Der Srel-Prozess entfachte kein politisches Feuerwerk

Big Nothing

d'Lëtzebuerger Land vom 13.03.2020

Er hat bereits seit mehr als einer halben Stunde seine Sicht der Wahrheit präsentiert. Warum er zu Unrecht hier als Angeklagter vor Gericht steht. Warum er nach bestem Wissen und Gewissen handelte, seiner Mission als Direktor des Nachrichtendiensts gerecht wurde. Warum er wähnte, einer großen Verschwörung in der Bommeleeër-Affäre auf der Spur gewesen zu sein und es vielleicht noch ist. Warum er Loris Mariotto irgendwann in aller Dringlichkeit abhören musste und wie er sich dafür die Genehmigung von Premier Jean-Claude Juncker einholte. Warum er ein Gespräch mit Juncker heimlich mit einer Uhr aufzeichnete und warum er letztlich die geheimen Mitschnitte in dieser ganzen Angelegenheit allesamt in einem privaten Schließfach der Bil aufbewahrte. Alles das hat Marco Mille dreizehn Jahre nach den Vorfällen den Richtern vor versammelten Gerichtsraum in aller Sachlichkeit dargelegt.

Dann fragt Richter Nilles, ob er noch irgendetwas letztes zu sagen habe. Mille überlegt kurz, blickt erst nach unten, dann hebt er seinen Kopf und sagt mit entschlossener Stimme ins Mikrofon in Richtung des Vorsitzenden: „Da ist noch ein Punkt, der mir am Herzen liegt, Herr Präsident.“ Pause. Stille. Alle Anwesenden im Prozesssaal warten gespannt darauf, was der frühere Srel-Direktor nun vortragen wird. Er genießt die volle Aufmerksamkeit. Doch er zögert. Sekunden vergehen. Erstes Getuschel im Raum. Journalisten werfen sich gegenseitig fragende Blicke zu. Der Richter neigt seinen Kopf leicht nach rechts. Mille wartet weiter. Aus einer rhetorischen Pause wird pure Leere. Dann blickt Mille auf und sagt mit gebrochener Stimme: „Es ist okay.“ Und dreht ab.

Wenn es eine symptomatische Szene in diesem Prozess gegen Marco Mille, Frank Schneider und André Kemmer gibt, dann ist es wohl diese. Auf Ankündigung folgt Leere. Auf Spannungsaufbau Ernüchterung. Auf Wirbel folgt Nichts. Es ist ein bedeutungsschwangerer Prozess, der sich seit Jahren als spektakuläres Tribunal ankündigt, das die innersten Geheimnisse des Staates offenbaren wird. An dessen Ende womöglich neue Indizien oder gar die Namen der Schuldigen stehen, die bis heute ungestraft 18 Bombenanschläge Mitte der 1980-er-Jahren ausführen konnten. Und folglich haben manche Journalisten das Gerichtsverfahren erwartungsvoll als „klenge Bommeleeër-Prozess“ tituliert.

Doch all jene, die auf ein großes verschwörerisches Feuerwerk gehofft haben, werden nun nach zwei Wochen Verhandlungen unbefriedigt den Gerichtssaal verlassen. Denn am Ende war der Srel-Prozess gegen die früheren Geheimagenten Mille, Schneider und Kemmer nichts von alledem. Das liegt daran, dass der Vorsitzende Richter Nilles von Beginn an den juristischen Rahmen klar absteckte und kein Politikum daraus machen wollte. Das liegt daran, dass die Verteidigung lange Zeit darauf verzichtete, den politischen Joker zu ziehen – auch wenn sie am Schluss noch einmal versuchte, mit Cui-Bono-Rhetorik vom eigentlichen Corpus Delicti abzulenken. Doch als der frühere Premierminister im Zeugenstand war und Aussagen unter Eid abgeben musste, ließen sie die Gelegenheit bewusst oder unbewusst verstreichen, ihm gezielt Fragen zu stellen. Maître Ries (Anwalt von Frank Schneider) war unfähig, seine Fragen so zu formulieren, dass der Richter sie zuließ. Maître Niedner (Anwalt von Marco Mille) stellte ein nebensächliche Verlegenheitsfrage. Und der rhetorisch geschickte Maître Urbany verzichtete vollends auf Fragen an den Zeugen Juncker – dieser war darüber selbst wohl am meisten überrascht: „Es war nicht meine Absicht, es Maître Urbany so einfach zu machen.“

