Centre virtuel de la connaissance sur l'Europe

Das virtuelle Zentrum von Sassenheim

d'Lëtzebuerger Land vom 01.05.2008

Am nächsten Dienstag stellt das Centre virtuel de la connaissance sur l‘Europe in Sassenheim seinen Rechenschaftsbericht für das Geschäftsjahr 2007 vor. Wer Gefallen an e-go und dem Festungsmuseum fand, der wird das Centre virtuel de la connaissance sur l‘Europe lieben.

Erklärtes Ziel des Centre virtuel de la connaissance sur l‘Europe ist es, die Geschichte der europäischen Integration bekannt zu machen, besonders bei Studenten und Lehrern, aber auch Journalisten und anderen Multiplikatoren. Denn als die Ratifizierung des Maastrichter Vertrags 1992 auf Kritiken in der Öffentlichkeit stieß, schien für eine Bettemburger Lehrerin und heutige Direktionsbeauftragte des Zentrums klar, dass dies nicht auf Mängel des Vertrags oder einen politischen Kurswechsel der Union zurückzuführen ist, sondern auf die mangelhafte Aufklärung des Publikums.

So entstand nach mehrjähriger Vorarbeit ein Projekt namens Euro­pean Navigator, das in Zusammenarbeit mit dem Centre de recherche public Henri Tudor und in wiederum mehrjähriger Arbeit bis 1998 eine CD-Rom über die großen Etappen der europäischen Integration ausarbeitete. Leider war zu diesem Zeitpunkt gerade die kurze Epoche vorbei, in welcher der Glaube vorherrschte, dass alle Probleme dieser Welt mittels Multimedia gelöst werden könnten.Von nun an schienen alle Probleme dieser Welt nämlich mittels Internet lösbar. Deshalb konnten die Erfinder des bis dahin im Centre d’études et de recherches Robert Schuman untergebrachten European Navigator eine Konven­tion mit der Regierung und der Europäischen Kommission unterzeichnen, ins Schloss von Sassenheim einziehen und ihre historische Aufklärungsarbeit von der CD-Rom ins Internet verlagern.

Nachdem die Europäische Kommission Ende 2000 ihre Beteiligung an der Finanzierung des Unternehmens eingestellt hatte, nahm sich im Frühjahr 2002 der Rechnungshof des sanft von der Zuständigkeit des Staatsministeriums in diejenige des Kultur- und Forschungsministeriums geglittenen Unternehmens an. Der Rechnungshof rechnete vor, dass die CD-Rom und die noch provisorische In­ter­netseite zwischen 1996 und 2002 die Kleinigkeit von 6,2 Millionen Euro – eine Viertel Milliarde alter Franken – gekostet hatte, davon 4,7 Millionen Euro aus der Staatskasse. Und in seinem ziemlich vernich­ten­den Gutachten stellte er fest, dass trotz dieser Summe das versprochene „résultat n’est actuellement pas atteint“ und „que les moyens financiers engagés sont actuellement disproportionnés par rapport aux résultats atteints“ (S. 10).

Trotzdem stimmte das Parlament im Juli 2002 ein Gesetz, das aus dem European Navigator, der inzwischen die stolze Zahl von 29 Personen beschäftigte, eine öffentliche Einrichtung mit dem Namen Centre vir­tuel de la connaissance sur l‘Europe machte. Dadurch wurde nicht nur seine Zukunft für unbegrenzte Zeit gesichert, sondern auch seine bis heute anhaltend großzügige Finanzierung. Denn in Zeiten allgemeinen Sparens wurden die staatlichen Zuschüsse von 2,25 Millionen Euro im Jahr 2006 auf 2,85 Millionen vergangenes Jahr erhöht und für das laufende Jahr noch einmal auf drei Millionen Euro.

Die Sassenheimer Internetseite hat die Steuerzahler bis heute über 20 Millionen Euro gekostet, die im Staatshaushalt unter „Forschung“ bereit gestellt werden, auch wenn eine Materialsammlung nichts mit Forschung zu tun hat. Zudem vermittelt sie ziemlich blauäugig ein propagandistisches und weitgehend  auf die Institutionen fixiertes Geschichtsbild, als müsste sie heiliger als der Papst, beziehungsweise die Brüsseler Kommission sein.

Dabei gibt es inzwischen an zahlreichen Universitäten ernsthaftere Forschungszentren zur Geschichte des europäischen Integration. Und  im Internet stehen zahlreiche, wenn auch nicht immer so umfangreiche und technisch aufwändige Dokumentensammlungen zum Thema. So bleibt die Einschätzung des Rechnungshofs über das Missverhältnis zwischen Aufwand und Ergebnis leider aktuell.

Unter diesen Bedingungen ringt das Zentrum um Anerkennung und  bemüht sich krampfhaft, seine Daseinsberechtigung und seinen hohen Finanzbedarf zu beweisen. In seinem neusten Rechenschaftsbericht verkündet es stolz, dass die Zahl der Besuche seiner Internetseite 2007 erstmals die Millionengrenze überschritten habe. Vergangenes Jahr seien im Monatsdurchschnitt von 90 000 Besuchern 500 000 Dokumente eingesehen worden. Aber Besuchszahlen von Internetseiten sind in der Regel mit Vorsicht zu genießen. 

Denn der doch etwas bescheidene Höhepunkt des Geschäftsjahrs 2007 bestand laut Rechenschaftsbericht in der Beteiligung des Sassenheimer Zentums an einer Ausstellung in der Vorhalle des Brüsseler Gebäudes des Ministerrats zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge. Bei Gelegenheit dieses Jubiläums seien auch weitere Dokumente, Zeitungsartikel und Illustrationen aus der Geschichte des Ministerrats auf die Internetseite geladen und ihre Menüs auf Holländisch übersetzt worden. Außerdem habe sich das Zentrum an dem Jugendwettbewerb „Europa feiert seng 50. Mir wënschen...“ und einem Forum „Racines et développement de la gouvernance européenne“ beteiligt. Im Rhythmus der europäischen Ratsvorsitze seien auch die Internetinformationen über Österreich und Portugal als EU-Mitglieder und über die Europapolitik Willy Brandts ergänzt worden. Für fast drei Millionen Euro.

Romain Hilgert
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