Zum letzten Mal: Fußball-WM 2014

Abzug der Helden

d'Lëtzebuerger Land du 18.07.2014

Die Geschichten sind mächtig, unvergänglich, die Siege und Niederlage historisch, einmalig. Wenn die geneigte Leserin sich diesen Zeilen gewidmet haben wird, eventuell, wird sie sie schon vergessen haben. Wovon spricht die eigentlich, von wem, war da was, und wer, gegen wen? Ah ja, in Brasilien stehen die goldenen Austernschalen der Stadien herum. Die Slums wuchern zäh weiter, das Elend klebt seine Nester um die zerbröselnden Kolosseen. Das Leben geht weiter, könnte man sagen. Einige werden reicher sein, sehr viel reicher. Einige werden eine Therapie brauchen, vielleicht sogar ein Volk, das sich die zwar nicht kaufen kann. Das Völkerverständigungsfest hat seine Völkerverständigungsfünfminuten gehabt. Jesus wurde zum globalen Kicker.

Die Helden ziehen ab, wir gähnen vor unserm Rettungsschirm, war da was, war da wer? Und wer? Erinnert sich noch jemand? Hulk, Dante, Julio Cesar. Gauchos und Gladiatoren. Jünglinge, schwarz wie Ebenholz, weiß wie Mehl. Orange wie Oranje. Conquistadores mit wehenden Mähnen. Hinrichtungen, Trauerspiele, Gnadenschüsse. Küsse. Archaische Szenen, biblische, das alte Rom, die Nibelungen und Neanderthal. Der Märchen- und Mythenschatz hat unsern Bildschirm bebildert, Häuptlinge und Heilige gingen ein und aus bei uns. Und natürlich jede Menge von schwitzenden, rotzenden Typen. Willkommen!, sagten wir.

Siegfried vor dem Thore. Schweini neigt sein Haupt voll Blut und Wunden. Ein kleiner Junge steht verdattert auf dem Rasen, der die Welt bedeutet. Die Schlacht ist geschlagen, der Kampf ist vorbei, wo ist Mutti, die ihn abholt? Der ARD- Kommentator nennt ihn Erlöser Deutschlands, er staunt.

Auf der VIP-Bühne, auf der Trip-Bühne in einer Southpark-Szene spielen Putin und Merkel mit. Putin ist, seht alle her, keinesfalls im Abseits. Er ist überhaupt nicht der Böse, für den ihr ihn haltet. So einer, der in Kirchen musizierende Mädchen in einen Käfig steckt und in fremden Ländereien einfällt, was nun wirklich nicht mehr in Mode ist. Jedenfalls nicht chez nous, in Europa, allez allez. Er ist, wie wir alle sehen, eingeladen auf die Party, er ist auf dem Weltfest. Welt at its best, er darf sogar ganz nah bei Mutti sitzen. Ein netter Kerl, eigentlich.

Einer wird Weltmeister, was bedrohlicher klingt als es ist. Die Weltmeister tanzen um eine Siegessäule oder einen goldenen Pokal. Nur wir hocken belämmert vor unserm Rettungsschirm. Die Chips sind aufgefressen, die Bierdosen leer. Wir gehen aufs Klo. Den Helden wird das Steißbein massiert. Jogi Löw quäkt. Wir starren ins Sommerloch, aus dem andere Kämpfer auftauchen, plötzlich. Sie gefallen uns nicht. Aus Kämpfen ohne Spielregeln. Aus Kriegen, die nicht mal erklärt werden. Geht das eigentlich? Ist das nicht verboten? Der Rauch steigt aus den Ruinen, verschleierte Frauen weinen, unverschleierte Frauen weinen, bärtige Männer drohen, bärtige Männer drohen. Der Rauch steigt auf im Sommerloch, wie unappetitlich ist das alles. Rundherum werden Trophäen hergezeigt, Abgehacktes. Feindliche Skalps werden an die Tore der Städte genagelt und Ketzer ans Kreuz.Tote werden gezählt, nicht mehr an einer Hand. Sie ähneln sich so, who is who? Sie haben keine Trikots. Die Gegenseite zählt auch, wer hat denn jetzt mehr? Bitte Herr Schiedsrichter, aber der ist schon weg. Mutti Merkel auch.

Die siegestrunkenen Germanen tanzen. Was machen eigentlich die Amis, eben haben sie noch so anmutig Fußball gespielt, beinahe zenbuddhistisch. Und wo kommt diese Isis plötzlich her? Wer hat sie aus dem siebenten Jahrhundert in unser Wohnzimmer gebeamt? Ich habe sie jedenfalls nicht gebucht, schick sie in die Wüste!

Jesus ist jetzt keine Pop-Ikone mehr, Gott sei Dank. Nur noch ein Jesus. Er segnet die Voodoo-Tänzer, die Porno-Prinzessinnen, die Favela-Engel. Das mit Füßen getretene Herz Brasiliens. Aber das ist eine andere Geschichte. Wir sehen sie nicht im Fernsehen.

Michèle Thoma
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