Das fehlende politische Feuer des Prozesses liegt aber womöglich auch daran, dass hinter der ganzen Chose wohl nichts steckt als Bluff und Dilettantismus. Dass Geheimagenten, die von Berufswegen misstrauisch sein müssen, sich lediglich hinters Licht führen ließen. Dass deren Misstrauen irgendwann in Paranoia umschlug, da ein volltrunkener und ausfallender Premier nicht gerade vertrauensbildend war. Und dass die Agenten am Ende das Gefühl hatten, alleine mit unorthodoxen Mitteln gegen den Rest von Luxemburg vorgehen zu müssen.

Genau darauf läuft die Argumentation von Staatsanwalt Jean-Jacques Dolar hinaus. Er kann sich keinen Reim auf die „surreale“ Mariotto-Sory machen, stellt infrage, ob es sich nicht einfach nur um ein „Märchen“ oder einen „riesigen Fake“ handelt.

Denn für Dolar war das Verhalten der Geheimdienstagenten „alles andre als logisch“. Warum warten die Agenten fünfzehn Monate ab, bevor sie Mariotto auf einmal in aller Dringlichkeit abhören wollen. Warum ging Mille anders als üblich vor, ließ sich erstmalig keine schriftliche Genehmigung für eine Abhörung von Juncker erteilen, schaltete wenige Tage später die Beschattung wieder ab, wollte das Ganze wie ein Versehen aussehen lassen. Und warum nahm er anschließend ein Gespräch mit dem Premier „illegal“ auf. Das alles ergebe nur unter einem Gesichtspunkt Sinn: Es gab keine Genehmigung von Premierminister Jean-Claude Juncker, es war ein Alleingang von drei Agenten.

Für die Verteidigung hingegen zeige das Uhrengespräch eindeutig, dass Juncker im Bilde war. Dass er genau wusste, was die Srel-Agenten mit Mariotto trieben. Sonst hätte er doch aus allen Wolken fallen müssen, als Mille ihm davon berichtete, so Maître Urbany. Für den Anwalt ist es ferner unbegreiflich, warum die Ermittler den Geschäftsmann Loris Mariotto nicht stärker ins Visier genommen haben. Denn der „Elekrofreak“ Mariotto sei der Ursprung der ganzen Angelegenheit gewesen, die Ermittler hätten seiner surreal-anmutenden Behauptung eines verschwörerischen Gesprächs zwischen Jean-Claude Juncker und Großherzog Henry, das Mariotto per Zufall in die Hände bekam, größere Beachtung schenken müssen. Urbany hielt den Ermittlern am Ende schwere Versäumnisse vor Augen. Sie hätten eine Querverbindung zum Bombenleger-Dossier prüfen und ebenfalls Großherzog Henry verhören müssen. Immerhin sei er eine zentrale Figur in der Mariotto-Geschichte. Und: „Der Großherzog ist nicht Gott!“ So bleibe leider vieles im Unklaren, zum Nachteil seines Mandanten.

Die Staatsanwaltschaft forderte am Schluss lediglich eine Geldstrafe, sah aufgrund des zeitlichen Abstands sowie der „Parcours imbeccables“ der drei Angeklagten von einer Forderung nach einer Freiheitsstrafe ab. Die Verteidigung hingegen forderte den Freispruch der drei Angeklagten. Das Urteil wird am 30. April gesprochen.

Pol Schock
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