Master-Abschluss sowie approbierten Ärzten gleich welcher Fachdisziplin offen“, unterstreicht Professor Steffgen. Damit entspreche man den Standards der EFPA, der European Federation of Psychologists’ Associations.

Nicht überraschend, schließt auch der Gesetzes-Vorentwurf aus, dass ein Nicht-Arzt oder Nicht-Psychologe, der einen Psychotherapeutenabschluss in Luxemburg oder anders anderswo erworben hat, in Zukunft diesen Titel führen könnte. Doch: Mit der Psychotherapie ist es so eine Sache.

Auf EU-Ebene gibt es keinen Ansatz zur Regelung der Profession, und nicht alle EU-Staaten wenden bei der Anerkennung der Psychotherapie auf nationalem Niveau die Standards der EFPA an. Deutschland, Italien und Schweden zum Beispiel tun es. Österreich, wo Sigmund Freud einst die Psychoanalyse entwickelte, tut es nicht. Frankreich, wo die Psychotherapie lange Zeit mit Psychoanalyse gleichgesetzt wurde, die im Grunde noch heute als Humanwissenschaft gilt, geht ebenfalls andere Wege. Letzten Endes muss Luxemburg entscheiden, was es praktisch heißt, falls ein berufsethischer Grundsatz für den Psychotherapeuten lauten soll, auf keinen Fall seinem Patienten oder Klienten zu schaden. Sofern sich dem nur gerecht werden lässt, wenn man allerstrengste Maßstäbe an Vorbildung, Ausbildung und Weiterbildung der Therapeuten anlegt, fällt die Entscheidung vermutlich gar nicht schwer.

Peter Feist
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