Generaldirektor Gilles Feith über die Lage bei Luxair, die Experimente mit den neuen Routen in der Pandemie und ob City-Trips für wenig Geld übers Wochenende Klimakiller sind

„Bei uns ändert sich alles“

Gilles Feith, Generaldirektor von Luxair
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 24.09.2021

Als bei Ausbruch der Corona-Seuche absehbar war, dass die Luftfahrtbranche davon besonders betroffen sein werde, trat eine sektorielle Tripartite zusammen. Sie kam zu dem Schluss, dass insbesondere die Luxair Probleme haben würde. Vergangenen Herbst wurde ein umfangreicher Plan de maintien dans l’emploi für insgesamt 587 Mitarbeiter/innen abgeschlossen. Kurzarbeit wurde genutzt, Frührente-Regelungen wurden getroffen. Der Staat nahm bis zu 138 Mitarbeiter/innen provisorisch unter Vertrag – im Gesundheitsamt für das Contact tracing von Corona-Infektionen, in der Adem, dem Nationalarchiv oder im Umweltministerium. Im November 2020 war noch davon ausgegangen worden, dass Luxair 227 Mitarbeiter/innen, die einer Cellule de reclassement structurel zusammengefasst wurden, über einen mehrere Jahre dauernden Prêt temporaire de main d’œuvre (PTOM) an den Staat verleihen würde: Die Betreffenden würden bei Luxair unter Vertrag bleiben, aber beim Staat beschäftigt. Luxair würde die Gehälter zahlen und bekäme sie aus dem nationalen Beschäftigungsfonds rückerstattet. Am Dienstag beschlossen Regierung, Luxair-Direktion und die Gewerkschaften OGBL und LCGB diesen PTOM für zunächst 69 Luxair-Mitarbeiter/innen.

d‘Land: Herr Feith, ein Prêt temporaire de main d’œuvre von Luxair an den Staat über fünf Jahre und vielleicht länger ist eine außerordentliche Maßnahme. Wie ist die Lage bei der Luxair, dass das nötig wurde?

Gilles Feith: Lassen Sie mich zunächst kontextualisieren: Wir haben auf das Tripartite-Gesetz zurückgegriffen. Es datiert von 1978 und ist fast so alt wie ich. Es kommt aus der Zeit der Stahlkrise, und es ist für mich das Gesetz, welches das Luxemburger Modell am besten repräsentiert: Sozialpartner und Regierung setzen sich zusammen und schauen, was man tun kann. So kam im Herbst 2020 der Plan de maintien dans l’emploi für die Luxair zustande. Er sieht eine Reihe Maßnahmen vor, ein Prêt temporaire de main d’œuvre ist nur eine davon. Ein PTOM hilft aber, unsere Mitarbeiter sozial gerecht in Arbeit zu halten. Kurzarbeit ist keine Lösung: Da sitzt man daheim und wartet, vielleicht gerufen zu werden. Im PTOM dagegen bleibt man aktiv.

2020 schrieb die Luxair-Gruppe in allen Sparten hohe Verluste. Inwiefern sind ihre Probleme nicht nur konjunkturell, sondern auch strukturell bedingt?

Aus heutiger Sicht ist das schwer zu sagen. Noch im Juni war die Lage ganz dramatisch. Über den Sommer konnten wir ein bisschen aufholen, aber das sind zum Teil artifizielle Effekte. Der Sommertourismus lief gut, obwohl viele Destinationen fehlten. Außerhalb des Schengen-Raums konnten wir nichts anbieten. Unsere Flieger waren ziemlich voll im Sommer, aber ich meine, das lag auch daran, dass die Leute nicht viele Optionen hatten. Langstreckenreisen waren quasi unmöglich, also flogen sie mit uns. Ich schaue einerseits erleichtert auf den Sommer zurück, andererseits mit Angst, weil ich weiß, dass der Aufschwung nicht anhalten und der Herbst ganz schwer wird.

Die Lufthansa hat im Juni erklärt, 2024 sei voraussichtlich wieder alles wie vor der Pandemie.

