Finanzbeilage

Belagerungsmentalität

d'Lëtzebuerger Land vom 21.06.2013

Prominente Steuerhinterziehern wie FC-Bayern-Präsident Uli Hoeneß ist es zu danken, dass die Debatte um Steuerhinterziehung und Bankgeheimnis nicht abreißt. Und das hat Folgen. Während sich Bürgerrechtler früher gegen Initiativen wehrten, die in Richtung „gläserner Bürger“ gingen, ist die völlige finanzielle Transparenz ohne viel Widerstand und mit breiter Unterstützung zum Mantra in der EU geworden. Während die Diskussion um die Besteuerung von Privatpersonen weitergeht, nimmt die um die gerechte Besteuerung von multinationalen Konzernen gerade erst richtig Fahrt auf. Was da passiert, auf der Ebene der EU, aber auch weltweit, kann man durchaus als Paradigmenwechsel bezeichnen.
Dabei sind Politik und Aufsichtsbehörden nach dem Crash von 2008 immer noch am Aufräumen, die Arbeiten am Regulierungs- und Aufsichtsumfeld, die darauf abzielen, die Finanzmärkte stabiler zu machen, sind noch längst nicht abgeschlossen. Und auch das Projekt Bankenunion könnte man getrost als Paradigmenwechsel betiteln. Weil überall die Spielregeln ändern, gibt so viele Unbekannte gleichzeitig für die Entwicklung der Finanzbranche wie selten vorher.
So angeschlagen wie der Finanzplatz nach der Steuerhinterziehungsdebatte und der Abschaffung des Bankgeheimnisses, nach der Madoff-Affäre und anderen Skandalen ist, so angeschlagen ist auch der für ihn zuständige Minister. Liegt das auch hauptsächlich an seiner Vergangenheit als Justizminister, kann Luc Frieden (CSV) nicht mehr auf die gleichen Popularitätsraten bei seinem bisher größten Fanclub aus Bankiers, Geschäftsanwälten, Buchhaltern und Fondspromotoren zählen, als noch vor ein paar Jahren.
Das ist nicht nur auf den Bommeleeër-Prozess zurückzuführen, sondern auch darauf, dass er trotz Austeritätspredigt den Haushalt nicht in den Griff bekommt, oder auf sein plötzliches Eingreifen bei Luxembourg for Finance. Oder auf seine misslungenen Medienauftritte, angefangen beim peinlichen Interview in Cash Investigation vor einem Jahr, über das Interview in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, mit dem er an einem Wochenende das Bankgeheimnis begrub, hin zum Patzer mit der Financial Times, die ihn sagen ließ, er wolle den automatischen Informationsaustausch für Firmen einführen.
Doch immerhin bekennt sich Luc Frieden klar und deutlich zum Finanzplatz, den er auch in Zukunft ausbauen will. Das ist mehr als sich sonst irgendein Politiker egal welcher Couleur traut, die fast ausschließlich Wirtschaftsdiversifizierung predigen. Was auch am zwiespältigen Verhältnis der Luxemburger mit dem größten Wirtschaftssektor liegt, von dem die meisten, wie Uni.lu-Forscher Philippe Poirier sagt, kaum etwas wissen und mit dem sie sich nur bedingt assoziieren, weil Geldgeschäfte doch immer irgendwie etwas anrüchig sind. Staatsminister Jean-Claude Juncker macht es vor: Er geißelt großspurig Spekulanten, muss aber einräumen, dass Luxemburg bei der Finanztransaktionssteuer nicht mitmacht, weil dabei zu viel auf dem Spiel steht.
Und so verfallen bei Angriffen von außerhalb Politiker, Medien, Bürger reflexartig in eine Art Belagerungsmentalität, die ebenso undifferenziert ist, wie die Kritik aus dem Ausland. Dieses passiv-aggressive Verhalten hat aber mit einer wirklichen Auseinandersetzung mit der Finanz- und Dienstleistungsbranche und ihren Geschäftspraktiken nichts zu tun. Dabei wäre sie, angesichts der vielen Unsicherheiten, die auf ihr lasten, dringend notwendig. Denn, so sagt Wirtschaftsnobelpreisträger Christopher Pissarides im Land-Interview: Kleine Länder können keine BMW oder Mercedes exportieren, deswegen bauen sie eine Finanzbranche auf und exportieren Dienstleistungen. Das gefällt selbstverständlich längst nicht jedem.

Michèle Sinner
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