Konflikt zwischen der Türkei und den USA

Pastor gegen Pastor

d'Lëtzebuerger Land du 03.08.2018

Der Streit, der in diesen Tagen zwischen den USA und die Türkei aufflammt, wird mit ungewöhnlicher Härte geführt. Die USA drohen dem langjährigen Nato-Alliierten offen mit Sanktionen. Ankara erwidert erbost und lässt wissen, man habe für die Zukunft eigene Pläne. Aber worum geht es? Vordergründig lediglich um einen US-amerikanischen Pastor. Der evangelikale Pastor Andrew Brunson wurde am 9. Dezember 2016 in der westtürkischen Stadt Izmir verhaftet, wo er bereits seit über 20 Jahren lebte. Die türkischen Behörden werfen ihm Spionage und Mitgliedschaft in Fetö und PKK vor – zwei Organisationen, die nichts miteinander zu tun haben und beide in den Augen Ankaras Terrororganisationen sind. Der Haftbeschluss gründet auf Aussagen angeblicher geheimer Zeugen.

Doch kurz nach Brunsons Verhaftung tauchten erste Zweifel auf, ob dieser juristische Schritt nicht in Wirklichkeit ein politisch geplanter und angeordneter Schachzug des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan sei. Denn dieser bot indirekt ein Tauschgeschäft an. Im September 2017 während einer Rede vor Polizeikadetten kritisierte Erdogan die USA und sagte: „Sie wollen von uns einen Pastor zurückbekommen. Ich sage ihnen, sie haben auch einen Pastor. Geben sie ihn uns, so dass wir ihn vor Gericht stellen können. Daraufhin antworten sie, ich solle nicht alles miteinander mischen.“

Der „Pastor“ in den Händen der USA, den Erdogan meint, ist Fethullah Gülen – ein Geistlicher und Führer der islamischen Gülen-Gemeinde. Das Regime in Ankara wirft Gülen vor, den türkischen Staat jahrelang unterwandert und mehrere Putschversuche organisiert zu haben – unter anderem den blutigen Putschversuch vor zwei Jahren. Er sei der Chef der Terrororganisation Fetö, deren Existenz allerdings zweifelhaft ist. Die USA lehnen bisher eine Auslieferung Gülens ab mit der Begründung, die bisher aus der Türkei gelieferten Beweise für eine Mittäterschaft Gülens seien nicht ausreichend. Gleichzeitig fordert Washington seit Monaten die Freilassung von Brunson. Der Tropfen, der den Fass nun zum überlaufen brachte, war ein offenbar auf dem letzten Nato-Gipfel in Brüssel heimlich ausgehandelte Dreiecksgeschäft. So soll der US-Präsident Donald Trump sich beim israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu für die Freilassung eines türkischen Gefangenen eingesetzt haben. Die Islamistin Ebru Özkan wurde tatsächlich freigelassen und kehrte in die Türkei zurück.

Doch die Amerikaner, die offensichtlich auf eine eben solche Freilassung und Ausreise Brunsons gehofft hatten, wurden vor den Kopf gestoßen. Denn ein türkisches Gericht ließ Brunson zwar frei, aber unter Auflagen. Er befindet sich seitdem in Hausarrest und darf das Land nicht verlassen. Erdogan zeigte sich dankbar für den Einsatz Trumps in Israel, dementierte aber im gleichen Atemzug jegliche Abmachung mit ihm. Deshalb drohten zunächst Trump und einige Tage später auch sein Vize Mike Pence der Türkei mit Sanktionen, bis Brunson freigelassen wird und in die USA ausreisen kann – ohne zu konkretisieren, wie diese aussehen könnte.

Dieser komplizierte Fall ist nur die Spitze des Eisbergs. Denn es knistert im Gebälk zwischen den USA und der Türkei seit einigen Jahren. Der einzige Streitpunkt ist auch nicht, wie Ankara behauptet, die Zusammenarbeit des Pentagons mit den Kurden in Syrien. Noch brisanter ist der Wunsch Ankaras, von Russland S400-Raketen zu kaufen und in diesem Zusammenhang der Stationierung russischer Soldaten in der Türkei grünes Licht zu geben. Nicht nur die USA fürchtet, durch einer solchen Aktion verschaffe sich die russische Armee einen Einblick in geheime Nato-Strukturen. Ein weiterer Streitpunkt ist der geplante Verkauf von F-35 Kampfflugzeugen an die Türkei. Erst vor zwei Wochen wurde ein Antrag im US-Senat angenommen, den Deal zu stoppen – mit einem Hinweis auf den S400-Deal Ankaras mit Moskau. Womöglich geht der Riss zwischen den Verbündeten noch tiefer und ist ideologischer Natur. Ein Zeichen dafür sind die jüngst wiederholten Thesen des ehemaligen Trump-Beraters Steve Bannon. Er glaubt, dass Erdogan heute der gefährlichste Mann der Welt sei und die alte Achse des Bösen durch eine neue ersetzt wurde: Iran-China-Türkei. Eine Provokation in den Augen des türkischen Regimes.

So wie Bannon und seine breite Anhängerschaft in den USA Trump unter Druck setzen, drängt die türkische Opposition Erdogan zu einer weiteren Konfrontation mit den USA. Allen voran die selbsternannte sozialdemokratische Oppositionspartei, die Republikanische Volkspartei, die dem Autokraten vorwirft, vor den USA und dem Westen zu kapitulieren und türkische Interessen auszuverkaufen. So erinnerte der neue Star der Partei, Muharrem Ince, an den Fall des ein Jahr lang ohne Prozess eingesperrten deutschen Journalisten Deniz Yücel und behauptete, seine Freilassung habe die Interessen der Türkei verletzt und das gleiche drohe nun im Fall Brunson.

Damit versucht Ince, die starken Anti-Nato-Gefühle der türkischen Öffentlichkeit zu missbrauchen. Denn laut einer Umfrage des US-amerikanischen Meinungs-Forschungsinstitutes Pew sehen 72 Prozent der Türken den USA als die größte Gefahr an und die Zustimmung zur Nato liegt bei 23 Prozent. Diese Zahlen waren noch vor einigen Jahren genau umgekehrt. Der immer härter werdende Streit zwischen Ankara und Washington könnte bald eine tiefe Krise in der Nato verursachen. Denn Ankaras Verbindung zum Westen läuft traditionell über Washington. Wird dieser gekappt, segelt das Land einer ungewissen Zukunft entgegen. Ein Schreckensszenario für das westliche Militärbündnis.

Trotzdem spricht einiges dafür, dass sich die Türkei diesen Schritt nicht so schnell zutrauen wird. Denn, obwohl Erdogans langfristige Vision sicherlich die Formierung eines starken islamischen Bündnisses gegen den Westen ist, wäre die Türkei ohne Nato zunächst einmal Moskau ausgeliefert. Obwohl Erdogan Putin seit zwei Jahren schöne Augen macht, so weiß er doch, um seine Pläne zu verwirklichen, müsste er zunächst eine Alternative zur Nato vorbereiten, bevor das Land das Bündnis verlässt. Und die steht noch in den Sternen.

Cem Sey
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