Ich hoffe, dass sie recht behält, sie ist kein kleiner Akteur in unserer Branche. Für Luxair ist es noch zu früh zu sagen, wie es 2022, 2023 und 2024 aussehen wird. Ganz sicher werden wir auch 2024 den Stand von 2019 nicht erreichen, das kann ich heute schon sagen. Denn es wird Langzeiteffekte geben, zum Beispiel im Reiseverhalten. Touristische Reisen wurden früher lange im Voraus gebucht. Das ist nicht mehr der Fall, die Leute buchen spät, und ich gehe davon aus, dass ein guter Teil von ihnen das weiter so handhaben wird. Anderes Beispiel: Geschäftsreisen. Früher flogen fünf oder sechs Firmenvertreter ins Ausland, um ein Geschäft abzuschließen. Heute fliegen zwei, vielleicht nur einer. Da wird es einen Rückgang geben, der anhält. Viele Firmen haben gemerkt, dass es so für sie preiswerter ist. Doch immerhin: Geschäftsreisen finden statt. Eine Besprechung im virtuellen Raum kann den persönlichen Kontakt nicht ersetzen.

Wo steht das Business-Segment heute im Vergleich zu 2019?

In der Größenordnung von minus 80 Prozent. Das ist ganz schlimm, denn Luxair betrieb früher ein Netz, dass zum Teil auf hochfrequenten Business-Destinationen aufgebaut war. Sieben Mal täglich London City zum Beispiel. Ich sehe im Moment nicht, dass das 2024 wieder so sein wird. Obendrein hat der Brexit das natürlich nicht einfacher gemacht. Alles in allem rechne ich im Business-Bereich mit einem längerfristigen Rückgang um 30 Prozent gegenüber der Zeit vor der Krise.

Wollen Sie das durch mehr Freizeitkundschaft kompensieren?

Wir haben schon heute mehr Passagiere im Flieger, um auf Volumen zu kommen. Fehlen Buesiness-Kunden, brauche ich mehr im Freizeitsegment. Aber der Business-Kunde zahlt mehr für sein Ticket, unter anderem, weil er mehr Flexibilität möchte. Freizeitpassagiere sind viel preisempfindlicher. Setzt Luxair mehr auf sie, gerät sie stärker in Konkurrenz mit Low-Cost-Airlines. Deshalb habe ich auf der Pressekonferenz am Dienstag dazu aufgerufen, dass Flugreisende verantwortungsbewusst konsumieren sollen. Das Luxemburger Sozialmodell, das wir alle begrüßen, hat auch einen Preis.

Die Pressekonferenz vermittelte das auch. Etwa, als der Arbeitsminister sagte, es sei nur theoretisch denkbar, dass an den Staat ausgeliehenen Luxair-Mitarbeiter/innen an ihrem Staats-Arbeitsplatz ein höheres Gehalt zustehen könnte, als Luxair zahlt. Luxair ist offenbar strukturell teuer.

Was heißt strukturell teuer? Dass wir gute Gehälter zahlen? Ja, das tun wir. Das wollen wir auch beibehalten. Andere Luxemburger Betriebe zahlen ebenfalls gute Gehälter. Dass das für Luxair nicht einfach werden wird, wurde am Dienstag nicht verheimlicht.

Wurde der Prêt temporaire de main d’œuvre an ein Geschäftsmodell für Luxair geknüpft?

Nein. Das hätte bedeutet, einen business case auf dem Rücken der Leute zu konstruieren. Das wäre nicht richtig, sowas darf man nicht machen. Die Auswahl der 69 Mitarbeiter für den PTOM geschah auch nicht individuell, sondern es wurde funktionell von unten nach oben analysiert, wo tatsächlich ein strukturelles Problem im Betrieb besteht, sodass eine längerfristige Beschäftigungsperspektive nicht gegeben ist. Keiner der 69 Mitarbeiter hat etwas falsch gemacht. Analysiert wurden Funktionen und Aufgabenbereiche, nicht die Personen. Anfangs waren 227 Mitarbeiter für den PTOM in Betracht gezogen worden, am Ende wurden 69 identifiziert.

Wie viel Bewusstsein für das Luxair-Sozialmodell können Sie von den Flugreisenden realistischerweise erwarten?

Die Luxemburger Kunden sind einen gewissen Standard gewohnt ...

... Crémant von der Mosel ...

... ja, den haben wir wieder im Angebot. Das ist kein Problem.

Billigflieger schenken keinen aus. Das ist ein Distinktionsmerkmal der Luxair.

Unsere Kunden sind in einem Ökosystem drin. Wir fliegen aber nicht nur Luxemburger. Mittlerweile fliegen wir zahlenmäßig mehr französische Mitbürger. Ich sage: Es sollte nicht sein, dass man für sein Flugticket kaum mehr bezahlt als die Flughafengebühr. Denn was fehlt, bezahlt am Ende doch jemand, und meistens sind das die Mitarbeiter. Die Flieger kosten ja ungefähr alle dasselbe.

