Absturz von Flug MH17

Business as usual

d'Lëtzebuerger Land vom 25.07.2014

Die europäischen Staats- und Regierungschefs und ihre Außenminister gebärden sich, als hätten sie Angst sich beim Schneiden einer Scheibe Brot einen Finger abzusäbeln. Der Rat hat am Dienstag die Verhängung von Sanktionen nicht vertagt, sondern beschleunigt. Das schreibt er zumindest in seiner Pressemitteilung. Zuvor haben die Minister in einer Schweigeminute der Opfer des Fluges MH17 gedacht. Sofort, so die Minister, solle die Kommission ihre Arbeiten an einer erweiterten Liste für Sanktionen betreffend Firmen und Personen, die an der Annexion der Krim und dem Krieg in der Ostukraine verdienen, fertigstellen und Maßnahmen vorbereiten, um die Umsetzung der Beschlüsse des Europäischen Rates vom 18. Juli vollziehen zu können. Die Europäische Union war auf alles vorbereitet, schon einen Tag vor dem Abschuss der malaysischen Passagiermaschine. Die mutmaßlich versehentliche Tötung von fast 300 Menschen durch prorussische Separatisten hatte die EU gremien- und sitzungstechnisch bereits eingepreist. Niemand kann dem Rat vorwerfen, er würde nicht weitsichtig handeln. In den Bereichen Finanzmarkt, Rüstungsgüter, Dual-Use-Güter sowie Hochtechnologie, auch für den Energiesektor, sollen Sanktionen möglich werden. Darüber entschieden die Außenminister zum allerallervorvorletzten Mal am Donnerstag nach Redaktionsschluss.

Ob der Rat strategisch handelt, ist eine andere Frage. Nichts wünschen sich die europäischen Eliten mehr, als dass die Beziehungen zu Russland zu einem Status Quo ante Krim zurückkehren könnten. Deshalb halten sie mit aller Macht den Dialog aufrecht und verwenden Sanktionen ebenso begrenzt wie zurückhaltend. Sie täten besser daran, sich auf eine Welt einzustellen, in der es nicht nur ums Geldverdienen in und mit Russland geht, sondern auch um die Frage, ob Zivilflugzeuge demnächst mit eigenen Raketenabwehrsystemen ausgerüstet werden müssen. Die Ausweichroute um die Ukraine zu vermeiden, führte ein malaysisches Flugzeug über Syrien. Statt über das zerbrochene Porzellan zu weinen, sollte die EU daran arbeiten, wie sie ihre Beziehungen zu Russland reduzieren und trotzdem nicht allzu viel Geld verlieren kann. Mit Putin ist kein Staat mehr zu machen. Nie wieder. Der Mann sitzt fester im Sattel denn je, darf sich noch einmal wiederwählen lassen und ist jetzt, in diesem Moment, bereit, sich die Möglichkeit offenzuhalten in die Ukraine einzumarschieren, wenn er glaubt den Preis dafür zahlen zu können.

Russland ist nicht Putin, aber die Putinsche Propaganda beginnt, eine ganze Generation zu prägen. Die russische intellektuelle Öffentlichkeit weiß, was in der Ukraine abläuft und welchen Preis ihr Land dafür eventuell zahlen muss. Aber die schweigende Mehrheit scheint die ruchlose Propaganda des Regimes gläubig aufzunehmen. Wie wollen die Europäer mit den Bürgern eines Landes verkehren, die es für möglich halten, dass die USA gemeinsam mit in den Westen migrierten ukrainischen Ärzten eine Maschine mit Leichen auf den Weg bringen, um sie dann über dem Gebiet der ukrainischen Separatisten abzustürzen zu lassen, um die russische Regierung zu diskreditieren? Wie mit einem Mann, der solche Machenschaften in Auftrag gibt?

Mit Putin ist kein Deal mehr zu machen, er hat sich aus dem Kreis der Gentlemen ausgeschlossen. Ihn mit Sanktionen in die Knie zu zwingen ist nicht die klügste Strategie. Besser wäre es ihm mit legalen Methoden auf dem Weltmarkt langfristig das Wasser abzugraben und so wenig russische Rohstoffe einzukaufen wie möglich. Sanktionen muss es trotzdem geben. Sie werden verhängt, damit Russland mithilft die selbst angezettelte ukrainische Krise zu lösen. Die Krise aber, die Europa mit Russland hat, geht weit über den Krieg in der Ukraine hinaus.

Derweil laufen die Geschäfte weiter. Großbritannien, dessen Premier für scharfe Sanktionen eintritt, liefert für weit mehr als 100 Million Pfund Gewehre und Kleinfeuerwaffen an Russland. Frankreich bereitet weiter die Übergabe eines von zwei bestellten Hubschrauberträgern für Russland vor und befürwortet ein Waffenembargo frühestens nach Abschluss der Lieferungen. Die amerikanische Firma Exxon-Mobil hat eine Plattform auf den Weg gebracht, mit der sie in russischen arktischen Gewässern nach Öl bohren will. Von 500 Million Dollar Gesamtinvestitionen ist die Rede. Obama hatte vorher deutlich gemacht, dass die US-Sanktionen gegen Russland amerikanischen Firmen so wenig wie möglich schaden sollten.

Strategisch handeln hieße, den Franzosen einen Deal zur Übernahme der Kosten der Hubschrauberträger vorzuschlagen, der die hohe Konventionalstrafe mit einschließt. Die EU könnte das stemmen, wenn man sie denn ließe. Strategisch handeln hieße, ein Waffenembargo sowie Sanktionen im Finanzmarkt und gegenüber Firmen zu verhängen. Sofort. Ohne Wenn und Aber. Auf Wiedervorlage. Strategisch handeln hieße, endlich einer gemeinsamen europäischen Energiepolitik, die die energiepolitische Sicherheit in den Vordergrund stellt, den Weg zu bereiten, um die langfristige Abhängigkeit von russischer Energie deutlich zurückzufahren.

Strategisch handeln hieße auch, der Ukraine zu helfen den Krieg gegen die Aufständischen im eigenen Land zu gewinnen. Nach dem Abschuss, soviel Zynismus muss sein, ist die Gelegenheit dafür günstig. Wenn Merkel und Putin sich das nächste Mal am Telefon aussprechen, könnten sie zuerst eine Schweigeminute für die Opfer von MH17 einlegen. Umso besser wären sie dann vorbereitet für ihr Gespräch über die Ukraine, Syrien, Gaza und was es an weiteren Problemen zwischen ihnen noch gibt.

Christoph Nick
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