leitartikel

Brückenbauer

d'Lëtzebuerger Land vom 05.04.2024

Mitte Januar sagte CSV-Premierminister Luc Frieden dem Nachrichtenportal Politico, er wolle „Brücken“ zwischen der EU und Ungarns autokratischem Premier Viktor Orbán bauen. An dessen Isolation sei die EU zum Teil selber schuld, sie müsse „versuchen, unterschiedliche Sichtweisen auszuhalten“. Nachdem er von der Opposition dafür kritisiert wurde, erzählte Frieden dem Radio 100,7, er sei „falsch zitiert worden“.
Luc Frieden ist ein ambivalenter Charakter. In Brüssel sagt er Dinge, die er anschließend in Luxemburg wieder relativiert. „Unterschiedliche Sichtweisen“ vereint er in einer Person.

So wie vergangene Woche, als er am Rande eines Atom-Gipfels behauptete, die CSV-DP-Regierung sei „technologieoffen“ für die Entwicklung der Nuklearenergie; man müsse die Nuklearforschung unterstützen, auch mit europäischen Mitteln. Nachdem Abgeordnete des Koalitionspartners DP sich darüber überrascht gezeigt hatten, weil dieses Bekenntnis nicht im Regierungsprogramm steht, ruderte Frieden zurück. Am Montag sagte er dann in einem Interview mit dem Wort, wegen der wachsenden Anzahl von Asylanträgen stelle sich die Frage, „ob einige dieser Asylanträge nicht auch in den direkten Nachbarstaaten dieser EU-Staaten behandelt werden können“. Auf dem Kongress vor zwei Wochen hatte die Europaabgeordnete Isabel Wiseler noch bekräftigt, die CSV sei nicht für das auf der „Ausschiffung“ von Geflüchteten nach Afrika beruhende „Ruanda-Modell“.

Ist Friedens Orientierungslosigkeit nur seiner Schusseligkeit geschuldet? Oder ist sie Teil seiner Strategie? In Brüssel versucht der auf europäischem Parkett noch „neie“ Luc seine Freunde von der CDU zu beeindrucken, indem er deren Positionen in Einwanderungsfragen, zu Israel und auch zur Atomkraft nachbetet (unter Angela Merkel hatte die CDU den Atomausstieg mit beschlossen, den sie nun wieder rückgängig machen will). Doch anders als die CSV ist die CDU in der Krise. Von der Uneinigkeit in und der Kritik an der „Ampel“-Koalition profitiert nicht sie, sondern die AfD. In anderen europäischen Ländern wie Frankreich und Italien haben christdemokratische Parteien schon massiv zugunsten von rechtsradikalen an Bedeutung verloren. In Luxemburg konnte Frieden den in Ilres-Umfragen prophezeiten Niedergang seiner Partei quasi eigenhändig verhindern. Sie dankt es ihm mit blinder Gefolgschaft. Als er als Premierminister erstmals in der Geschichte der CSV auch den Parteivorsitz übernahm, widersprach in der Partei niemand dieser Machtkonzentration.

Im Europaparlament haben die Christdemokraten noch eine Mehrheit. Laut den letzten Umfragen würden sie stärkste Partei bleiben, während Grünen und Liberalen Verluste drohen. Deutlich gewinnen sollen lediglich die rechtskonservativen bis rechtsextremen Parteien aus ECR und ID. Würden sie zusammenarbeiten, wären sie stärker als die Sozialdemokraten und fast so stark wie die EVP. Mit radikalen Positionen hofft die EVP, den Rechtsextremen bis Juni noch das Wasser abzugraben. Frieden hat sich offenbar dazu verpflichtet, dabei mitzumachen. Mit dem Risiko, dass er zuhause nicht nur die Opposition, sondern auch seinen Koalitionspartner verschreckt.

Die EVP begibt sich auf gefährliches Terrain. Sollte ihre Strategie aufgehen und sie erneut die Kommissions-präsidentin stellen, muss sie ihre Wahlversprechen einlösen. Mehrheiten für das Ruanda-Modell und Investitionen in die Atomkraft, aber auch für klima - und umweltpolitische Zugeständnisse an die konventionelle Landwirtschaft wird sie voraussichtlich nur mit ECR und ID erreichen. Die Rechtsradikalen werden solche Maßnahmen in ihren Heimatstaaten nicht zu Unrecht als ihre Erfolge verkaufen, was sie auf nationaler Ebene noch weiter stärken wird.

In Luxemburg haben die Rechtsradikalen noch keinen EU-Abgeordneten. Doch mit seiner Diskursverschiebung nach rechts hat Luc Frieden ihnen in den vergangenen Wochen den Weg geebnet. Vermutlich will er auch der ADR aus der europäischen Isolation helfen, Fernand Kartheiser eine „Brücke“ nach Brüssel bauen. An der CSV-Basis regt sich dagegen kein Widerstand. Nicht einmal im christlich-sozialen Flügel. Oder wie ihr „Leader“ es am Montag im Wort ausdrückte: „In meinen Augen hat die CSV keine Flügel.“

Luc Laboulle
© 2024 d’Lëtzebuerger Land