Aber so billig sind die Low-Cost-Airlines nicht.

Sie fangen aber an mit solchen Preisen.

Aber bucht man bei ihnen, summieren die Kosten sich. Bei Luxair dagegen ist viel inklusive. Bekommen Sie das nicht richtig rüber?

Vielleicht ist nicht alles unmittelbar vergleichbar, weil man es nicht komplett vergleicht. Damit will ich sagen: Es gibt auch Flugreisende, die sagen, „ich brauche keinen Komfort in den Sitzen“. Das ist in Ordnung, ich will die Low-Cost-Airlines gar nicht schlechtmachen, auch sie haben ein Geschäftsmodell. Ich sage nur, der Kunde muss sich fragen, ob eine solche Fluggesellschaft denselben sozialen Kriterien gerecht wird wie eine andere. Ist das der Fall und wird der Preis nicht auf dem Rücken der Beschäftigten gebildet, dann muss auch Luxair sich hinterfragen. Auch wir müssen attraktive Preise anbieten. Demnächst werden wir eine neue Tarifstruktur herausbringen. Wir offerieren den Kunden damit unter anderem mehr Flexibilität. Es wird einen Smart-Tarif geben, wo man gegen einen Preis wird umbuchen können.

Die Tickets werden teurer?

Nein, teurer wollen wir nicht werden. Wir wollen auf die Kunden hören und auf ihren Bedarf reagieren. Heute fragen sie mehr Flexibilität nach. Es gibt auch Routen, auf denen viele kein großes Gepäck mitnehmen möchten. Also brauchen wir auch einen Tarif ohne großes Gepäck, aber sehr wohl mit einem Getränk und etwas zu essen an Bord. Ich setze mich auch dafür ein, das Catering generell zu verbessern. Unsere Passagiere sollen gesund essen. An alldem arbeiten wir, aber die Begleitumstände sind extrem schwierig. Bei uns ändert sich alles.

Als Sie 2020 mitten in der Pandemie Generaldirektor wurden, lautete einer Ihrer Ansätze, Luxair viele neue Destinationen ausprobieren zu lassen. Plötzlich waren Bukarest, Belgrad, Bordeaux oder Rostock auf dem Flugplan. Wie hat das funktioniert?

Es gab Überraschungen und Enttäuschungen. Bordeaux ist ein Beispiel: Solange allein wir dorthin flogen, ging das ganz gut. Als eine Low-Cost-Airline wieder einstieg, wurde es sehr schwierig. Daran sehen wir, dass unser Modell wahrscheinlich nicht von allen Kunden, die auf dieser Route reisen, verstanden wird. Vielleicht werden wir diese Verbindung einstellen. Nach Stockholm zu fliegen, hat uns dagegen vergangenes Jahr über den Winter geholfen. Kopenhagen konnten wir wegen Corona-Beschränkungen lange nicht bedienen. Mittlerweile ist es wieder möglich.

Und Ihr Fazit nach den Experimenten?

Noch lässt sich nicht abschließend sagen, was geht und was nicht. Fakt ist aber: Hätten wir es nicht so gemacht, wären Flieger mit ihren Crews am Boden geblieben. Wir haben immer versucht, beim Fliegen kein Geld zu verlieren. Dahinter steckt auch eine klimatechnische Überlegung: Möglichst kein Kerosin ungenutzt zu verbrennen, ohne die nötigen Passagiere an Bord. Das ist uns nicht immer gelungen. Im Schnitt hat es geklappt, wenn ich alle Routen betrachte, aber auf verschiedenen nicht. Um die Auslastung unserer Maschinen zu steigern, werden wir ein neues Produkt Fly Now einführen. Damit wird man kurzfristig für einen kleinen Preis einen Wochenendflug buchen können.

Ein Klimakiller-Angebot.

Nein, wir belegen damit leere Sitze in Maschinen, die sowieso fliegen.

Mit dem gleichen Argument beruhigen Flugreisende ihr Gewissen: Das Flugzeug fliegt sowieso, ob ich drinsitze oder nicht.

Aber wenn eine Maschine voll besetzt ist, ist das nicht nur kosteneffizienter, sondern auch energieeffizienter, als wenn Sitze leer bleiben. Für mich und für Luxair sind Klima-Erwägungen genauso wichtig wie soziale Erwägungen. Fliegen muss etwas Besonderes bleiben. Es darf nicht zu etwas werden, was man einfach so macht.

