Die kleine Zeitzeugin

Holde Knaben und Feschisten

d'Lëtzebuerger Land vom 20.10.2017

Ein Knabe im Stimmbruch wird Kanzler der Republik Österreich. So fesch! Diese üppige Gelatinepackung, über der hohen Stirn, dem hohen Haupt. Aber auch irgendwie niedlich, Barbies Ken, geht er in Serie? Basti, Basti, eine alte Dame hüpft am Wahlsonntag auf dem Sofa auf und ab, der Sebastian ist so voll fesch und so arg lieb. Aber die Ohren soll er sich jetzt richten lassen!, merkt sie dann noch nüchtern an.

Daneben geht das Kern-Lager in Stellung. Also, wenn einer hier fesch ist, dann der jetzige Bundeskanzler. Humphrey Bogart, diese Stimme, er könnte eine Steuererklärung vorlesen und frau bekäme die Gänsehaut. Diese Blicke aus dem schön geschnitzten Gesicht, aus den schön geschnittenen Augen, er muss sie nur ironiezügeln, die dauernd aufblitzende Ironie, wenn er einen Gegner fixiert, das kommt nicht gut an. Arroganzverdacht, ganz schlimm. Hat er die Oberlippe gebotoxt?, grübelt eine Fanin,

und die Augenpartie? Aber das ist ihr egal, es gibt Gleichberechtigung, mit oder ohne Botox ist er der Schönste, der Allerschönste im ganzen Land. Mehr noch, ein Edler, ein Beseelter. Während ein schwuler Freund Kerns authentische Tränensäcke lobend erwähnt, im Vergleich zu Babyface Kurz und dem gebotoxten Strache. Also Strache, bitte, sein teigiges Antlitz auf den Plakaten, mit dem Möchtegern-Cowboy-Blick, der ist bestimmt nicht gebotoxt. Strache ist jetzt ein gemütlicher alter Hund, seine neue Frau Philippa krault ihm das Kinn; endlich ist die Dauerparty Ibiza vorbei, das stressige Signieren von Dirndl-Dekolletees in Discos. Strache legt zu, an Leibes- und Stimmenumfang, treuherziger Hundeblick, er beißt sich nur in Flüchtlingen fest.

Während alte und junge Sexist_innen die Modelshow am Wahlabend noch mal gemütlich vorbei defilieren lassen und ihre Likes absondern, kritisiert eine junge FB-Freundin mit vielen Follower_innen den allgemein grassierenden Lookismus, die Diskriminierung aufgrund des Äußeren. Sie möchte nichts mehr über Basti-Ohren lesen, basta! Nur noch Inhaltliches!, weist sie die unseriös kommentierende Community zurecht. Kurz danach postet sie das Statement, die streichelweiche Stimme des vor einem halben Jahr um ein Haar Bundespräsident gewordenen Norbert Hofer erinnere an die eines Psycho-Serienkillers. Eben, Norbert Hofer, der Teddy mit den eiskalten Glasaugen.

Feschismus, eine in der Haider-Ära geprägte Diagnose. Sie wurde dem modischen und politischen Mutanten Haider verpasst, dann dem frechen Frischling Strache, der den schon angegrauten Haider wegbiss, wegstrahlte. Ach, diese kornblumenblauen Augen! Ein Feschak zu sein, ist in der österreichischen Polit-Szene schon mal ein Plus. Das einzige, woran man sich bei Kanzler Faymann erinnert, falls sich überhaupt noch jemand an ihn erinnert, war, dass er als hübscher Mann galt. Nur die Plastikentenquietschstimme war ein schweres Minus. Aber Feschismus? Sebastian Kurz als Feschisten hinzustellen, greife vollkommen daneben, rügt Schriftsteller Martin Amanshauser. Erstens sei er nicht fesch und zweitens kein Faschist, nur ein übler Karrierist.

Der üble Karrierist, das milchgesichtige Wunderkind, spult den derzeit beliebtesten Text ab. Sag noch einmal Mittelmeer, Basti, und schau so unerschrocken in die Runde alter Herren und erklär‘ ihnen die Welt – sie nehmen sie dir ab. Dann schließe die Meere und die Routen wie ein junger Gott, und schaffe Inseln, auf die du die schaffst, die wir nicht schaffen. Es wird kurz zusammengezuckt und zurückgeschreckt, wenn du Australien sagst, aber es darf keine Denkverbote geben, wir müssen das Undenkbare sagen und dann auch tun. Einer muss es ja sagen, sagte schon Sarrazin.

Immer einer, jetzt bist du der Eine. Damit es nicht die Falschen sagen, denn es ist ja das Richtige, und jetzt ist bist du ja der Richtige. Aber worin unterscheidet sich der Richtige von den Falschen?

Strache light ist ja Europäer, so international, so global, so liberal. Also nicht schlimm, nicht wirklich. So intelligent und eloquent, so jung, mit Augenbrauenschwung und Schwung.

Und aus dem Ausland kommen die Kurz-Glückwünsche, becirct, geblendet. Noch jünger als Macron!

Michèle Thoma
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