Und ein spontaner City-Trip übers Wochenende für wenig Geld würde nicht darunter fallen?

Sagen wir: Es ist eine Convenience. Aber wird der Flieger dadurch besser besetzt, steigt der Mehrwert. Bleiben Sitze leer, bringt es weder dem Kunden, noch der Airline, noch dem Klima etwas.

Mitte Juli hat die EU-Kommission in einem neuen Klimapaket unter anderem vorgeschlagen, auf innereuropäischen Flügen in Etappen von 2023 bis 2033 eine Kerosinsteuer einzuführen.

Das finde ich gut!

Vor zweieinhalb Jahren sagte der damalige Executive Vice President von Luxair für den Bereich Airline gegenüber dieser Zeitung, „eine Kerosinsteuer wäre der GAU“ (d’Land, 3.5.52019).

Das sehe ich nicht so. Ich sage: Wir brauchen ein Level-playing field. Jedes Transportmittel muss mit seinem CO2-Ausstoß gleichbehandelt werden. Noch gibt es keine Kerosinsteuer auf innereuropäischen Flügen, aber die Airlines unterliegen dem europaweiten Emissionshandel. Damit kompensieren sie ihr CO2. Aus welchem Grund muss der Straßentransport das nicht? CO2-Ausstoß ist CO2-Ausstoß. Es müsste auch dafür gesorgt werden, dass Flüge aus Drittländern nach Europa unter die Besteuerung fallen, wenn sie kommt. Es gibt große Luftfahrt-Drehkreuze unmittelbar vor der Tür der EU. Ich will keine Namen nennen, aber sie sind nicht zufällig da. Ich erinnere auch daran, dass die Luftfahrt zurzeit einen ganz kleinen Teil zum weltweiten CO2-Ausstoß beiträgt, um die zwei Prozent.

Das schreibt die EU-Kommission zur Begründung des Kerosinsteuer-Vorschlags auch. Aber sie fügt hinzu, selbst wenn man den Rückgang im Jahr 2020 durch Corona berücksichtigt, sei davon auszugehen, dass mit den bisherigen Klimaschutzmaßnahmen in der EU die CO2-Emissionen der Luftfahrt bis 2030 um 24 Prozent höher sein würden als 2005 und um weitere 27 Prozent bis 2050. Einfach dadurch, dass immer mehr geflogen wird. Offenbar will die Kommission mit der Besteuerung dafür sorgen, dass weniger geflogen wird.

Ob das klappen wird, weiß ich nicht. Wenn der Benzinpreis steigt, wird nicht unbedingt weniger Auto gefahren, aber es werden mehr kleine Autos gekauft. Kerosin zu verteuern, schafft einen Anreiz, effizientere Flugzeuge einzusetzen. Luxair wird voraussichtlich 2024/2025 mit einer Erneuerung ihrer Flotte beginnen. Ich meine, man muss dafür sorgen, dass nicht geflogen wird, wenn es keinen Sinn hat. Die Zahlen der EU-Kommis-
sion, die Sie zitieren, kann ich im Moment nicht nachvollziehen. Ich sehe Luxair in den nächsten Jahren nicht viel mehr fliegen.

2019 hatte Luxair für den Fall einer Kerosinsteuer geschätzt, dass die Ticketpreise um 20 bis 50 Euro steigen könnten. Das sei zuviel.

Das kann ich so nicht sagen. Wir haben noch nicht ausgerechnet, welche Auswirkungen das Steuermodell der EU-Kommission auf die Preise hätte. Ich will nicht aus wirtschaftlichen Bedenken sagen, dass wir eine solche Steuer nicht wollen. Das wäre nicht richtig; nicht richtig meinen Kindern gegenüber und nicht richtig im gesamten Kontext. Dass Fliegen teurer werden wird, sage ich, seit ich bei Luxair bin. Das ist kein Geheimnis. Kommt eine solche Steuer, müssten wir uns anpassen und zusehen, dass der Mehrwert, den wir als Fluggesellschaft bieten, stets höher bleibt als die Kompensation, die für die Natur geleistet werden muss. Früher oder später wird das eine Herausforderung für jedes Unternehmen werden. Es kann ja nicht sein, dass die Lastenteilung zwischen den Sektoren ungerecht ist.

Peter Feist
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